Unsystematischer Forschungsreisender: Radek Knapp.

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Unser Land heißt ein von dem Falter-Journalist Klaus Nüchtern und dem Historiker Thomas Walach herausgegebener Sammelband, welcher Auskunft darüber verspricht, "wie wir Heimat herstellen". Das im Titel enthaltene Possessivpronomen zeigt an, dass die Herausgeber nicht nur eine analytische Durchdringung des Heimatbegriffes im Schilde führen.

Sie sehen sich auch in den Reihen jener, die den – zugleich wohligen und ominösen – Sehnsuchtsort "Heimat" nicht einer Rechten überlassen wollen, die es sich zur Gewohnheit gemacht hat, ihre politischen Konzepte ständig in einer "Dahaam"-Verpackung zu präsentieren, als wären sie es gewesen, die Österreich erst erfunden haben.

Klaus Nüchtern, Thomas Walach (Hg.), "Unser Land. Wie wir Heimat herstellen". 19,90 Euro / 144 Seiten. Falter-Verlag, Wien 2020

Es gibt aber keinen Anlass, den heimischen Grund und Boden kampflos aufzugeben. Die einschlägige Positionierungsdebatte läuft unter dem Rubrum "linker Populismus" und weckt Erinnerungen an den Präsidentschaftswahlkampf 2016, als Alexander Van der Bellen versuchte, die Stimmen der Österreicher zu gewinnen, indem er sich vor herzerwärmend-heimatlichen Naturkulissen im Kaunertal präsentierte. Hat ja auch gut geklappt.

Zwölf Beiträge in unterschiedlichen Darbietungsformen – vor allem Kurzessay und Interview – haben Nüchtern und Walach zusammengestellt, um "unser Land" gedanklich einzukreisen. Dabei gelingt es ihnen, einem schon reichlich durchpflügten und teils abgeernteten Themenfeld interessante Lesefrüchte abzugewinnen.

Anthropologische Konstante

Dazu zählt etwa ein Interview mit der deutsche Kulturwissenschafterin Aleida Assmann, die die Suche nach Heimat als eine anthropologische Konstante sieht und dafür plädiert, sich den ausgetrockneten Begriff erneut anzueignen: "Ad acta legen kann man ihn nicht, denn er kommt ja von allen Seiten zurück." Falter-Herausgeber Armin Thurnher nähert sich der Heimat "aus der Fremde", von einem Aufenthalt im südindischen Kerala, wo er angesichts der hinduistisch grundierten Machtbestrebungen des Premiers Modi zum Schluss kommt, Heimat müsse "als wichtigstes Moment die Säkularität beinhalten".

Renata Schmidtkunz, ORF-Journalistin mit deutschem Migrationshintergrund, spürt ihren Heimatgefühlen in Österreich nach, welche sich merkwürdigerweise in Niederösterreich nicht einstellen wollten, während sie in Oberösterreich problemlos fündig wurde.

Die Schriftstellerin Maja Haderlap spricht über die Schwierigkeiten das Dahaam-Seins in Kärnten, während Mitherausgeber Walach einen fundierten Beitrag über Komplexitäten der Nationsentstehungen und Nationsfindungen beigesteuert hat. Von hier spannt sich ein Bogen zum abschließenden Beitrag des Psychoanalytikers Rainer Gross, der die subjektive, innerpsychische Rolle ins Visier nimmt, welche die Nation im Gefühlshaushalt des und der Einzelnen spielen kann.

Unterirdisch viel los

Radek Knapp, "Von Zeitlupensymphonien und Marzipantragödien. Notizen eines Möchtegern-Österreichers". 20,– Euro / 160 Seiten. Amalthea-Verlag, Wien 202O

Sehr subjektiv geht auch der aus Warschau gebürtige und in Wien lebende Schriftsteller Radek Knapp seine landeskundlichen Expeditionen durch Österreich an. Subjektiv, und zwar bis zur Versponnenheit, wie schon der extravagante Titel Von Zeitlupensymphonien und Marzipantragödien seiner Notizen eines Möchtegern-Österreichers signalisiert.

Zum Reisen animiert wurde Knapp angeblich von seinem fidelen polnischen Großvater, der dem widerstrebenden Enkel Österreich mit folgenden Argumenten nahebrachte: "Dort hat man die Psychoanalyse erfunden, um sich vom jahrhundertelangen Walzertanzen zu erholen."

Und: Die Österreicher "haben die besten Katakomben, originelle Keller, und überhaupt ist dort unterirdisch viel los". Man wird wohl nicht in die Irre gehen, wenn man in der Wahl des schillernden Eigenschaftsworts "unterirdisch" eine Gemeinheit des Großvaters gegenüber der österreichischen Lebensart vermutet.

Radeks Reisen führen ihn an so abenteuerliche Orte wie die Kapuzinergruft (Katakomben!) oder zu einer Weinverkostung nach Langenlois. Er lernt vier Charaktertypen in der österreichischem Bürokratie unterscheiden oder erzählt Anekdoten von seinem Landsmann Stanislav Lem, welche mit Österreich eigentlich kaum etwas zu tun haben.

Knapp ist ein wenig systematischer Forscher, der ebenso gern und beredt über sich selbst wie über Österreich spricht, und die mangelhafte Absehbarkeit seiner Reiseziele und Gedankengänge verleiht dem Buch durchaus eigenwilligen Charme. Von wenigen giftigen Bemerkungen abgesehen ist der Humor des Möchtegern-Österreichers Knapp überwiegend harmlos, wodurch auch die düsteren Seiten des österreichischen Nationalcharakters unterbelichtet bleiben. Ein paar pointierte Boshaftigkeiten wie die, auf die sich Opa Knapp verstand, hätten dem Buch nicht geschadet. (Christoph Winder, 24.10.2020)