Foto: Kevin Barrett Kane

"So you hijacked the climate." – Nicht oft fällt in einem Vater-Tochter-Gespräch der Vorwurf, das Weltklima entführt zu haben und jetzt als Geisel zu halten, nicht einmal in der Welt der Science Fiction. Aber es bringt schön die Herangehensweise Eliot Pepers auf den Punkt: Der kalifornische Autor ist auf Thriller spezialisiert, die sich den Folgen neuer Technologien widmen. Zugleich betont er aber stets, dass sich Geschichten immer um Menschen drehen.

Steigender Meeresspiegel, Ernteausfälle, Megastürme und Wasserkriege: Das übliche Szenario der sogenannten Climate-Fiction wird auch hier angesprochen und findet (bzw. fand) seinen Höhepunkt in einer verheerenden Hitzewelle, der im Prolog die Sachbuchautorin Miranda León zum Opfer fällt. Neu ist in "Veil" jedoch, dass der Klimawandel danach ein unerklärliches Päuschen eingelegt hat. Die Lage ist nicht wirklich besser geworden, aber immerhin auch nicht schlechter.

Geoengineering in Eigenregie

Mirandas Tochter Zia leitet eine NGO, die bei Umweltkatastrophen Hilfe vor Ort leistet. Ihr Vater, der Selfmade-Milliardär Santiago, betreibt ein Netzwerk aus Satelliten und Stratosphären-Drohnen, das weltweit für stabile Internetanbindung sorgt. Als die beiden unter dramatischen Umständen zum ersten Mal seit langer Zeit wieder aufeinandertreffen, eröffnet Santiago seiner Tochter, dass dieses Netzwerk noch einen geheimen zweiten Zweck erfüllt: Die Drohnen sprühen nämlich ein Aerosol in die Atmosphäre, das einen Teil des Sonnenlichts reflektiert (der "Schleier" des Titels) und damit die Erderwärmung ausgleicht. Nur er, sein wichtigster Mitarbeiter und jetzt Zia wissen davon.

Es dauert ein bisschen, bis Peper die Katze aus dem Sack lässt, obwohl man sich das Szenario aus Inhaltsangabe und Titel bereits zusammenreimen konnte. Aber wichtiger ist ohnehin die Frage: Wie soll es mit dem Geoengineering-Projekt weitergehen? Das seit jeher angespannte Verhältnis zwischen Vater und Tochter wird nun durch grundlegende Meinungsunterschiede zusätzlich belastet. Zia steht für Kooperation und Diplomatie – die Anmaßung ihres Vaters, eigenmächtig für die Menschheit Entscheidungen zu treffen, ist ihr ein Gräuel. Zudem könnte Project Svalinn (benannt nach dem Sonnenschild der Asen) unabsehbare Nebenwirkungen haben.

Conclusio: Die Sache müsse unbedingt offengelegt werden. Problem: Außer Santiagos Verschwörung zum Wohle der Menschheit ist noch eine weitere, deutlich weniger humanitär ausgerichtete im Gange. Und die nimmt die beiden Leóns nun gnadenlos ins Visier.

Ein Freundeskreis rings um die Welt

Der Handlungsrahmen mag die Glaubwürdigkeit etwas strapazieren, das Menschliche aber, auf das Peper ja Wert legt, kriegt der Roman gut hin. Und das bezieht sich nicht allein auf das Verhältnis von Vater und Tochter. Eine ebenso große Rolle – für Zia wie auch für die Handlung – spielt der internationale Freundeskreis Zias, der sich einst gebildet hat, als man in einem Schweizer Internat zusammen die Schulbank drückte. Längst sind alle in ihre Heimatländer zurückgekehrt und arbeiten nun in so unterschiedlichen Bereichen wie Politik, Mode, Journalismus oder der Musikindustrie. Aber die Freundschaftsbande sind stark geblieben und geben Zia Rückhalt – auch jetzt, in der Stunde der Not. "Veil" ist trotz all der darin thematisierten Probleme von einem grundlegenden Optimismus durchzogen, und in der Beschreibung dieses kleinen, aber festen Netzwerkes kommt er besonders deutlich zum Ausdruck.

Zu beachten ist auch der geographische Aspekt: Die Leóns kommen aus Costa Rica, die anderen aus Zias Zirkel stammen aus Ländern wie Sri Lanka, Ghana oder den Malediven. Sie sind Angehörige einer neuen globalen Kultur, deren Zentren sich von den traditionellen Großmächten in Richtung neuer Player verschieben, und surfen auf dem Wellenkamm der Veränderung. Die Selbstverständlichkeit, mit der Peper das Geschehen in die vermeintliche Peripherie verlagert, reiht sich in eine immer länger werdende Liste von SF-Werken aus jüngerer Vergangenheit ein. Insbesondere erinnert "Veil" darin an die Romane von Ian McDonald (etwa "Cyberabad", aber auch die "Luna"-Trilogie) oder an Alastair Reynolds' "Okular".

Mehr Mut zur Fantasie wäre schön gewesen

Allerdings gibt es auch einen entscheidenden Unterschied zu den Genannten. Peper versteht es zwar, Situationen so dicht zu beschreiben, dass sie greifbar werden, inklusive Geruchs- und Geräuschkulisse und des begleitenden Gedankenstroms – egal, ob wir uns durch den kolumbianischen Regenwald kämpfen, im Menschengewimmel eines Flughafens stecken oder orientierungslos an der Meeresoberfläche treiben. Aber das sind alles Situationen, die man heute schon erleben könnte. Und die Peper – wenn er nur halb so weitgereist ist, wie er in seiner Biografie angibt – vielleicht sogar schon erlebt hat.

Science-Fiction-Autoren wie McDonald oder Reynolds hingegen würden ihre Fantasie bemühen, um das eigentlich Neue an der neuen Welt genauso plastisch heraufzubeschwören. In "Veil" bekommt man in dieser Hinsicht aber nicht mehr als ein paar Andeutungen. Etwa wenn New Malé erwähnt wird, die neue schwimmende Hauptstadt der Malediven, die über der versunkenen alten ankert. Die wäre einen Rundgang wert gewesen – wie auch ein Blick ins byzantinische Innenleben von SaudExxon gelohnt hätte. Diese Verschmelzung aus Konzern und Königshaus (sehr schön: der Ausdruck corporoyals) kann man sich als die Endstufe der Erdölindustrie vorstellen. Beziehungsweise muss man sie sich vorstellen, denn leider bleibt das Wirtschaftsmonster ähnlich vage wie die wissenschaftlichen Aspekte des Sonnenschleiers.

Und darum ist "Veil" zwar ein lesenswertes Buch mit mehr Stärken als Schwächen. Einen visionären SF-Roman darf man sich aber nicht erwarten.