Ein neuer Lockdown droht? Dann wird es wieder eng werden in unseren Wohnungen. Die schlimmste Folge eines Lockdowns ist der Jobverlust, ganz klar. Gleich danach kommen meiner Wahrnehmung nach jedoch all jene Ängste, die mit der konkreten Wohnsituation zu tun haben: die Angst vor Vereinsamung, vor fehlendem Raum (Individual-, Frei- und Arbeitsraum) und fehlenden Ansprechpersonen außerhalb des Haushalts und wahrscheinlich viele andere Ängste mehr. Wie etwa die Angst, dass das Homeoffice wieder nicht richtig funktionieren wird, vor allem dann, wenn gleichzeitig Kinder beaufsichtigt, bespielt und unterrichtet werden müssen.

Die meisten dieser Ängste sind direkt verknüpft mit der Wohnsituation. Sie haben mit dem Städtebau, der Siedlungsstruktur und der Haustypologie zu tun, vor allem jedoch mit der Grundrisslösung, also mit dem Zuschnitt und der Größe der Wohnung, der Belichtungssituation und der Flexibilität der Raumeinteilungen. Viele dieser Ängste gibt es schon länger. Isolation etwa ist ein Faktum, das viele von uns betrifft, und sie ist eher im Steigen begriffen. Sehr viele Personen leben alleine und viele davon unfreiwillig, und eine Änderung ihrer Lebenssituation ist nicht in Sicht. Die Probleme, die im ersten Lockdown auftraten, sollten uns zu denken geben, und dies nicht nur für den drohenden zweiten. Weil es Probleme sind, die auch ohne Pandemie da sind, nur nicht so virulent.

Zimmer, Küche, Wohnraum

Investments im Wohnen müssen genau kalkuliert werden. Wohnnutzfläche wird optimiert, um leistbares Wohnen zu garantieren. Nicht wenige Luxusapartments werden gebaut, sondern viele normale Wohnungen für alle. Das ist wichtig, es bildet die Grundlage unseres urbanen und suburbanen Zusammenlebens. Nun ist man jedoch im Zuge eines Lockdowns tatsächlich reduziert auf die oft sehr kleine Fläche der Wohnung, und da bricht bei manchen wohl Panik aus.

Ein Paar mit einem Kind wohnt in Wien in einer Neubauwohnung auf wahrscheinlich etwa 70 m2. Ein Kinderzimmer ist 10 bis 12 m2 groß und weit davon entfernt, so flexibel zu sein, dass man ein zweites Kind oder ein größeres Bett unterbringen könnte. Im Elternschlafzimmer geht sich (wie gut!) ein Bett für zwei Erwachsene aus, flankiert von zwei Nachtkästchen (hat man die wirklich noch?), und ein nicht sehr großer Kleiderschrank. Wohnzimmer haben je nach Zuschnitt 20 bis 30m2 (mit oder ohne Essplatz, als offener Wohn-Koch-Essraum). Dazu kommen flexibel offen oder geschlossen organisierbare Küche, Minimalbäder und WCs und ein Balkon. Das alles grenzt die Möglichkeiten im Grundriss so ein, dass man froh ist, wenn sich noch ein Esstisch ausgeht.

Neue Möbel sind oft riesig

Sind unsere Möbel zu groß? Sie werden auf jeden Fall gerade immer größer. Die Ausmaße der Sofalandschaften, die im gängigen Sortiment angeboten werden, sind riesig. Ein solches Riesensofa und einen größeren Fernseher in einer Dreizimmerwohnung unterzubringen, ist dann schon eine Kunst. Eine freistehende Kochinsel macht sich in Werbeaufnahmen sehr gut. Sie suggeriert ein Urlaubsfeeling (Insel!), und oft posiert in den Fotos sogar ein Mann davor, wow! Tatsächlich verstellt ein solches Teil nicht nur die Küche sondern die Hälfte eines Wohn-Esszimmers gleich dazu. Sofalandschaft und Kochinsel folgen einem Narrativ, jenem des dringend notwendigen Einfamilienhauses. Wenn die Möbel zu groß werden, reicht die Wohnung nicht mehr und das Haus muss her!

Als die Möbel noch klein waren.
Foto: Sabine Pollak
Die alten Maßstäbe, klein gegen heutige.
Foto: Sabine Pollak

Weg mit dem Gelsenkirchen Barock!

Als der finnische Architekt Alvar Aalto Mitte der 1950er-Jahre ein Apartmenthaus für das Hansaviertel in Berlin plante, sprach er von einer notwendigen Befreiung des Wohnzimmers. Anstelle der „guten Stube“, die immer picobello aussehen musste und mit Möbeln gefüllt war, die nicht dem Gebrauch, sondern einem Status entsprachen, öffnete er das Wohnzimmer für alle möglichen Tätigkeiten, die man eben zu Hause so tun wollte. Kinder sollten im Wohnzimmer die Schulaufgaben machen oder spielen, es war zugleich ein Arbeitsraum und vor allem war es ein zentraler Raum, der den Flur als bestimmendes Element im Grundriss ersetzte.

Aaltos Wohnungen für Berlin waren etwas größer als unsere smart geplanten Ökonomie-Typologien. Er schaffte es aber sehr gut zu vermitteln, dass man nicht unbedingt riesige Räume brauchte, um gut und modern zu wohnen. Ein offener, irregulär zugeschnittener Wohnraum mit einer gut nutzbaren Loggia tat es auch. „Weg mit dem Gelsenkirchner Barock“ war einer der Slogans, mit denen das Hansaviertel warb. Die unsinnig großen und verschnörkelten Pseudo-Salonmöbel waren schlichtweg zu groß, um nun in die niedrigen Wohnungen zu passen. So kann man es auch machen, eine diskursivere Methode wäre aber vielleicht zielführender.

Wohnungen für zukünftige Lebensstile

Das Hansaviertel hatte als internationale Bauausstellung einen erzieherischen Charakter, so wie alle Bauausstellungen. Neue leichte und flexible Möbel kurbelten die Industrie an und ermöglichten einen ebenso neuen, luftig leichten Lebensstil. Und heute? Was ist denn unser heutiger beziehungsweise unser zukünftiger Lebensstil? Vor einem drohenden zweiten Lockdown sollten wir überlegen, was eigentlich gerade nicht so gut läuft im Wohnen. Wir könnten überprüfen, ob unsere Wohnungen offen und flexibel genug sind, ob der Haustypus einen Austausch mit anderen Bewohnenden erlaubt oder ob es teilbare Zimmer und Nischen für ein Homeoffice gibt. Die offene Küche kann im Normalzustand praktikabel sein, aber im Homeoffice stört sie vielleicht. Vielleicht braucht man die Riesen-Sofalandschaft auch gar nicht wirklich und es gibt Alternativen. Oder das große Sofa ist gerade jetzt ein wichtiger Trost, und dafür hat halt sonst nicht viel Platz in der Wohnung!  

Höhlen zum Nachdenken

Jetzt, wenn es früh dunkel wird und sich alles gerade wieder in Richtung Zero bewegt (kein Ausgang, keine Sozialkontakte, keine Party), ist ein guter Zeitpunkt, um grundsätzlich über das Wohnen nachzudenken. Wir sollten die Nutzbarkeit von Räumen und deren Proportionen diskutieren und nachprüfen, ob die Möbel aus dem Möbelhaus in die knappen Zimmer mit 2,50 Meter Raumhöhe reinpassen. Wenn nein, müssen vielleicht andere Möbel her oder wir müssen mit anderen Volumina agieren. Die Wohnung soll Heim, Büro, Schule, Kommunikations- und Freiraum zugleich sein? Das ist eine Riesenaufgabe. Bevor wir also wieder in unsere Höhlen kriechen, lasst uns nachdenken darüber, wie wir es zukünftig besser machen, das mit dem Wohnen. (Sabine Pollak, 28.10.2020)

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