Rosé, Grün, Türkis – Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) wechselte in den vergangenen drei Tagen seine Gesprächspartnerinnen und -partner wie seine Krawatten. Für das erste Sondierungsgespräch mit Christoph Wiederkehr und den Neos trug Ludwig dunkle Blümchen auf Rosa um den Hals. Die amtierende Stadtvize Birgit Hebein begrüßte Ludwig in hellgrüner Krawatte mit Ornamenten. Beim dritten und letzten Gespräch am Mittwoch kramte er den passenden Schlips für Finanzminister und ÖVP-Landeschef Gernot Blümel hervor –türkis mit schwarzen Streifen.

Am Mittwochnachmittag kam Finanzminister Gernot Blümel zu Bürgermeister Michael Ludwig ins Rathaus.
Foto: Matthias Cremer

Ludwig mag es gerne durchgeplant. Er ist lieber etwas zu viel als auch nur ein bisschen zu wenig vorbereitet. Ein Fan von Überraschungen ist er nicht. Das zeigte sich auch in den Sondierungsgesprächen, bei denen nicht nur die Accessoires des sozialdemokratischen Bürgermeisters durchgestylt waren.

Bunte Inszenierung

Alle Treffen folgten einer penibel durchgeplanten Inszenierung: Montag bis Mittwoch, immer pünktlich um 16 Uhr, durften die Spitzenkandidaten jener drei Parteien, die für eine Koalition rechnerisch und inhaltlich infrage kommen, an Ludwigs übergroßem Besprechungstisch im Rathaus Platz nehmen.

Die FPÖ, die Dominik Nepp als Listenerster in den Wahlkampf geführt hatte, erhielt von Ludwig keine Offerte. Bereits im Wahlkampf hatte der Stadtchef eine Koalition mit den Blauen wegen mangelnder Überschneidungen ausgeschlossen.

Die ersten Schnittchen gingen am Montag an Christoph Wiederkehr von den Neos.
Foto: Matthias Cremer

Für jene, die geladen waren, startete der Termin eine Viertelstunde vor dem Gespräch mit dem gemeinsamen Auftritt vor den Medien. Stehend vor der städtischen Logowand und sitzend am Verhandlungstisch. Während der Fotosessions verteilte Ludwig süße Punschkrapferln, vegane Bio-Schokoküchlein und – um die Türkisen ein wenig an ihre Wurzeln zu erinnern – Schmankerln der Bäckerei Schwarz.

Vertrauliche Gespräche

Sogar die Tweets des Bürgermeisters fielen auffallend ähnlich aus: "Sehr sachlich und vertraut" war das Gespräch laut Ludwigs Twitter-Account mit den Grünen, "sehr konstruktiv und in freundlicher Atmosphäre" jenes mit den Pinken.

Birgit Hebein brachte ein Gastgeschenk für den Bürgermeister mit: Bier einer kleinen Wiener Brauerei, die eine Wien-Wahl-Sonderedition gedruckt hat. Das Bier, das Hebein Michael Ludwig schenkte, trug Birgit- und Michl-Etiketten. Ludwigs Spitzname ist aber eigentlich "Michi". "Michl" war sein Vorgänger Michael Häupl.
Foto: Matthias Cremer

Zwischen dem ganzen Süßkram, den Freundlichkeiten und Gastgeschenken – Hebein und ihr Team brachten Bier einer kleinen Wiener Brauerei mit Michl- und Birgit-Etiketten – blieben inhaltliche Ansagen vor und nach den Treffen aus. Schließlich forderte der Bürgermeister Vertraulichkeit ein. Diesen ersten Test wollte keiner versemmeln.

Nach dem Gespräch mit den Türkisen ist der bunte Sondierungsreigen seit Mittwochabend abgeschlossen. Der weitere Fahrplan Richtung Stadtregierung steht: Erst will das rote Verhandlerteam die Gespräche Revue passieren lassen. Dabei berät sich Ludwig mit seinen Vertrauten: Landesparteisekretärin Barbara Novak, Klubsprecher Josef Taucher und Kommunikationschef Raphael Sternfeld, der als Protokollant zu den Sondierungen geschickt wurde.

Roter Weg

Ist der erste Prozess in der Kleingruppe abgeschlossen, wird der Parteivorstand zusammengetrommelt. Dort holt sich Ludwig den Sanktus der Parteispitze, Verhandlungen zu starten. Die Sitzung soll rund um den Nationalfeiertag, Anfang nächster Woche, über die Bühne gehen.

Die Schaumrollen standen am Mittwoch schon auf dem Tisch. Auf das Foto mit Gernot Blümel und Michael Ludwig vor der Logowand der Stadt Wien haben sie es nicht geschafft.
Foto: Matthias Cremer

Welche Partei fortan mit Ludwig exklusiv am Tisch Platz nimmt, dürfte noch nicht fix sein – auch wenn die ÖVP immer mehr in die Außenseiterrolle gerutscht ist. Wurde sie vor der Wahl noch als Ludwigs Ausstiegsmöglichkeit aus Rot-Grün gehandelt, nehmen diese Position seither die Neos ein. Zu groß schätzen viele die inhaltlichen Unterschiede zwischen ÖVP und SPÖ ein.

Diese sprach am Mittwoch auch Blümel an. "Wir haben in einigen Bereichen durchaus Differenzen wahrgenommen", betonte er. Inhaltlich habe man zum Teil "wenig Bewegungsspielraum" gesehen, etwa wenn es um Fragen wie Deutsch vor Gemeindebau, Mindestsicherung oder den Pensionsbereich gehe, sagte Blümel.

Der Pinke Wiederkehr jedenfalls ist sich sicher, dass es sich bei dem Herantasten an die SPÖ um die Auslotung der Chance auf eine "Reformkoalition" gehandelt habe. Dass es von Ludwig nur genutzt wird, um Druck auf die Grünen auszuüben, glaubt der Neos-Chef nicht.

Ludwigs Chance

Etwas anders dürfte das die grüne Vizebürgermeisterin Hebein sehen. Sie gibt sich nach außen optimistisch, was eine Neuauflage der rot-grünen Koalition anbelangt. SPÖ und Grüne seien motiviert, für die Stadt zu arbeiten, sagte sie nach ihrem Gespräch mit Ludwig. "Man spürt die Kraft. Rot-Grün mit Ludwig/Hebein ist spürbar." Für die Grünen wäre ein Rauswurf aus der Koalition ein schwerer Schlag.

Christoph Wiederkehrs Team kam mit pinken Unterlagen zum Termin mit dem Bürgermeister.
Foto: Matthias Cremer

Und Ludwig? Auch er hält sich bedeckt. Er will eine stabile Koalition, für fünf Jahre, keine Neuwahlen davor – nicht so wie im Bund. Das hat der Stadtchef mehrfach betont. Für Ludwig als Parteichef ist es die größte Entscheidung bisher. Und diese wird nicht einfach. Noch ist Ludwig auf der Überholspur: Erst gewann er den internen Zweikampf um die Parteiführung, dann beschwichtigte er mit dem Umbau des Regierungsteams die streitfreudigen Flügel der Wiener SPÖ. Jetzt konnte er das rote Wahlergebnis ausbauen.

Vizebürgermeisterin Birgit Hebein saß am Dienstag sicher nicht zum ersten Mal am Tisch von Michael Ludwig.
Foto: Matthias Cremer

Eine falsche Entscheidung könnte Ludwig von dem Siegeszug werfen: Geht sein Plan bei den Verhandlungen nicht auf, überwirft sich die Koalition nach nur kurzer Zeit – das alles wäre ein gefundenes Futter für Ludwigs interne Kritiker. Die Gefahr ist für ihn auch eine Chance: Läuft alles rund, gewinnt er an Zuspruch, könnte er seine Stellung in der gesamten Partei ausbauen.

Großer Zeitdruck

Zeit zum Trödeln bleibt Ludwig nicht. Bis 24. November muss sich der Gemeinderat konstituieren. Da sollte die Regierung stehen. Zuvor muss die Koalition noch durch die Gremien der SPÖ und des Partners. (Oona Kroisleitner, 22.10.2020)