Seit Anfang September tobt das Creek Fire. Die Einsatzkräfte konnten inzwischen etwa 60 Prozent des Feuers unter Kontrolle bringen.

Foto: AFP/DAVID MCNEW

Blauer Himmel, angenehm warme Temperaturen: Es herrschte das perfekte Wanderwetter, als Steven Vilter Anfang September seinen Chevrolet Tahoe im kalifornischen Sierra National Forest abstellte und einen zehntägigen Fußmarsch antrat. Der pensionierte Arzt war erst zwei Tage unterwegs – Luft und Sicht waren klar –, als ihn die Nachricht per GPS-Gerät erreichte: "Waldbrand, die Sicherheitskräfte evakuieren das Gelände, geben Sie Ihren Standort durch."

"Ich evakuiere mich selbst", antwortete Vilter, ein erfahrener Wanderer, und schlug unter plötzlich orangefarbenem Himmel eine andere Richtung ein. Sein Fahrzeug musste er zurücklassen. Das sogenannte Creek Fire breitete sich rasant aus, die Flammen fielen über Häuser und Ställe her. Heute – sieben Wochen später – ist es der größte noch wütende Brandherd Kaliforniens.

Aussteiger in den Wäldern

Wenige Wochen nach der geglückten Evakuierung wird Vilter erneut von den Einsatzkräften kontaktiert, erzählt er dem STANDARD am Telefon. Diesmal wurde er um Hilfe gebeten. Der Kalifornier ist Mitglied eines freiwilligen Suchtrupps, der die Polizei bei Suchaktionen hilft. Er soll im nördlich von Sacramento gelegenen Butte County nach menschlichen Überresten suchen. Tage zuvor haben hier Flammen gewütet. Er muss sich mit einem Stock über den mit Asche bedeckten Boden vortasten, um nicht in ein Loch zu fallen. Aus Erfahrung weiß er, dass durch Glut Hohlräume im Boden entstehen können.

An einer Stelle schimmert es dunkelrot. Vilter findet ein kleines Spielzeugauto – ein Indiz dafür, dass das Waldhaus, vor dessen Überresten er steht, grundsätzlich bewohnt gewesen ist. Die Wälder, in denen das North-Complex-Feuer wütet, sind spärlich bewohnt. Hier leben viele Aussteiger und Zivilisationskritiker, teils am rechten Rand. Weil sie nicht gefunden werden wollen, erreichen sie aber auch keine lebensrettenden Evakuierungsbefehle. Die zermürbende Bilanz der Einsatzkräfte in Butte County: 15 Tote und 2.455 Sachschadenfälle.

Nach den Flammen des Creek Fire: der Sierra National Forest.
Foto: Steven Vilter

Das Ende der Waldbrandsaison 2020 ist noch nicht in Sicht. Doch bereits jetzt ist sie nach Angaben der zuständigen Behörde die verheerendste in der Geschichte Kaliforniens. Tausende Brände haben eine Rekordfläche von der Größe der Steiermark zerstört – mehr als 1,7 Millionen Hektar Land. Nasa-Satellitenbilder zeigen riesige schwarze Flecken auf der Landkarte des Bundesstaats. Die Flammen haben bisher 31 Menschen das Leben gekostet. Zehntausende mussten ihre Häuser zurücklassen. Weil einige Feuer weiter toben, ist die Schadensanalyse noch unvollständig. Das führt zu einem Gezerre mit Washington um Notfallgelder.

Hickhack

Betroffene brauchen psychologische Hilfe, Unterkünfte und Rechtsbeistand. Zudem muss der Schutt weggeräumt werden, ehe der Regen einsetzt und damit die Gefahr von Erdrutschen und Vergiftung von Flüssen steigt. Die US-Behörde für Katastrophenhilfe hatte wochenlang ein Ansuchen Kaliforniens mit dem Argument abgelehnt, dass der Antrag die entsprechenden Kriterien nicht erfülle. Erst jetzt lenkte US-Präsident Donald Trump ein. Er weigert sich aber weiterhin, Zusammenhänge zwischen den Bränden und dem Klimawandel anzuerkennen.

Die Waldbrände haben unmittelbare Folgen für die Luftqualität.
Foto: Steven Vilter

Waldbrände sind an der US-Westküste nichts Ungewöhnliches: Im Jahr 1860 entsendete Kaliforniens Bergbaubehörde den Botaniker William Brewer in die Wälder des Bundesstaats. Er befand das Gebiet für nicht besonders lebenswert: Wegen der Hitzewellen schmelze "ungekochtes Fleisch zu einer Soße", die Wälder könnten sich schlagartig in riesige "Feuertücher" verwandeln.

Auch Vilter, der in den 1960er-Jahren in Kalifornien aufwuchs, erinnert sich daran, dass er als Kind Ascheflocken über Los Angeles mit Schnee verwechselte. Doch seither hat sich einiges verändert: Die "Feuersaison" dauert rund 84 Tage länger als noch 1970. Und die Brände fordern mehr Opfer, sagt Vilter und erinnert an das Feuer in Paradise im Jahr 2018, bei dem 86 Menschen starben. Studien deuten zudem auf einen Anstieg von Atemwegserkrankungen und steigende Kosten für den Gesundheitssektor hin.

Nach sieben Wochen wieder mit seinem Fahrzeug vereint: Steven Vilter.
Foto: Steven Vilter

Die Menschen sind nicht nur Leidtragende, sie verursachen sogar die meisten Brände: Die Wälder werden vermehrt besiedelt, das erhöht das Brandrisiko. Für Feuer braucht es aber nicht nur den Funken, sondern auch bestimmte Wetterbedingungen und Brennstoff. Hier wird für die Wissenschaft der Einfluss des Klimawandels deutlich: Der Temperaturanstieg liegt in Kalifornien höher als im globalen Durchschnitt. Die Hitze entzieht der Vegetation Feuchtigkeit, sie wird leichter entflammbar. Zudem setzten die Hitzeperioden früher ein, der Herbstregen verzögert sich. Der Brandschutzdienst Cal Fire erklärte deshalb, dass die Waldbrandsaison nun das ganze Jahr dauert.

"Wir müssen lernen, mit dem Feuer zu leben", glaubt Vilter, der täglich die Luftqualität prüft und nicht nur wegen Covid-19 immer eine Maske dabeihat. Am Wochenende kehrte er in den Sierra National Forest zurück – die Einsatzkräfte konnten etwa 60 Prozent des Feuers unter ihre Kontrolle bringen. Zurück bleibt ein Meer aus verkohlten Baumstämmen. Seinen Chevrolet fand er unversehrt vor. (Flora Mory, 21.10.2020)