Peter Stippl ist Psychotherapeut, Supervisor, Trainer und Coach sowie Präsident des Österreichischen Verbands für Psychotherapie.
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Laut Peter Stippl ein guter Weg: die Sache ernst nehmen, aber nicht in Panik verfallen.
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STANDARD: Wie beurteilen Sie die Krisenkommunikation von Politik und Behörden?

Stippl: Die Bevölkerung wird laufend über den Stand der Dinge informiert, die Politik meint das vor allem pädagogisch und appelliert an die Bevölkerung zur Vorsicht. Es wird kommuniziert, wo Infektions-Hotspots und die größten Risiken und Gefahren liegen.

STANDARD: Seit Monaten ist die Rede von diesen Gefahren. Was macht das mit den Menschen?

Stippl: Das kann negative Auswirkungen haben. Es stimmt definitiv: Diese Pandemie geht auf die Psyche. Wir wissen etwa, dass bei Menschen, die schon lange arbeitslos sind, also auch schon vor der Pandemie waren, schwere Depressionen ganz drastisch gestiegen sind – in dieser Gruppe haben 70 Prozent solche Symptome. Und auch in der restlichen Bevölkerung nehmen psychische Erkrankungen zu, der Bedarf an Therapien ist stark gestiegen.

STANDARD: Was könnte man verbessern?

Stippl: Man sollte vermehrt negative Nachrichten mit positiven abfedern und auch Good News mitliefern. Viele Infizierte haben ja gar keine Symptome, und der überwiegende Teil kann wieder geheilt werden – doch Meldungen dazu kommen oft zu kurz. Außerdem sollten mit negativen Nachrichten immer auch Auswege aufgezeigt werden, also etwa, wie man sich schützen kann – und dass wir mit den richtigen Verhaltensregeln einen Weg aus dieser Krise finden werden. Auch hört man viel zu wenig darüber, dass man sich mit gesunder Ernährung und ausreichend Bewegung vor einer Erkrankung schützen kann.

STANDARD: Und was ist ein guter Mittelweg?

Stippl: Die Sache ernst zu nehmen, aber nicht in Panik zu verfallen. Ich glaube an den mündigen Menschen und halte es für berechtigt, ihm positive und negative Nachrichten zu liefern, immer mit der Botschaft: Ja, das Virus ist gefährlich, aber man kann sich gut schützen.

STANDARD: Wie schafft man es als Medienkonsumentin und -konsument, dass die Angst nicht Überhand nimmt?

Stippl: Man sollte sich immer vor Augen führen, dass mit gewissen Vorsichtsmaßnahmen unser aller Leben gut und positiv weitergehen kann. Wir erleben derzeit herrliche Herbsttage, man kann etwa zwei oder drei Stunden in der Natur wandern gehen. Oder man kann sich zu Hause ein gutes Konzert anhören oder ins Theater gehen. Wichtig ist, sich entspannende und sinnvolle Tätigkeiten zu suchen. Ich halte auch viel davon, sich ehrenamtlich zu engagieren. Das hilft vielen Menschen, die in ihrem eigentlichen Beruf beispielsweise keinen Sinn mehr finden.

STANDARD: Was halten Sie davon, dass die Zahl der Corona-Neuinfektionen derzeit täglich und prominent kommuniziert wird?

Stippl: Ich würde das nicht unbedingt jeden Tag so breittreten. Es sollten auch andere Themen wieder vermehrt in die Schlagzeilen kommen. Ich habe den Eindruck, das ist bei uns in Österreich doch sehr ausgeprägt. Etwa in deutschen Medien scheint mir dieser Fokus auf die Zahlen nicht so konzentriert zu sein. Für die psychische Gesundheit von Mediennutzerinnen und -nutzern könnte es sinnvoll sein, etwa nur darauf zu verweisen, wo im Internet man sich die aktuellen Zahlen ansehen kann. Zudem halte ich es nicht für klug, dass einzelne Bezirke mit hohen Fallzahlen fast schon an den Pranger gestellt werden, das kann für die Menschen dort negative Effekte haben.

STANDARD: Kann es sinnvoll sein, auf den Konsum von Medien zu verzichten?

Stippl: Ja, das ist auf jeden Fall ein individueller Rat, den ich Angstpatientinnen und -patienten gebe. Dieses sogenannte News-Fasting kann etwa so funktionieren, dass man sich vornimmt, täglich nur eine Nachrichtensendung zu schauen, nur eine Zeitung grob zu lesen oder zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Infokanal im Internet zu konsumieren. Es ist in dieser Zeit sicher gesünder und für viele Menschen ein guter Rat, täglich höchstens eine Viertelstunde Medien zu konsumieren. (Bernadette Redl, 1.11.2020)