Foto: Amnesia: Rebirth
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Dieses Indie-Spiel hat vor einem Jahrzehnt das Horrorgenre gerettet: In Zeiten, in denen große Hochglanz-Franchises wie Dead Space und Resident Evil zunehmend zu bombastischen Monsterschießbuden verkamen, brachte Amnesia: The Dark Descent Angst und Schrecken zurück ins Videospiel.

2010 sorgte das First-Person-Spiel des schwedischen Indie-Studios Frictional Games durch radikale Entschlankung für Nervenkitzel. Statt wie im Mainstream schwer bewaffnet gegen stetig wachsende Monsterhorden zu kämpfen, musste man sich hier völlig wehrlos vor einzelnen Ungeheuern verstecken und darauf achten, beim direkten Anblick der Horrorgestalten nicht zum wimmernden Häufchen Elend zusammenzusacken.

Amnesia: The Dark Descent entwickelte sich rasch vom Geheimtipp zum Phänomen, einem Add-on namens Justine folgte 2013 eine von Spielmechaniken entkernte, etwas spröde Fortsetzung durch die Walking-Simulator-Erfinder The Chinese Room mit dem Untertitel A Machine for Pigs. Seine größte Nachwirkung erzielte der Indie-Horror-Hit aber in der Übernahme zentraler Gameplay-Konzepte durch den Mainstream: Von Alien: Isolation abwärts entdeckten nun auch riesige Franchises den Horror-Reiz der Wehrlosigkeit.

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Comeback

Nach dem 2015 erschienenen Science-Fiction-Horror-Abenteuer SOMA kehren die Schweden jetzt mit Amnesia: Rebirth zu ihrem größten Erfolg zurück; eine nahtlose Fortsetzung der Geschichte und Figuren des ersten Teils ist daraus aber nicht geworden. Ende der 1930er-Jahre erwacht man in Amnesia: Rebirth in der Gestalt der Archäologin Tasi Trianon als Überlebende eines Flugzeugabsturzes in einer öden Wüste in Algerien. Von den Begleitern, unter ihnen der Ehemann, sind nur vereinzelte Spuren zu finden. Die Suche nach ihnen und nach Rettung wird für Tasi, die zudem mit dem titelgebenden Gedächtnisverlust zu kämpfen hat, zur albtraumhaften Reise durch düstere Höhlen, verlassene Ruinenstädte und an Orte jenseits der gewohnten Realität.

Anstatt einer Gesundheitsanzeige gilt es subtilere Warnzeichen im Auge zu behalten: Der gleißenden Wüstensonne sollte man sich hier ebenso wenig aussetzen wie der Schwärze dunkler Höhlen; tut man es doch, zeigen zunehmende unheimliche Geräusche und Halluzinationen unsere wankende psychische Gesundheit an. Mit Zündhölzern und einer Laterne lässt sich die Finsternis erhellen, doch weil diese Ressourcen rar sind, ist man immer wieder dazu gezwungen, sich der Dunkelheit auszusetzen – auch um von den monströsen Schreckgestalten nicht entdeckt zu werden, die auch hier wieder unterwegs sind.

Spielerisch ist man mit dem Lösen von gelungenen Puzzles und dem Sammeln von Gegenständen beschäftigt; den in vielen Gebieten herumwandernden Albtraumwesen gilt es durch Vorsicht, Verstecken und Flucht zu entkommen. Dank starker Handlung, die so manchen düsteren Haken schlägt, fühlt sich Amnesia: Rebirth aber nicht wie die Abfolge von Rätseln und Erforschungssequenzen an, die es streng genommen ist, sondern vielmehr wie ein Abenteuer aus einem Guss, das in etwa acht Stunden Spieldauer niemals langweilt und sich kaum wiederholt. Dass zu häufiges Scheitern an Monstern oder beim Behalten der psychischen Gesundheit diesmal auch im Spiel Konsequenzen hat, behebt einen der Hauptkritikpunkte am Original.

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Was ist gelungen?

Frictional haben ihren Ruf als Großmeister des atmosphärischen Erzählens nicht umsonst, und auch Rebirth stellt diese Meisterschaft beeindruckend zur Schau: Klaustrophobische Höhlen weichen albtraumhaften Höllenvisionen, gleißende Wüstenlandschaften und verfallene Ruinen geraten dank gewohnt großartigen Sounddesigns zu beeindruckenden Schauplätzen dieses großteils linearen Horrortrips.

Der Dramaturgie dieses Albtraums zum Spielen kommt hier die größte Bedeutung zu: Wer meint, sich wie in anderen Spielen aus frühen Andeutungen und Horrorklischees ein Bild der Story machen zu können, wird wieder und wieder auf ebenso originelle wie furchterregende Weise aus der Bahn geworfen. Auch wenn Rebirth die geradezu philosophischen Untiefen des indirekten Vorgängers SOMA nicht ganz erreicht, glänzt dieses Spiel bei weitem nicht nur durch seine spielmechanische Fähigkeit, Horror zu erzeugen, sondern auch durch seine Geschichte, die Motive und Elemente des Originals übernimmt und weiterspinnt.

Dass man beträchtliche Teile dieses Spiels mit dem Lösen ziemlich cleverer Rätsel beschäftigt ist, wird nur jene überraschen, die das Original nicht gespielt haben. Rebirth ist so gesehen kein Walking Simulator mit Horroratmosphäre, sondern fordert seine Spielerschaft immer wieder durch originelle Puzzles und ein bisschen Notwendigkeit zum Ressourcenmanagement heraus.

Was ist weniger gelungen?

Im Prinzip ist am Beibehalten "klassischer" Spielelemente nichts auszusetzen, doch vor allem das noch immer recht schwammige Interagieren mit Gegenständen und Umgebung durch eine behäbige Gegenstandsphysik samt körperlos schwebender Gegenstände führt dazu, dass sich Rebirth stellenweise sehr traditionell, manchmal gar ein wenig altmodisch anfühlt.

Genauso zeigen sich die budgetären Beschränkungen bisweilen auch an Äußerlichkeiten: Dass sich der Horror in finsteren Innenräumen atmosphärisch besser entfalten kann als in weiten Landschaften, in denen die Engine mit jeder Art von Vegetation und stellenweise etwas klinischer Anmutung zu kämpfen hat, fällt an manchen Stellen auf.

Auch erwähnenswert: Wer sich bei einem der gar nicht so trivialen Rätsel festbeißt, bekommt vom Spiel kaum Hilfestellung. Dass die Protagonistin in Rebirth nicht dieselbe stumme Leerstelle wie im ersten Teil ist, wird hingegen nur Hardcore-Traditionalisten ein Dorn im Auge sein; ein bisschen weniger Flashbacks hätten dem Titel an manchen Stellen aber nicht geschadet.

Fazit

Kultspiele fortzusetzen ist ein zweischneidiges Schwert: Bei zu radikalen Neuerungen murrt die Fangemeinde, zu wenig Innovation hingegen gilt schnell als Stagnation. Amnesia: Rebirth setzt auf behutsame Weiterentwicklung bei gleichzeitiger Differenz in Sachen Setting, Hauptfigur und Geschichte und schafft so letztendlich diesen schwierigen Spagat – angesichts der genannten etwas behäbigen Interface-Tradition nicht eben mit Grazie und Leichtigkeit, aber doch.

Wer das Original verehrt, die bewährten Spielmechaniken in neuem Setting und mit so manchem überraschenden Twist ein weiteres Mal erleben will und den zentralen Mythos der Reihe weiter aufdecken möchte, wird nicht enttäuscht werden, doch man muss kein Kenner der Serie sein, um sich hier aufs Beste unterhalten und zum Fürchten gebracht zu fühlen.

Substanziell erschüttern wird Amnesia: Rebirth im Unterschied zu seinem Vorgänger die Nische der Horrorspiele aber diesmal nicht; dafür hat der Rest des Mediums zu viele seiner Lektionen inzwischen beherzigt. Es setzt aber seine selbst begründete Tradition mit viel Selbstbewusstsein fort: Amesia: Rebirth ist ohne Wenn und Aber eines der besten Horrorspiele der letzten Jahre. (Rainer Sigl, 25.10.2020)

Erhältlich ab 18 Jahren für PS4, Windows, Linux um 24,99 Euro.