Viele sehr junge Menschen kamen zum Begräbnis von Mohammed Reza Shajarian in Tus.

Foto: APA/AFP / Mohammad Taghi

Verwandle unsere dunkle Nacht in den Morgen", diesen Refrain sangen die Konzertbesucher in aller Welt mit, wenn Mohammed Reza Shajarian seine Darbietungen wie stets mit dem Lied Vogel der Morgenröte (Morgh-e Sahar) beschloss. Den Iranern und Iranerinnen wurden die Konzerte ihres "Maestro" oder "Ostad" ab 2009 vorenthalten; erst nach seinem Tod am 8. Oktober in Teheran wurde seine Musik erstmals wieder im staatlichen iranischen Rundfunk gespielt.

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Shajarian, der achtzig Jahre alt wurde, wurde auf eigenen Wunsch in der Stadt Tus nahe dem Grabmal für den persischen Dichter Abulghassem Ferdousi bestattet. Die auch im Iran dramatische Corona-Situation half den Behörden dabei, das Begräbnis unter Kontrolle zu halten. Vor dem Krankenhaus, in dem Shajarian starb, hatten sich teils hemmungslos weinende Menschen versammelt, ihre Trauer kippte rasch in Protest gegen das Regime um. Laut Netblocks, einer Cybersecurity-NGO, blockierten die Behörden sicherheitshalber in Teheran kurzzeitig das Internet.

Unantastbar – fast

Denn Shajarians Meisterschaft als Interpret klassischer persischer Lyrik und Musik war die eine Sache – sein Status als politische Figur, die sich jedoch nie politisch betätigte, war die andere. Das islamistische Regime zeigte – gücklicherweise wahrscheinlich – eine gewisse Unbeholfenheit im Umgang mit einem Künstler, der eine jahrhundertealte poetische Tradition verkörperte, gegen die sich nicht einmal islamische Ultras zu wenden getrauten. Das machte ihn fast unantastbar. Man kann den Iranern viel wegnehmen, ihren Hafez, Rumi oder Omar Khayyam aber nicht.

Diese Tradition, die Shajarian verkörperte, ist jedoch eben nicht nur künstlerisch, sondern auch politisch subversiv. Im vorher erwähnten Morgh-e sahar geht es um den Vogel im Käfig, der "das Lied der menschlichen Freiheit" singt. Das Gedicht stammt aus den 1920er-Jahren, als die Pahlavis nach den Kadscharen an die Macht kamen, und war schon damals gegen die Repression von oben gerichtet. In der Fassung Shajarians wurde es zur in der Islamischen Republik ewig aktuellen Hymne.

Shajarian begleitete mit seinen Liedern die Revolution im Jahr 1979, die sich ja erst in den Monaten nach dem Sturz des Schahs "islamisierte". 2009, als die Protestwelle gegen die gefälschte Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmedi-Nejad anrollte, verbat sich Shajarian, dass seine Songs aus den Revolutionsjahren im staatlichen Rundfunk gespielt werden. Sie gehörten nicht mehr in diese Zeit, sagte er.

Und er verbalisierte erneut die Gefühle der aufgebrachten Menschen auf den Straßen, indem er das Gedicht Sprache aus Feuer und Eisen von Fereydun Moshiri vertonte: "Leg dein Gewehr nieder (...), setz dich hin, rede, höre zu. Vielleicht wird das Licht der Menschlichkeit auch dein Herz erreichen." Als Ahmadi-Nejad die Demonstranten und Demonstrantinnen als "Staub und Abfall" beschimpfte, bezeichnete sich Shajarian in einem BBC-Interview selbst als "die Stimme von Staub und Abfall".

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Seitdem war seine Musik aus der iranischen Öffentlichkeit verbannt, wie er selbst 2015 bekanntmachte und klarstellte, dass er sich nicht aus freien Stücken zurückgezogen habe. Seine Auftritte fanden in der Diaspora weiter statt, für viele der Auslandsiraner und -iranerinnen war er eine enge Verbindung in die Heimat. In einem Nachruf auf Qantara.de schildert Stefan Buchen die Szenen, als seine zum Teil hochbetagten Fans am Schluss der Konzerte in London, Köln oder New York lautstark den Vogel der Morgenröte einforderten.

Religiöse Tradition

Shajarian hielt gewissermaßen die Iraner drinnen und draußen, Alte und Junge – die ihn 2009 neu entdeckten – und über alle Gesellschaftsschichten hinweg zusammen. Sein Hintergrund musste auch dem Mullah-Regime gefallen: Bereits als Kind hatte er seine Ausbildung als Koranrezitator und religiöser Sänger begonnen, diese stimmbildnerische Tradition war ihm anzumerken.

Für viele iranische Haushalte war und ist zwar ein Ramadan ohne Fasten und ohne viel Religion durchaus denkbar – zur unverzichtbaren Ramadan-Folklore gehört aber Shajarians Aufnahme von Rabbana aus dem Jahr 1979, ein Gebet, a cappella gesungen, mit einer Anmutung, als ob es von einem Minarett käme, im hohen flexiblen Tenor, der damals für Shajarian charakteristisch war.

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Als die staatlichen Medien nach den Protesten 2009 die Ausstrahlung von Rabbana zur Zeit des Sonnenuntergangs, vor dem Fastenbrechen, einstellten, griffen die Fans eben auf andere Mittel zurück. Auch als Handy-Klingelton war Rabbana zu haben. (Gudrun Harrer, 22.10.2020)