Der ehemalige US-Präsident Barack Obama warb bei einer Drive-in-Kundgebung für Joe Biden.

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Washington – Es ist nicht so, dass Barack Obama noch nicht ins Wahlkampfgeschehen eingegriffen hätte. Schon vor zwei Monaten, beim Nominierungsparteitag der Demokraten virtuell zugeschaltet, hielt er eine Gardinenpredigt, in der er sich so eindeutig missbilligend über seinen Nachfolger im Weißen Haus äußerte, wie man es angesichts früherer Zurückhaltung von ihm nicht kannte. "Donald Trump ist in den Job nicht hineingewachsen, weil er es nicht kann", wetterte der Altpräsident, der auf einmal zur verbalen Keule griff, statt sich, was eigentlich seine Art ist, des Floretts zu bedienen. Am Mittwochabend in Philadelphia war wieder der alte Obama zu erleben, der Meister der feinen rhetorischen Klinge.

Um für seinen ehemaligen Vize Joe Biden zu werben, stürzte er sich nach längerer Pause direkt ins Wahlkampfgetümmel. Wobei man das mit dem Getümmel nicht so wörtlich nehmen sollte. Während Trump vor jeweils tausenden Anhängern auf Kundgebungen redet, haben die Demokraten die coronagerechte Variante des Drive-in für sich entdeckt. Man fährt im Auto auf einen Parkplatz, idealerweise in einem Fahrzeug mit offenem Dach, um den Auftritt des Protagonisten oder der Protagonistin von dort aus zu verfolgen. Räumliche Distanz ist garantiert, Hupen ersetzt den Applaus. Im Fall Obamas waren es um die 200 Fahrzeuge, die die Veranstalter zuließen. So viel zum Ambiente. Inhaltlich hatte der Redner einen Nadelstich nach dem anderen gegen den Mann zu bieten, der förmlich besessen ist von dem Gedanken, möglichst alles rückgängig zu machen, was sein Vorgänger auf den Weg gebracht hat.

Kalauer gegen Trump

Da wäre ein bislang verschwiegenes Bankkonto Trumps in China, ein Konto, dessen Existenz die "New York Times" erst am Dienstag enthüllt hat. "Wir wissen, dass er weiter Geschäfte mit China macht, weil er dort ein geheimes Konto besitzt", sagte Obama und gab zu verstehen, dass sein Nachfolger für sich persönlich andere Maßstäbe gelten lässt, während er ständig betont, dass keiner so kompromisslos mit Peking umgehe wie er. "Stellt euch vor, ich hätte ein geheimes chinesisches Konto besessen, als ich mich zur Wiederwahl stellte. Sie hätten mich Peking-Barry genannt." Im englischen Original klingt es besser: "Beijing Barry".

Da wäre zweitens ein Handbuch für den Umgang mit gefährlichen Viren, das der 44. US-Präsident dem 45. hinterließ. Auf 70 Seiten fassten Experten zusammen, was sie aus der Ebola-Epidemie und der Verbreitung des Zika-Virus gelernt hatten. Neuartige Coronaviren, warnten sie, seien etwas, worauf man besonders achten müsse. Trump indes behauptete gerade in den ersten Monaten der Pandemie, die Vorgängerregierung habe ihm nichts hinterlassen als leere Regale. Nun folgt, fast schon im Stil eines Kabarettisten vorgetragen, die pointierte Replik. Das Handbuch, kalauert Obama, sei von Trumps Leuten offenbar dazu verwendet worden, einen wackligen Tisch zu stabilisieren.

"Er hat kein Interesse daran gezeigt, die Arbeit zu erledigen oder jemand anderem als sich selbst zu helfen", sagte Obama. Er verurteilte wiederholt Trumps Umgang mit der Pandemie. "Donald Trump wird uns nicht plötzlich alle beschützen", sagte er. "Er kann nicht einmal die grundlegenden Schritte unternehmen, um sich selbst zu schützen."

Frieden an der Thanksgiving-Tafel

Da wäre drittens die grotesk niedrige Einkommensteuer des Milliardärs aus New York, 2016 und 2017 jeweils 750 Dollar. Solche Summen habe er an Steuern gezahlt, als er im Alter von 15 Jahren im Ferienjob in einer Baskin-Robbins-Eisdiele aushalf, stichelte der Demokrat.

Schließlich die Mahnung, diesmal unbedingt an der Wahl teilzunehmen. Auch in Philadelphia, einer Stadt, deren Bevölkerung fast zur Hälfte aus Afroamerikanern besteht, hatten schwarze Wähler, die sich für Obama noch begeistern konnten, der Kandidatin Hillary Clinton vor vier Jahren die kalte Schulter gezeigt. Tausende verzichteten darauf, ihre Stimme abzugeben, was zu Trumps Überraschungssieg im heißumkämpften Swing-State Pennsylvania beitrug. Im Fall Bidens dürfe sich dergleichen nicht wiederholen, appelliert Obama an die mit den Demokraten sympathisierenden Bewohner Philadelphias, "dies ist das wichtigste Votum unseres Lebens". Im Übrigen, schiebt er hinterher, nun wieder augenzwinkernd, lasse sich Thanksgiving, das im November anstehende Familienfest rund um den Truthahn, wesentlich entspannter feiern, wenn Trump verliere und ein Grund für innerfamiliäre Kontroversen entfalle. "Ihr müsst euch dann nicht mehr jeden Tag streiten. Es wird nicht mehr so anstrengend sein."

Romney stimmt nicht für Trump

Auch Obamas früherer Herausforderer für das Amt des US-Präsidenten, Mitt Romney, stellt sich gegen Trump. Er habe bei der Wahl nicht für Trump gestimmt, sagte der als innerparteilicher Kritiker Trumps bekannte republikanische Senator dem Sender CNN am Donnerstag. Ob er seine Stimme Biden gegeben hat, verriet Romney nicht. "Ich habe nicht für Präsident Trump gestimmt", sagte er nur. Auf wen seine Wahl fiel, wolle er "zu diesem Zeitpunkt für mich behalten".

Möglich wäre auch, dass Romney bei seiner vorzeitigen Stimmabgabe für einen der chancenlosen Nischenkandidaten gestimmt hat, die am 3. November neben Trump und Biden ins Rennen gehen. Millionen Amerikaner nutzen die Möglichkeit, schon vor dem Wahltag in speziell dafür geöffneten Wahllokalen oder per Briefwahl abzustimmen.

Demokraten boykottieren Ausschussabstimmung über Richterin

Wirbel gibt es auch weiterhin um Trumps Kandidatin für das Oberste Gericht. Die Demokraten im Justizausschuss des Senats werden am Donnerstag die Abstimmung über Amy Coney Barrett als Kandidatin für den Supreme Court boykottieren. Damit wolle man das von den Republikanern durchgeboxte Verfahren nicht weiter legitimieren, erklärten die demokratischen Abgeordneten am Mittwoch. Die Sitzung des Gremiums ist ein Zwischenschritt vor der für Montag erwarteten Abstimmung über Barrett im gesamten Senat.

Die Richter werden vom Präsidenten nominiert und vom Senat ernannt. Barrett soll nach dem Willen Trumps die im September verstorbene liberale Justizikone Ruth Bader Ginsburg ersetzen. Die Konservativen würden mit Barretts Ernennung ihre Mehrheit auf sechs von neun Sitzen am Obersten Gericht ausbauen. Die Demokraten fordern, dass erst der Sieger der Wahl über die Ginsburg-Nachfolge entscheiden sollte.

Der Justizausschuss hat 22 Mitglieder, davon sind zwölf Republikaner. Die Demokraten könnten durch ihren Boykott also nur dann eine Abstimmung über Barrett behindern, wenn auch jemand aus der republikanischen Mehrheit der Sitzung fernbleibt. Darauf gab es bisher keine Hinweise.

Einmischung aus Iran und Russland

US-Geheimdienste warnen währenddessen vor einer Gefahr von außen. Der Iran und Russland mischen sich demnach aktiv in die US-Wahl ein. Sie verbreiteten Falschinformationen und hätten illegal "einige" persönliche Daten registrierter Wähler erbeutet, sagte Geheimdienstkoordinator John Ratcliffe am Mittwochabend bei einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz. Die Daten könnten missbraucht werden, um Wähler falsch zu informieren und Verwirrung zu stiften. Iranische Stellen hätten bereits E-Mails verschickt mit dem Ziel, "Wähler einzuschüchtern, sozialen Unfrieden zu schüren und Präsident Trump zu schaden", sagte Ratcliffe.

Gleichzeitig versicherte er den Amerikanern, dass die Integrität der Wahl am 3. November nicht gefährdet sei. "Seien sie versichert: Ihre Stimmen sind sicher", sagte Ratcliffe. Der Chef der Bundespolizei FBI, Christopher Wray, fügte hinzu: "Wir werden keine Einmischung aus dem Ausland in unsere Wahl oder jegliche kriminellen Aktivitäten tolerieren, die die Unversehrtheit Ihrer Stimme untergraben oder das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Ergebnis der Wahl untergraben." Der Iran und Russland wiesen die Vorwürfe zurück.

Offene Fragen

Die "New York Times" berichtete, Regierungsmitarbeiter hätten nicht behauptet, dass das System der Wählerregistrierung gehackt worden sei. Die Namen von Wählern, Parteizugehörigkeit und einige Kontaktinformationen seien öffentlich zugängig. Diese Informationen können mit anderen Angaben wie E-Mail-Adressen aus anderen Datenbanken verknüpft worden sein, zitierte das Blatt einen Geheimdienstmitarbeiter. Dazu könnten auch Informationen gehören, die Hacker-Netzwerke im "dark web" (anonyme Netzwerke) verkauft hätten.

Bei den von iranischen Stellen verschickten E-Mails handelte es sich offensichtlich um kürzlich bekanntgewordene Schreiben, die im Namen der rechtslastigen US-Gruppe Proud Boys gesendet wurden, wie US-Medien unter Berufung auf das Heimatschutzministerium berichteten. Die E-Mails gingen demnach vor allem an demokratische Wähler in Teilen der Bundesstaaten Alaska und Florida. Die Empfänger wurden bedroht und aufgefordert, für den Republikaner Trump zu stimmen. Ratcliffe nannte keine Einzelheiten zu den E-Mails, sondern verwies auf die Medienberichte.

Der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im US-Repräsentantenhaus, der Demokrat Adam Schiff, stellte in Frage, inwiefern die Mails – wie von Ratcliffe angegeben – Trump schaden sollten. Es sei unklar, ob das die Deutung Ratcliffes oder die Analyse der Geheimdienste sei, sagte Schiff dem Sender MSNBC. Traurigerweise könnten die Amerikaner "dem Geheimdienstkoordinator nicht vertrauen, ohne dass Beweise auf dem Tisch liegen". Trump hatte Ratcliffe im Februar für den Posten nominiert. Er war im Mai vom Senat bestätigt worden. (Frank Herrmann, APA; 22.10.2020)