Autor und Regisseur Rupert Henning.

Foto: ORF/Thomas Jantzen

Im neuen ORF-"Tatort"-Fall "Krank" geraten Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser in einen Glaubenskrieg zwischen Schulmedizin und alternativen Heilmethoden, nachdem ein Mädchen starb, weil es ihr Vater nicht adäquat hatte behandeln lassen – zu sehen am Sonntag, 25. Oktober, um 20.15 Uhr in ORF 2. Für Regie und Drehbuch ist Rupert Henning verantwortlich.

STANDARD: Ihre bisherigen Austro-"Tatort"-Folgen als Regisseur hießen "Grenzfall", "Schock" und jetzt "Krank". Woher kommt Ihr Faible für so kurze Titel?

Henning: Weil man sich kurze Titel gut merkt. Es kann aber auch ein langer Titel prägnant sein. Zum Beispiel "Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit" – ein Film von Marc Rothemund. Den habe ich mir lange gemerkt. Ich habe vor einiger Zeit einen "Tatort" in München gemacht, der hieß "One Way Ticket". Das sind zumindest drei Worte.

STANDARD: Die Dreharbeiten zu "Krank" fanden schon vor der Corona-Krise statt. Hätten Sie das Drehbuch jetzt – mit dem Wissen um Corona – anders geschrieben?

Henning: Nein, der "Tatort" behandelt ja nicht Corona, sondern das Thema Gesundheit und wie mit ihr Geschäfte gemacht werden. Und es geht um die Frage: Warum gibt es diesen glaubenskriegsähnlichen Zustand in der Debatte zwischen der sogenannten Schulmedizin und der Alternativmedizin? Ich finde es problematisch, mit Filmen auf aktuelle Situationen reagieren zu wollen. Filme sind eher träge Tanker und keine wendigen Einhandsegler, deswegen können sie das aktuelle Weltgeschehen nur bedingt thematisieren und reflektieren. Ich würde jetzt keinen Film über die Corona-Krise machen. Das wäre Blödsinn – und unseriös. So als würde man einen Autounfall analysieren wollen, während man ihn hat.

STANDARD: Es braucht Zeit, um den Stoff zu entwickeln?

Henning: Bei mir wachsen und gedeihen die meisten Sachen oft über Jahre hinweg. Ich sitze ja nicht zu Hause vor einem leeren Blatt Papier und überlege mir, worüber zum Teufel ich den nächsten "Tatort" machen könnte. Das sind vielmehr Stoffe, die mich oft über lange Zeit begleiten. Ich tue jetzt nicht so, als wäre ich prophetisch begabt und hätte mir schon vor Jahren gedacht: "Ah, 2020 wird das Thema Gesundheit relevant werden und ich mache einen "Tatort" darüber." Manche Geschichten verändern sich auch unerwartet, was ihre Relevanz angeht. Ich habe zum Beispiel im Jahr 2015 einen "Tatort" geschrieben, der hieß "Virus". Barbara Eder hat Regie geführt, ausgestrahlt wurde er 2017. Das Thema war Ebola, es ging um afrikanische Flüchtlinge und ein pandemisches Szenario in der Steiermark. Das ist interessant, sich den jetzt anzuschauen, wenn man die ganzen Informationen und vor allem auch die Emotionen mitwirken lässt, die wir alle 2020 haben.

STANDARD: Woher kommt das Interesse an der Alternativmedizin?

Henning: Ich komme aus einer Familie von Schulmedizinern. Mein Vater war Urologe, mein Bruder ist Urologe. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass es bei uns ein Bewusstsein dafür gab, dass man nicht nur das organische Leiden heilen muss, wenn jemand krank ist. Es gibt zwei Arten von Ärztehaushalten: Die einen können zu Hause Lungentransplantationen durchführen, weil sie so ein super Equipment haben. Die anderen haben nicht einmal ein Pflaster daheim. Wir waren die zweite Variante. Wenn einem nicht ein Bein fehlt, dann hat man nichts – das war das Motto (lacht).

STANDARD: Das hat Sie geprägt?

Henning: Ich bin jedenfalls sehr antihypochondrisch. Beim Gesundheitsthema gibt es unheimliche Parallelen zu religiösen Konflikten. Sie werden erbittert geführt. Es geht oft weniger um die Wirkungsweise verschiedener Methoden, sondern um Weltanschauungen. Zum anderen interessiert mich aber auch das Geschäft. Die Pharmaindustrie ist eine der profitabelsten legalen Wirtschaftsbranchen. Da spielt es keine Rolle, ob Produkte für die evidenzbasierte Medizin hergestellt werden oder für andere Heilmethoden – bei allen geht es um den Profit.

Rupert Henning mit Adele Neuhauser bei den Dreharbeiten zu "Krank".
Foto: ORF/Thomas Jantzen

STANDARD: Und diese Gesellschafts- und Ökonomiekritik spiegelt sich in Ihrem "Tatort" wider?

Henning: Ja, man versucht mit einer guten Geschichte, hinter die Fassaden zu blicken. Manchmal stellt sich heraus, dass es ein Potemkin'sches Dorf ist. Man kann anregen, sich möglichst gut zu informieren und eben nicht einfach nur irgendwas zu glauben. Wenn dieser "Tatort" eine politische Aktualität hat, dann ist es die Kritik an unbewiesenen Behauptungen.

STANDARD: Zum Beispiel?

Henning: Wenn ich mir den aktuellen amerikanischen Wahlkampf ansehe, dann habe ich mit Trump einen Politiker, bei dem ich leider inzwischen davon ausgehen muss, dass er behaupten wird, die Wahl gewonnen zu haben, selbst wenn er sie verliert. So was finde ich in der Debatte zwischen Alternativmedizin und evidenzbasierter Medizin auch. Die einen sagen: "Ihr behauptet, dass eure Globuli wirken, aber ihr könnt es nicht wissenschaftlich beweisen!" Das Gegenargument lautet: "Na, wenn ihr nicht daran glaubt, dann kann es auch nicht wirken!" Da denke ich mir: "Hallo!? Meinen die das ernst!?"

STANDARD: Sie sind nicht empfänglich für Homöopathie?

Henning: Ich will mit dem Film gar kein Urteil fällen. Ich möchte nur anregen, darüber nachzudenken, ob man sich vielleicht nicht nur darauf verlassen sollte, was man glaubt oder was andere Leute einem sagen, was man glauben soll. Es gibt dieses schöne Zitat: Die Wahrheit ist wie Lebertran. Die meisten Leute sind lieber krank, als diesen Scheiß zu schlucken. Wahrheit ist im wahrsten Sinne des Wortes manchmal eine bittere Pille. Es gibt auch bei alternativen Heilmethoden vieles, das wirkt. Der Placebo-Effekt ist ja zum Beispiel nicht nichts. Ich bin nur sofort skeptisch, wenn mir jemand sagt: "Diese Methode wurde vor hunderten Jahren erfunden, man braucht sie nicht infrage zu stellen – und wenn du nicht daran glaubst, dann kann es nicht wirken bei dir."

STANDARD: Wenn man Parallelen zu Corona ziehen möchte: Wie geht es Ihnen, wenn Sie die Demos mit den Corona-Leugnern sehen?

Henning: Die Glaubenskriege lassen auch hier grüßen. Es befremdet mich, wenn Menschen einander von der eigenen Haltung, Gesinnung und Ideologie überzeugen wollen, indem sie lauter schreien als die anderen. Da sehe ich eine Parallele zum aktuellen US-Wahlkampf, wenn eine TV-Debatte so aussieht, dass drei Männer, noch dazu drei alte weiße Männer, versuchen, einander zu übertönen. Bei diesen Demos, egal ob es um Globuli oder politische Fragen geht, wird ebenfalls immer mit dem "Alternativ"-Begriff herumgeschmissen. Die Regierung Trump hat uns schon "alternative Fakten" geschenkt. Ich finde auch den Begriff "Alternativmedizin" komisch. Was kommt als Nächstes? Die "Alternativphysik" und die "Alternativmathematik"? Dieses Einfallstor beunruhigt mich.

STANDARD: Die Fakten zählen nicht mehr so viel.

Henning: Donald Trump stellt ständig irgendwelche Behauptungen in den Raum, ohne dafür Beweise vorzulegen – und er sagt sinngemäß: "Ich bin Donald Trump, ihr müsst mir glauben." Da denke ich mir doch als Kind der Aufklärung: "Auf was hinauf!?" Natürlich ist es das demokratische Recht, gegen oder für etwas zu demonstrieren. Gibt es irgendeine Art von halbwegs zivilisiertem Dialog, dann bin ich dabei. Wenn nicht, muss ich sagen: "Wir haben uns lange genug bemühen müssen, demokratische Grundregeln und einen gewissen Anstand in den Debatten zu erlernen. Ich fände es problematisch, das einfach wieder aufzugeben."

STANDARD: Nachdem wir schon mitten im Politischen sind: Was sagen Sie zum Ausgang der Wien-Wahl?

Henning: Ich bin nicht in Wien gemeldet, habe also nicht hier gewählt. Und ich bin kein politischer Kommentator, der überall seinen Senf dazugeben muss. Aber ich habe das Gefühl, dass Demokratie funktioniert. Es wurden in Wien ein paar Rechnungen beglichen – für das, was sich Politiker in den letzten Jahren geleistet haben. Ich finde es gut, dass in den Wahlzellen darauf reagiert wird.

STANDARD: Was Sie sicher auch gut finden, ist, dass sich Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei den Feierlichkeiten zu 100 Jahre Kärntner Volksabstimmung bei den Kärntner Slowenen für das erlittene Unrecht entschuldigt hat?

Henning: Ja, natürlich. Ich bin in Kärnten aufgewachsen und habe mich bereits mein ganzes Leben damit beschäftigt. Als Schüler habe ich gemeinsam mit Sabina Zwitter, die jetzt als Redakteurin der ORF-Sendung "Heimat, fremde Heimat" arbeitet, ein zweisprachiges Kulturfestival organisiert. Das berührt mich also besonders, auch wenn solche Eingeständnisse manchmal unfassbar lange auf sich warten lassen. Eine österreichische Regierung hat es auch erst 1988 geschafft, von einer Mitschuld Österreichs an den Verbrechen des Nationalsozialismus zu sprechen. Es geht aber gar nicht so sehr um die Entschuldigung, sondern vielmehr um Solidarität. Darum, dass jemand zum Gegenüber sagt: "Ich nehme dich wahr mit deinen Bedürfnissen, deiner Prägung. Ich bekunde, dass es eine Bereicherung ist, dass es dich in meinem Leben gibt." Das haben die slowenischsprachigen Kärntnerinnen und Kärntner viele Jahrzehnte nicht gehört. Ganz im Gegenteil.

STANDARD: Sie waren neben Erwin Steinhauer, Florian Scheuba und Thomas Maurer ja auch ein Teil des ORF-Satireformats "Die 4 da", das von 2007 bis 2008 lief. Wie wäre es mit einer Neuauflage?

Henning: Das müssen Sie den ORF fragen. Wir haben die zwei Staffeln wahnsinnig gerne gemacht. Grundsätzlich ist es zu begrüßen, wenn der ORF einer politischen Satire Platz einräumt, weil das sehr wichtig ist. Florian Scheuba und Thomas Maurer machen ja mit den "Staatskünstlern" auf ihre Weise damit weiter – zusammen mit Robert Palfrader. Der Erwin macht seine Programme, ich meine Filme. Derzeit gibt es keinen Plan für eine Wiederbelebung – aber wer weiß? Das war eine gute Truppe, und es hat großen Spaß gemacht.

STANDARD: Sie haben ja gesagt, dass Sie in das Duo Eisner und Fellner "sehr verknallt" seien. Schreiben Sie ihnen die Drehbücher genau auf den Leib oder könnten das auch andere Kommissare spielen?

Henning: Selbstverständlich habe ich die beiden im Kopf, wenn ich einen Wiener "Tatort" schreibe. Alles andere wäre ja auch blöd. Die beiden sind ein Glücksfall für mich als Autor. Und niemand ist einfach austauschbar.

STANDARD: Was ist Ihnen wichtiger: gute Quoten oder gute Kritiken?

Henning: Gar keine Frage, natürlich hätte ich gerne beides. Aber letztlich ist das Publikum entscheidend – das unvoreingenommene, unbefangene Publikum. Wenn viele Menschen einer Geschichte gebannt folgen, dann muss was an ihr dran sein.

STANDARD: Welchen "Tatort" sehen Sie abgesehen vom österreichischen am liebsten?

Henning: Ich bin kein Freund von Lieblingsspeisen und Lieblingsfilmen und so weiter – also hab ich auch keinen Lieblings-"Tatort". Es gibt eine große Bandbreite bei diesem Format, das macht den Sonntagabend spannend und vielfältig. Was will man mehr? (Oliver Mark, 24.10.2020)