Der Diplomat sitzt auf dem Plastikstuhl, von einer Plastikplane vor der Wüstensonne geschützt – und hakt nach: "Das sind doch europäische Steuergelder, die da drinstecken. Und das soll zerstört werden?" Und der Bürgermeister nickt. Ja, auch dieser Schule drohe der Abriss.

Diese Schule soll es schon bald nicht mehr geben.
Foto: HAZEM BADER / AFP

Die EU-Delegation, die da durch die karge Gegend südlich von Hebron tourt, hat in einer Volksschule haltgemacht. Die Diplomaten tragen blaue Mundmasken mit aufgedruckten EU-Flaggen. Man sitzt im Festsaal der Schule und hört dem Bürgermeister zu. Der Festsaal, das ist eine kleine betonierte Plattform mit Sonnendach, und die Schule ist eine Wellblechhütte mit Fensterschlitzen, ohne Klimaanlage. Im Sommer ist es brennheiß, im Winter bitterkalt. An der Außenwand prangt ein Schild: "Mit EU-Förderung gebaut."

Grafik: STANDARD

"Ziemlich erschüttert" sei er, dass das bald abgerissen werden könnte, sagt Delegationsleiter Sven Kühn von Burgsdorff. Die Schule wird von 35 Beduinenmädchen und 25 -buben besucht. Fällt sie weg, müssen die Mädchen wohl zu Hause bleiben, glaubt Bürgermeister Nidal Yunis. "Vielen Eltern ist die Busfahrt in die Stadt zu gefährlich." Yunis bittet die EU-Delegation um diplomatischen Druck. Burgsdorff sagt zu.

Der israelische Staat beruft sich auf nationales Recht. Die zwölf Beduinendörfer südlich von Hebron wurden vor knapp vierzig Jahren zum Truppenübungsgebiet erklärt, zwei Jahrzehnte später wurde eine Evakuierungsanordnung verhängt. Menschenrechtsorganisationen riefen das Höchstgericht an – und seither liegt der Fall dort. Die rund 1.300 Einwohner wurden zum Pingpongball, der zwischen dem Gericht, den NGOs und der israelischen Verwaltung hin- und herfliegt. Und solange das so bleibt, rollen die Bulldozer.

Zerstörte Existenz

Nun war es wieder so weit. Diesmal war das Haus von Aqram Abu Sabha dran. Er ist 53 Jahre alt, sonnengegerbte Haut, ein stämmiger Mann mit stolzer Haltung und stolzem Bauch und einer zerstörten Existenz. Er steht neben den Trümmern, die sein Haus waren. Vor 15 Jahren hat er es selbst gebaut, mit seiner Familie lebte er hier. Seit dem Räumungsbescheid träumt er nachts von Bulldozern. Aus israelischer Sicht hat die Familie mehr als genügend Zeit gehabt, das Haus zu räumen. Der finale Räumungsbescheid kam im Juni. Und überhaupt, so die Rechtsräson, hätte er gar nicht erst bauen dürfen.

Grenzpolizisten schützen die Bulldozer.
Foto: EPA/ABED AL HASHLAMOUN

In der Tat hat Aqram ohne Baubescheid gebaut. Alle tun das hier – auch die EU. Bauansuchen von Palästinensern in den besetzten Gebieten werden fast nie genehmigt. Während rundherum die jüdischen Siedlungen in die Breite wachsen, wird hier jedes kleine Sonnendach negativ beschieden.

Israel begründet das mit der Notwendigkeit, militärische Übungen abzuhalten. Bürgermeister Yunis sieht das als vorgeschoben an. Die Übungen fänden meist kurz vor dem nächsten Gerichtstermin statt – um die Widmung zu rechtfertigen "und um uns Angst einzujagen", glaubt er.

"Mein Land"

Warum aber lässt man so viel Geld, Arbeit und Träume in ein Haus fließen, wenn man damit rechnen muss, dass es vernichtet wird? "Das ist doch mein Land, ich darf hier bauen", sagt Aqram.

Beduine Aqram vor den Trümmern seines Hauses. Er will trotzdem bleiben.
Foto: Maria Sterkl

Er sagt "mein Land", weil schon sein Großvater und sein Urgroßvater hier gelebt haben. Das war vor 1967. Seither ist das Gebiet israelisch besetzt und seit 1981 zur Militärzone erklärt. Aqram will das nicht akzeptieren. Aus seiner Sicht ist auch die Besatzung nur eine Episode.

Warum die EU Geld in illegal errichtete Projekte steckt? Ein Staat sei laut internationalem Recht verpflichtet, die unter seiner Besatzung lebenden Menschen ausreichend zu versorgen, argumentiert Burgsdorff. Hier geschehe das Gegenteil. Für Europa sei es deshalb "ein humanitärer Imperativ", die Menschen vor Ort zu unterstützen.

Möglicher Präzedenzfall

Israels Höchstgericht soll demnächst ein finales Urteil fällen, wie es mit den Dörfern weitergeht. Aktivisten sehen einen Präzedenzfall: Sollte die Evakuierung grünes Licht bekommen, könnten andere Gebiete in der Westbank folgen. Dass Israel offiziell seine Annexionspläne abgeblasen hat, ist dann de facto wertlos. Aqram baut sein Haus nun wieder auf, Gerichtsentscheid hin oder her. "Ich bin hier geboren", sagt er, "und ich gehe hier nicht weg." (Maria Sterkl aus Hebron, 20.10.2020)