Ein einfacher Verschlag auf dem Naschmarkt bietet notdürftigen Schutz vor dem Herbst und fantastischen Fisch. Ach ja: günstig!

Foto: Gerhard Wasserbauer

Stefan Doubek war im Londoner Core engagiert, dem Restaurant der großen Clare Smyth, als ihn der Lockdown zurück nach Wien zwang. Konstantin Filippous langjähriger Souschef hatte sein Auslandsjahr schon akribisch durchgetaktet, mit Stationen in mehreren der aktuell besonders heißen Adressen des Planeten.

Allen voran etwa die Fish Butchery in Sydney, dem Ort wo der junge Josh Niland seine revolutionäre Neuerfindung der Fischküche entwickelt hat und gerade zum globalen Superstar der guten Küche aufsteigt. Dann weiter ins Maaemo nach Oslo und ins Koks auf die Färoer-Inseln, dem wohl entlegensten Zweisterner der Welt.

Stattdessen kocht er jetzt in einem Winz-Standl auf dem Naschmarkt, in den Diensten von Promi-Fischwirt Erkhan Umar. Was auf den ersten Blick wie ein schlechter Traum klingt, ist in Wahrheit ganz super: Die Gäste sitzen unter Planen, im Zug des Herbstwinds, unter der Röstkraft von Heizlampen.

In der Küche gibt es eine einzelne Induktionskochplatte und einen Habachi-Holzkohlengrill – Mut zur Lücke nennt man das. Ist aber ziemlich wurscht angesichts dessen, was Doubek, sein Küchenhelfer Adnan al Farai aus Aleppo (dazu gleich mehr) und der frühere Restaurantleiter Filippous, David Jelinek, da aus der Küche schießen.

Doubek versteht die Zumutung als Chance und zeigt, dass eingeschränkte Möglichkeiten mitunter der beste Zündstoff für fantastische Ideen sind. Dass er sich aus Umars Fischhandlung nur die frischeste Ware holen darf, ist aber eindeutig. Dass die Preisgestaltung geradezu karitativ anmutet, ebenso. Ach ja: Ein Platzerl für einen Tellerwärmer muss sich vor dem Winter noch finden, wenigstens das Essen sollte es hier warm haben.

Manches, und nicht das Schlechteste, muss aber eh kühl genossen werden. Wächsern schmelzende, rohe Sardinenfilets zum Beispiel, mit Schalottenringen, einer Salsa aus fermentiertem Knoblauch und anchovisierten Semmelbröseln – atemberaubend gut, geht anderswo um das Fünffache der hier veranschlagten fünf Euro über die Budel.

Oder konfierter Oktopus, als lose zusammengefügte Terrine, mit pikant ploppenden Senfkörnern, leuchtgrünem Dillöl und einer Creme aus gedörrten Paradeisern obendrauf. Persischer Imperial-Kaviar der souverän großkörnigen Art darf auch sein, irgendwer muss das Zeug schließlich verdrücken, wenn uns die Russen im Stich lassen.

Doubek löffelt ihn sehr locker über eine Nocke aus salzigem Haselnusspraliné, die in gestockter Milch dümpelt, eine Art Ferrero-Küsschen mit Umami-Turbo – auch die Reichen brauchen etwas zu naschen.

Diskont-Dining

Gegrillte Bouchot-Muscheln und Bouchot-Tartare in einer Salsa aus gegrilltem Paprika.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Gegrillte Bouchot-Muscheln und Bouchot-Tartare in einer Salsa aus gegrilltem Paprika sind (siehe Bild) hübsch anzusehen, besonders zart geraten sie so halbroh natürlich auch. Vom göttlichen Meeresduft bleibt wegen der kraftvollen Aromen, die sie umspielen, aber nur wenig.

Recht wuchtig ist auch die franko-indische fermentierte Gewürzmischung Vadouvan, mit der Doubek einen kapitalen, nur kurz von der Flamme geküssten Scampo würzt – die Krustentiercreme, die er aus den Schalen zieht, stellt sich dem aber sehr gekonnt entgegen. Bretonischer Hummer gilt gemeinhin als der beste der Welt, hier gibt es um 16 Euro einen gültigen Happen davon: Mit Selleriecreme und Estragon, der den Rush an luxuriöser Meerespower noch einmal potenziert, bevor er einem durch die Ganglien rast.

Für hinterher gibt es nur ein Dessert, das macht der Mann aus Aleppo mit Mozzarella, Grieß, Ricotta, Pistazien und Limettenblütenwasser. Und was für ein duftiges Kunstwerk der nicht zu süßen Art das ist – ein würdiger Abschluss für dieses zugige Stakkato hochkarätigen Diskont-Dinings. (Severin Corti, RONDO, 23.10.2020)

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