Kurz nach dem Gespräch mit dem Begründer des Mythos Ischgl schickt mir Günther Aloys weitere Ideen per Mail. Er hat nie aufgehört zu träumen. Sein Blick geht immer nur nach vorne. "Lasst uns mit einem rosa Panzer durch Ischgl fahren und Zuckerwatte in die Luft blasen", steht in diesem Dokument. Im März 2020 rollte kein Panzer durch Ischgl, aber ein Virus, der das Dorf in den Tiroler Alpen nachhaltig verändern dürfte – oder halt auch nicht.

STANDARD: Herr Aloys, Ischgl hat heuer aus den falschen Gründen das geschafft, was Sie immer wollten: weltweite Schlagzeilen. Ischgl konnte nichts dafür, dass das Virus dort ankam. Es wurden aber doch massive Fehler begangen, wodurch sich das Virus auch via Ischgl in Europa und der Welt verbreiten konnte.

Günther Aloys: Ischgl kann im Prinzip nicht viel dafür. Man darf Ischgl keinen Vorwurf machen, das hätte überall sein können. Wir fühlen uns da überhaupt nicht schuldig. Es ist aber nun mal passiert, und nun muss man damit umgehen. Wir wollten immer nur eines, wir sind qualitätsbesessen. Wir wollten immer die Besten sein, sei es in Sachen Pisten, Anlagen, Hotels, Haubenrestaurants. Wir wollten die Nummer eins sein. Das hat sich auch bewährt. Wir haben das meiste Steueraufkommen, den meisten Umsatz pro Kopf.

Der Pampark. Ein Freestylepark für Snowboarder und Skifahrer, gebaut in der Form eines Frauenkörpers, gehörte auch zu Aloys' Ideen. Vorbild sollte Baywatchstar Pamela Anderson sein.
Foto: workshopishgl/aloys

STANDARD: Aber dass die Liftanlagen zu spät gesperrt wurden?

Aloys: Als wir zusperren mussten, sperrten wir zu. Im Nachhinein war es vielleicht eine Stunde zu spät.

STANDARD: Ein Vorwurf gegen den Bürgermeister lautet ja, dass er den Bescheid zur Schließung um Tage zu spät ausgehängt hat.

Aloys: Der Bürgermeister hat das genau richtig gemacht. Er hat genau das gemacht, was ihm befohlen wurde. Er hat sonst nichts gemacht. Wir haben alles zugesperrt.

STANDARD: Der Expertenkommissionsbericht konnte keinen Einfluss von Wirtschaft und Touristikern gegen ein vorzeitiges Ende der Saison, feststellen. Können wir das glauben?

Aloys: Das kann man schon glauben. Wir haben zugesperrt. Was hätten wir denn anderes tun sollen?

Günther Aloys informiert die Ischgler Bevölkerung seit Jahren mit regelmäßigen Postwürfen, Büchern und Vorträgen über seine neuesten Ideen und Visionen.
Enno Walz

STANDARD: Ischgls Motto ist: Relax if you can. Haben Sie Angst, dass es heuer zu relaxt zugehen könnte?

Aloys: Ja, natürlich haben wir Bedenken, dass es nicht mehr so sein wird, wie es mal war. Allein schon, dass das Après-Ski nicht wie gewohnt stattfindet. Das war ein Hauptteil unseres Geschäfts, das muss man schon auch sagen! Wir haben ja versucht, Perfektion zu erreichen. Diese Entertainment-Effekte, die machten es ja spannend. Nach einem Skitag in perfektem Gelände, mit perfekten Pisten noch Après-Ski zu erleben. Das war einfach toll für die Leut‘. Wir wollen die Menschen ja nur glücklich machen. Wir wollen, dass sie Ferien in absoluter Perfektion verbringen.

STANDARD: Jetzt ist der gute Ruf aber erst mal weg. Wie will man diesen Imageschaden reparieren? Oder will man gar das Rampenlicht nutzen?

Aloys: Wir müssen einfach noch bessere Qualität bieten und noch besser werden. Gemeinsam mit meinen Kollegen werden wir Ischgl zum absolut perfekten Ort machen. Hundertprozentig! Das liegt in unserem Naturell. Das hat man ja an unseren ganzen Investitionen gesehen. Wir haben alles Geld, das wir eingenommen haben, immer wieder reingesteckt. Die Seilbahn hat nie Dividenden ausbezahlt. Mehr geht eigentlich nicht, und dennoch werden wir uns noch steigern. Wir werden mehr in Richtung Kunst, Architektur, Design, Deko gehen. Wir werden vielleicht 10.000 Bäume pflanzen. Wir werden Film- und Musikfestivals machen und den Glamoureffekt erhöhen. Wir werden das sehr emotional betreiben. Das ist unser Ziel.

Das Burning-Man-Festival sollte in einem Burning-Mountain-Festival nachgebaut werden – der Drache im Rahmen einer großen Party verbrannt werden.
Foto: Screenshot / Workshopischgl / Flyer

STANDARD: Sie gelten als der Erfinder Ischgls. Sie wollten in Ischgl Pinguine ansiedeln, Pisten rot einfärben, eine mit Skiern befahrbare Kapelle erbauen, ein riesiges Aquarium auf der Idalpe bauen. Warum wurden zuletzt so wenige Ihrer Vorhaben umgesetzt?

Aloys: Ich rechne ja gar nicht damit, dass immer alles umgesetzt wird. Dafür habe ich zu viele Ideen. Es ist mehr eine Angebotspalette aus 150 Projekten, aus denen man wählen kann. Da muss man geduldig sein, das macht mir gar nichts aus. Eins nach dem anderen wird passieren.

STANDARD: Muss Ischgl langweiliger werden?

Aloys: Es schaut so aus. Aber im Prinzip ist Après-Ski nichts Böses. Wenn man sich die tolle Stimmung ansieht. Da ist die laute Musik. Die Leut’ sind gut drauf, fröhlich und herzlich und klopfen Leuten auf die Schulter, die man gar nicht kennt. Man kommt sich näher. Après-Ski ist was Positives und Einmaliges. Das ist ja fantastisch, mit 7.000 bis 8.000 Personen die Stimmung zu genießen. Besser kann Urlaub ja nicht sein.

STANDARD: Sie sprachen früher von älteren Touristen als "Kukis", als Menschen, die Kukident-Haftcreme brauchen. Dass die sich nicht jährlich neue Ski kaufen, sondern jahrelang dieselben Wanderschuhe tragen. Muss man nun doch um die Kukis werben?

Ein 150 Meter hohes Gipfelkreuz aus Glas samt Turbolift ist bisher auch noch nicht realisiert worden.
Foto: workshopishgl/aloys

Aloys: Das war so ein Vergleich von damals. Wir denken nicht mehr in Zielgruppen. Alle sind willkommen. Wir haben uns allen Nationen geöffnet, und sie kommen von überall, weil Ischgl einfach der einmaligste, perfekteste Ort der Welt ist.

STANDARD: Im Kampf gegen den schmelzenden Schnee wollten Sie Pisten überdachen. Gleichzeitig forderten Sie die Beheizung der Ischgler Straßen, damit man sich Schneeräumung spart, und locken Menschen aus aller Welt per Flieger nach Ischgl. Wie passt das mit Naturschutz zusammen?

Aloys: Es ist schon klar, dass Ischgl im Ort nicht die pure Natur ist. Aber für Tourismus werden nur drei Prozent des Ortsgebiets genützt, 97 Prozent sind unberührt. Die drei Prozent müssen wir nützen, damit wir Business machen können, damit wir nicht auswandern müssen.

STANDARD: Aber wurde Profit zu oft über Naturschutz gestellt?

Aloys: Nein, überhaupt nicht. Wir haben natürlich die meisten Schneekanonen, weil wir es uns leisten können, das müssen wir halt in unserem Business. Aber das macht am Ende nichts. Wir begrünen ja die Pisten. Wir tun ja alles Menschenmögliche für die Natur. Mehr kann man fast nicht machen.

Die Pläne für die überdachten Pisten zur Schneerettung waren durchaus fortgeschritten. Umgesetzt wurden sie nie.
Foto: workshopishgl/aloys

STANDARD: Wie muss Wintertourismus in Österreich 2050 ausschauen?

Aloys: Wir müssen viel in die Infrastruktur investieren. Wir müssen aber schon auch weg vom reinen Skifahren. Die Leute kommen ja wegen dem Winterflair, den wir bieten – mitsamt dem Après-Ski und dem Entertainment-Effekt. Auch wenn der jetzt eine Zeitlang wegfällt, wird man das in einer gewissen Form wieder zurückholen müssen und können.

STANDARD: Ein berühmter Satz von Ihnen ist: "Der Gast weiß nicht, was er will." Sie schon?

Aloys: Man muss ihn mit Neuem überraschen, Dinge bieten, an die er nie gedacht hat und von denen er nichts weiß. Es braucht Wow-Effekte, wie sie eine Art Blue Lagoon mit 40 Grad Wassertemperatur auf der Ischgler Idalpe bieten könnte.

STANDARD: Wenn Sie ein Projekt einfach so umsetzen könnten?

Als Simply Red 1996 in Innsbruck gastierte, ließ Aloys säckeweise Lebensmittelfarbe in den Inn schütten, um diesen rot zu färben. Er zahlte damals 100.000 Schilling Strafe. Rote Pisten hätte er dennoch gerne, würden diese doch für einen richtigen Wow-Effekt beim Wedeln sorgen.
Foto: workshopishgl/aloys

Aloys: Um den Sommertourismus massiv zu erhöhen, würde ich die längste Treppe der Welt bauen. Von Ischgl auf den Lattenkopf. Das wär natürlich, still, emotional. Oder ein Guggenheim-Museum. In Bilbao hat das eine ganze Region nach vorne gebracht.

STANDARD: Stimmt es eigentlich, dass Sie Papst Johannes Paul II. für eine Bergmesse holen wollten?

Aloys: Wir gehen alles an. Wir hatten Clinton hier, und wir hätten heuer den Obama haben können. Mit dem Papst gab es auch Gespräche. Das bringt mit den Medien auch Stimmung ins Dorf. Konkret waren die Papstpläne aber nicht. Aber es war eine Idee.

Aloys' Ansätze waren auch vor elf Jahren, aus dieser Zeit stammen seine letzten Twittereinträge, extravagant.

STANDARD: Kurzes Resümee. Was muss sich ändern in Ischgl?

Aloys: Ischgl kann sich nur teilweise verändern. Wir müssen supergutes Skifahren und supergute Pisten bieten – aber das machen wir eh. Kulturell müssen wir noch einige Dinge tun. Après-Ski müssen wir vielleicht verändern, es in eine neue, machbare Form bringen. Ischgl muss sich so verändern, dass es immer besser wird, immer qualitativ höher steht als zuvor. Wir müssen den Leuten immer den absoluten Genuss liefern. Wir müssen es schaffen, dass die Leute sagen: Ischgl ist einfach Spitzenklasse. (Fabian Sommavilla, 25.10.2020)