Public-Health-Experte Martin Sprenger: "Für die Verzögerungen beim Testen, die Folgen von Reisewarnungen oder die aktuelle Verwirrung und Verunsicherung tragen die Bürgerinnen und Bürger keine Verantwortung."

foto: robert newald

Wien – Eine großzügige Unterstützung von Unterbringungseinrichtungen für Seniorinnen und Senioren und ärztliche Ordinationen – das sind zwei Maßnahmen, die der Public-Health-Experte Martin Sprenger als zentral einschätzt, um die Corona-Pandemie in Österreich unter Kontrolle zu halten.

Bevor nicht die vielen bestehenden Maßnahmen optimiert seien, solle die Regierung nicht weitere beschließen. Die von der Regierungsspitze am Montag verkündeten neuen Einschränkungen der erlaubten Gäste- und Besucherhöchstzahlen im privaten und professionellen Bereich hätten auf die Verbreitung des Virus "einen vergleichsweise geringen Einfluss".

Bevölkerung schwer belastet

Die Politik versuche die Schuld für den Verlauf der Pandemie auf die Bevölkerung zu schieben. Für die Verzögerungen beim Testen, die Folgen von Reisewarnungen oder die aktuelle Verwirrung und Verunsicherung würden die Bürgerinnen und Bürger aber keine Verantwortung tragen. Faktum sei, viele Menschen seien durch die Pandemie und die Gegenmaßnahmen schwer belastet.

"Im Frühjahr", so Sprenger, "haben sich die Menschen in Österreich vorbildlich an die verordneten Maßnahmen gehalten. Dann aber begann die Kommunikation vonseiten der Regierung immer chaotischer zu werden. Die öffentliche Debatte wurde politisiert, die Bevölkerung gespalten. Dadurch hat das Vertrauen der Menschen gelitten."

Gegen Masken im Freien

Sprenger will nicht missverstanden werden: "Um gut durch den Winter zu kommen, müssen wir alle Maßnahmen umsetzten, die sinnvoll sind. Dabei ist aber immer auf eine Wissensbasierung und die Verhältnismäßigkeit zu achten. Alle Maßnahmen müssen mehr nutzen als schaden." Eine Maske im Freien zu tragen sei nicht wissensbasiert, ein Lockdown meistens nicht verhältnismäßig, sagt er im STANDARD-Gespräch.

Mehr als 40 Prozent aller Todesfälle durch Covid-19 seien bis dato in Alten- und Pflegeheimen registriert worden, mit einem Altersdurchschnitt von 82 Jahren. Insofern fokussiert Sprenger in seiner Reaktion auf die Ankündigung einer bundeseinheitlichen Verordnung für Alten- und Pflegeheime durch Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne).

Altenheime schützen

Zwar sei es "nie zu spät", aber dieser Plan hätte in den Sommermonaten umgesetzt werden müssen, sagt der Experte: "Dass dieser Bereich am meisten bedroht ist und die Virussaison im Oktober beginnt, wissen wir seit langem."

So aber gelte jetzt dringend, mit den Ländern und Bezirken einheitliche Regeln zu vereinbaren und die Lage vor Ort zu erkunden: "Haben alle Heime genügend Schnelltests oder Kontakt zu einem Labor, um Corona-Tests rasch auswerten zu lassen? Gibt es genug Personal, genug Schutzausrüstung, wo braucht es mehr?"

Infektionsmanagement für Ordinationen

Die Arztordinationen wiederum müssten dabei unterstützt werden, Patienten mit Infekten getrennt von Hochrisikopersonen versorgen zu können – von der großen Gruppenpraxis bis hin zum Landarzt: "Gibt es überall schon ein professionelles Infektionsmanagement? Ich sage: Ich hoffe es, wissen tue ich es nicht." (Irene Brickner, 19.10.2020)