Verteidiger Werner Tomanek vertritt einen 47-jährigen Unbescholtenen, der mehrfach gegen das Verbotsgesetz verstoßen hat.

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Wien – In den wenigsten Verhandlungen spielt die sexuelle Orientierung von Angeklagten eine Rolle, im Fall von Herrn E. bringt sein Verteidiger Werner Tomanek sie aber bereits im Eröffnungsplädoyer auf das Tapet. Um nämlich zu unterstreichen, dass der 47-jährige Unbescholtene "eher das harmlosere Ende der Täterkategorie Neonazi" darstelle, wie Tomanek sich ausdrückt. Schließlich sei sein Mandant selbst homosexuell, und diese Orientierung sei von Nationalsozialisten verfolgt worden – viel könne E. sich also nicht gedacht haben.

Im Geschworenenprozess unter Vorsitz von Ulrich Nachtlberger wirft Staatsanwältin Bettina Sommer E. nationalsozialistische Wiederbetätigung in mehreren Ausprägungen vor. Da wären einmal zwei private E-Mail-Adressen, die der Angestellte verwendete: "14sh88@..." und "18sh88@..." begannen sie. Die Zahlen bei der zweiten stehen für Buchstaben im Alphabet: AHSHHH bedeutet also "Adolf Hitler, Sieg Heil und Heil Hitler".

Rechtes Credo in Englisch

Im ersten Fall bedeutet die "14" dagegen die "Fourteen Words", ein rassistisches Credo von Neonazis, das ursprünglich in den USA entstanden ist. "We must secure the existence of our people and a future for white children", zitiert Tomanek den Satz und kann sich einen Seitenhieb nicht verkneifen. "Ich kann Ihnen versichern, dass das nicht die Amtssprache des Nationalsozialismus ist", wendet er sich an die Geschworenen.

Ein weiterer Anklagepunkt: Als die Polizei die Wohnung des angeklagten Bankangestellten durchsuchte, fanden sich 76 Stück NS-Devotionalien – vom Orden bis zur Hitler-Büste war alles dabei. Auch sechs Tätowierungen auf Oberkörper und Armen sind inkriminiert: Beim Sport oder in sommerlicher Kleidung konnten andere beispielsweise einen Sturzkampfbomber sehen, "Blut, Ehre, Treue" lesen oder Runen, die auch in den Truppenabzeichen von Waffen-SS-Divisionen auftauchen, erkennen.

Kontakt mit Identitären-Chef

Ermittelt wurde auch, dass E. dem Österreich-Chef der als rechtsextrem eingestuften Identitären Bewegung ein kameradschaftliches Angebot machte: Da diesem die Konten gekündigt wurden, bot E. an, eine Bankverbindung einzurichten. So kam die Polizei im September 2019 auch auf den Angeklagten: Als der Identitären-Boss nach dem Attentat im neuseeländischen Christchurch durchleuchtet wurde, fanden die Beamten die E-Mails.

Der Angeklagte ist zu allen Punkten geständig, warum er es gemacht hat, kann oder will er dem Gericht nicht verraten. Bezüglich der Devotionalien will Vorsitzender Nachtlberger beispielsweise wissen: "Warum bitte haben Sie das alles gesammelt?" – "Ich weiß es nicht mehr. Es hat 2015 mit der Flüchtlingskrise begonnen, dann habe ich im Internet immer mehr gelesen." – "Den Sprung von der Flüchtlingskrise zur Hitlerbüste kann ich nicht nachvollziehen", gibt Nachtlberger zu.

Tätowierungen vor Eltern verborgen

"Was hat Ihr soziales Umfeld zu den Tattoos gesagt?", interessiert den Vorsitzenden auch. "Ich wurde nie darauf angesprochen", behauptet der Angeklagte. Und: "Den Eltern habe ich nichts gesagt, die sind überhaupt gegen Tätowierungen." Seit einem Jahr befinde er sich bereits in Behandlung, um die rechten Körperverzierungen mittels Laser entfernen zu lassen, ein weiteres Jahr werde es wohl noch dauern.

Verteidiger Tomanek versucht noch herauszuarbeiten, dass E. sich nie propagandistisch betätigt habe. "Ich habe mit seinem Lebensgefährten gesprochen, dem ist es auf die Nerven gegangen. Nicht einmal den versuchte E. also zu überzeugen. Er ist eher ein Krypto-Nazi, würde ich sagen."

Die Geschworenen sprechen den Angeklagten in den wesentlichen Punkten einstimmig schuldig, bei einer Strafandrohung von ein bis zehn Jahren wird er rechtskräftig zu zwei Jahren bedingt verurteilt. (Michael Möseneder, 22.10.2020)