Die ÖVP veranstaltet eine jährliche Wandertour. Zählt sie zu den Wahlkampfkosten, wenn sie auch für das Wahlkampfmarketing verwertet wird?

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Am Donnerstagvormittag ging am Wiener Handelsgericht der dritte und letzte Termin im Zivilprozess zwischen der ÖVP und dem "Falter" über die Bühne. Zur Vorgeschichte: Die Volkspartei stößt sich an einem Artikel aus dem September 2019, der Hochphase des letzten Nationalratswahlkampfes. Der "Falter" hatte damals über interne Dokumente der ÖVP-Buchhaltung aus anonymer Quelle berichtet. Aus diesen Informationen ging laut "Falter" hervor, dass die Volkspartei im Wahlkampf 2019 – wie schon 2017 – mit einer Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenze von sieben Millionen Euro kalkuliere und mittels einer zweigeteilten Buchführung die wahren Ausgaben künstlich kleinrechne. Die ÖVP hatte die Zeitung daraufhin auf Unterlassung, eine entsprechende Veröffentlichung sowie Kostenersatz geklagt.

Bringschuld und Holschuld

Mittlerweile steht fest, dass die geleakten Dokumente tatsächlich authentische Aufzeichnungen der ÖVP widerspiegeln. Ob man aus diesen aber schließen darf, dass die ÖVP für 2019 mit einer absichtlichen Wahlkampfkostenüberschreitung gerechnet habe, darüber wird Richterin Christiane Kaiser nun befinden müssen. Die ÖVP behauptet jedenfalls, sie habe nur 5,6 Millionen ausgegeben, was klar unter der Obergrenze läge. Eine Bestätigung dieser Zahl durch Wirtschaftsprüfer und den Rechnungshof ist allerdings noch nicht erfolgt.

Als erster Zeuge war am Donnerstag Jochen Prüller geladen – er war im Wahlkampf 2019 Pressesprecher der ÖVP und "dafür zuständig, Journalistenanfragen entgegenzunehmen und rechtzeitig zu beantworten", wie er in seiner Job-Description anführte. Konkret ging es vor Gericht um die Anfrage des "Falter"-Journalisten Josef Redl, der die Türkisen mit seinem Informationsstand über deren Art der Budgetierung konfrontierte und um Beantwortung eines diesbezüglichen Fragenkatalogs vor der Artikelveröffentlichung bat. Die knappe und laut "Falter"-Anwalt Alfred Noll lückenhafte Antwort selbst gab dann aber die Geschäftsführung, Prüller leitete deren Ausführungen nur weiter. Und warum bat die ÖVP den "Falter" nicht um ein klärendes Gespräch zu den Vorhaltungen? Dazu meinte Prüller, das sei in der "Holschuld" des Mediums gelegen. In Anspielung auf eine Recherche des STANDARD zu Parteispenden im Wahlkampf 2019 hinterfragte die Richterin, wie (un-)kooperativ denn die ÖVP tatsächlich mit kritischen Recherchen umgeht. "Alle werden gleich behandelt", erwiderte der Pressesprecher.

Was ist (kein) Wahlkampf in einem Wahljahr?

Als nächster Zeuge sagte jener Wirtschaftsprüfer aus, der im Wahlkampfjahr 2017 den Rechenschaftsbericht der ÖVP untersucht hatte und mithin deren Art der Budgetierung kennt. In seinem Zwiegespräch mit Noll zeigte sich, dass die Abgrenzung von "normalen Parteiausgaben" und Wahlkampfausgaben im zeitlichen Vorfeld einer Wahl mitunter wenig trennscharf ist. Zum Beispiel die "Bergauftour" von Sebastian Kurz: Der Wirtschaftsprüfer verwies darauf, dass die ÖVP jedes Jahr im Sommer eine breitvermarktete Bergtour mit dem Parteichef inszeniert. Folglich gehörten deren Kosten zu den normalen Ausgaben, nicht zu den Wahlkampfausgaben. Noll wiederum meinte, in einem Wahljahr werde die Bergtour aber wesentlich zu Wahlkampfzwecken durchgeführt, also handle es sich durchaus um Wahlkampfkosten.

Gestützt wurde Nolls Argumentation durch die dritte Zeugin, Barbara Sommerer. Sie hatte zur Wahl 2019 für den beim Bundeskanzleramt angesiedelten Unabhängigen Parteien- und Transparenzsenat (UPTS) als Sachverständige ein Gutachten zu den Wahlkampfausgaben der Parteien – so auch der ÖVP – verfasst. Einblick in die interne Verrechnung hatte Sommerer freilich nicht, sie musste von außen grob schätzen, ob die Angaben der Parteien plausibel sind. Sommerer jedenfalls schlug die Bergauftour dem Wahlkampf zu, zumal die ÖVP Bildmaterial und Videoschnipsel von des Kanzlers Wandertag allenthalben zur Wahlmobilisierung verwendet habe. Außerdem habe sich die ÖVP im Sommer 2019 nicht gegen Medienberichte gewehrt, die die Bergauftour als Wahlkampfereignis charakterisiert hatten.

Transparenz und Kompetenz

ÖVP-Anwalt Werner Suppan versuchte, die Glaubwürdigkeit der Gutachterin zu unterminieren. So stellte er eine Befangenheit in den Raum, weil sie ab 2015, von einer Liste der Neos ausgehend, ein Mandat in der Wirtschaftskammer bekleidet hatte. Auch einen – von Sommerer schon vor Monaten eingeräumten – Datenübertragungsfehler im ursprünglichen Gutachten führte er ins Treffen. Am Gesamtbild, dass die Einhaltung der Sieben-Millionen-Grenze eher unplausibel ist, ändern diese Fehler indes nichts, bekräftigte Sommerer. Suppan bemühte sich fortan, die Intransparenz der österreichischen Parteienfinanzierung, die dafür sorgt, dass die UPTS-Gutachter die Wahlkampfkosten nur von außen über den Daumen peilen können, gegen die Gutachterin zu wenden, indem er ihr quantitative Kostenschätzungen zu diesem und jenem Posten abverlangte – der Erkenntnisgewinn dieser Strategie war eher bescheiden.

Wöginger würde sich freuen

Ein Urteil wird schriftlich ergehen, bis dahin dürfte es noch ein paar Wochen dauern. Richterin Kaiser gab ÖVP-Generalsekretär Axel Melchior nach Schluss der Verhandlung noch eine Bitte mit auf den Weg: Er möge doch dafür sorgen, dass "das Zoom verlängert wird, das wär' klass". Die Regelung, wonach man kleinere Gerichtstermine – wie vorbereitende Tagsatzungen – via Videokonferenz abhalten kann, gilt nämlich vorerst nur bis Jahresende. Melchior versprach, die Anregung weiterzugeben: "Der Gust Wöginger (ÖVP-Klubobmann, Anm.) würde sich sicher freuen, wenn ich meinen ersten Initiativantrag im Parlament einbringe." (Theo Anders, 22.10.2020)