In Sorge um den Deutschen Bundestag: Präsident Wolfgang Schäuble (CDU) und Vizepräsidentin Claudia Roth (Grüne).
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Florian Post, Rechtsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, ist diese Woche der Kragen geplatzt. Wütend macht ihn das Vorgehen seiner eigenen Genossen in der deutschen Bundesregierung und in den 16 Bundesländern – und natürlich auch das von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

"Seit fast einem Dreivierteljahr erlässt die Regierung in Bund, Ländern und Kommunen Verordnungen, die in einer noch nie dagewesenen Art und Weise im Nachkriegsdeutschland die Freiheiten der Menschen beschränken, ohne dass auch nur einmal ein gewähltes Parlament darüber abgestimmt hat", kritisierte er in der "Bild"-Zeitung.

Regelmäßig bittet Merkel ja die Regierungschefs der Bundesländer zu Beratungen. Während des Sommers tagte man per Videokonferenz. Bei der bisher letzten Sitzung in der vergangenen Woche waren die Ministerpräsidenten allerdings wegen der zugespitzten Situation persönlich im Kanzleramt anwesend. Hernach eilten die Länderchefs nach Hause, um die Beschlüsse in Verordnungen zu gießen.

Das Grundgesetz, mahnt Post, kenne jedoch gar keine Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs. Eine solche sei nicht als "gesetzgeberisches Organ vorgesehen".

Unmut regt sich auch in der Union und bei der Opposition. "Das ist eine beunruhigende Entwicklung", sagt Fraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) und betont, das Parlament müsse "wieder selbstbewusster seine Rolle als Gesetzgeber einfordern und dann aber auch ausfüllen".

Brief von Schäuble

"Wenn wir als Parlament unsere Aufgabe jetzt nicht wahrnehmen, dann hat die Demokratie einen dauerhaften Schaden. Es ist die Aufgabe des Parlaments, wesentliche Entscheidungen zu treffen, und nicht die Aufgabe von Regierungsmitgliedern", warnt Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP).

Unterstützung bekommen die Abgeordneten von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). In einem Schreiben an alle Fraktionen mahnt auch er: "Das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip verpflichten den parlamentarischen Gesetzgeber, wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Verwaltung zu überlassen. Je intensiver und breiter wirkend der Grundrechtseingriff ist, desto höher muss die parlamentsgesetzliche Regelungsdichte sein."

Es dürfte also hoch hergehen, wenn nächste Woche im Plenum über das Thema diskutiert wird – auch aus ganz konkretem aktuellem Anlass. Im März, in der Corona-Hochphase, hatte der Bundestag dem deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Sonderrechte eingeräumt: Er kann ohne Zustimmung des Bundestags Verordnungen erlassen.

Deutscher Gesundheitsminister positiv getestet

Allerdings ist diese Möglichkeit für ihn bis zum 31. März 2021 befristet. Nun jedoch will das Gesundheitsministerium im Eilverfahren diese Sonderrechte verlängern und ausbauen – "verstetigen", wie es im Gesetzesentwurf heißt.

Dies würde ihm etwa erlauben, "zum Schutz der Bevölkerung vor einer Gefährdung durch schwerwiegende übertragbare Krankheiten" den Reiseverkehr zu kontrollieren. So könnten Personen, die aus Risikogebieten nach Deutschland einreisen, detaillierte Angaben zur Person machen müssen.

Spahn selbst – er wurde am Mittwoch positiv auf das Virus getestet – verteidigt die Sonderrechte und weist darauf hin, dass der Bundestag ja die grundsätzliche Ermächtigung geben müsse: "Das ist nicht irgendwie Willkür oder Zufall, dass es entsprechende Möglichkeiten für den Bund, für den Bundesminister gibt oder für die Länder, sondern das sind gesetzliche Grundlagen, vom Bundestag beschlossene Grundlagen".

Unterstützung bekommt Spahn vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CDU), der mehr Kompetenzen für den Bund beim Infektionsschutz fordert. Im Gegenzug erhält Söder Lob von Spahn für den Lockdown im bayerischen Landkreis Berchtesgaden. Söder habe "genau richtig" gehandelt, meint der Gesundheitsminister.

AfD verweigert Masken

Bundestagspräsident Schäuble hat übrigens Druck von der AfD. Im Bundestag gilt seit 6. Oktober Maskenpflicht, die AfD-Abgeordneten wollen aber keinen Mund-Nasen-Schutz tragen. Sie meinen, Schäuble habe zwar das Hausrecht im Bundestag, eine Maskenpflicht hätte aber nur der Bundestag selbst beschließen dürfen, weil dies ein Eingriff in die Kleiderordnung sei. (Birgit Baumann, 22.10.2020)