Pianistin Gabriela Montero.

Foto: Anders Brogaard

Wien – Sie ist eine überaus feinsinnige Interpretin: mit selbstverständlicher Virtuosität und von kraftvollem Zugriff, fähig zu vielfacher Nuancierung, eleganter Kantabilität, singender Phrasierung. Diese Qualitäten zeigte Gabriela Montero im Wiener Konzerthaus vor allem bei den Kinderszenen von Robert Schumann und der 2. Sonate b-Moll von Sergej Rachmaninow. Und auch Beethovens d-Moll-Sonate (Der Sturm) machte sie zu einem eindrucksvollen Klanggemälde.

Berühmt ist die Pianistin mit venezolanischen Wurzeln, die mit ihrer Familie in Barcelona lebt, freilich vor allem für ihre Improvisationen "basierend auf Themen aus dem Publikum". Besucherinnen singen die ersten Töne einer bekannten Melodie, und schon legt Montero los – falls sie findet, dass ein Stück wirklich allen im Saal bekannt ist. Bei Beethovens Für Elise – "most used and abused", kommentierte die Musikerin – ist das zweifellos der Fall: Sie nahm vor allem die insistierende Wechselnotenfigur und ließ sie gleichsam die pianistischen Kämpfe des 19. Jahrhunderts durchleben, als ob sich Chopin, Brahms und Liszt daran abgearbeitet hätten.

Jahrhundertparcours

Franz Lehárs Lippen schweigen aus der Lustigen Witwe inspirierte Montero zu einem Parcours durch die Jahrhunderte: Ein Fugato im Stil zwischen Scarlatti und Händel (mit Anklängen an Bach und Busonis Bearbeitungen von dessen Werken) mündete in einen klassizistischen bis impressionistischen Teil (irgendwo zwischen Hummel und Ravel) und endlich in einen Walzer, als ob Chopin auf einem Wiener Ball taumeln würde.

Gershwins Summertime aus Porgy and Bess nahm Montero zum Anlass für modernistische Eruptionen à la Prokofjew, aber auch für einen tänzerischen, weit ausgreifenden Ragtime. Beeindruckend und unterhaltsam. Die Pianistin selbst sagte über ihr Improvisieren: "Ich mache eigentlich nichts. Da ist etwas, das fließt einfach durch mich hindurch." Es wirkt tatsächlich so. (daen, 20.10.2020)