Früher hätte man sich eher für Hohenems geniert, erzählt der Bürgermeister. Mittlerweile wächst die Stadt. Und auch der jahrelange Streit hat ein Ende gefunden.

Foto: Dietmar Mathis

Sechzig neue Wohnungen sollen im Stadtzentrum entstehen. So will es der Bürgermeister. Viel zu viel, ist der eine Teil der Hohenemser entsetzt – das passt nicht zur Umgebung! Endlich neuer Wohnraum, freuen sich die anderen. Unterschriften gegen den Bau werden gesammelt, der Stadtchef steht unter Druck. Das war 2004. Damals war die kleine Stadt in Vorarlberg noch heillos zerstritten. Darin sind sich alle einig.

Die lange Phase des Streits endete, auch darin stimmen die meisten überein, mit dem Amtsantritt von Dieter Egger als Bürgermeister. Ein Freiheitlicher hat für Harmonie gesorgt. Ausgerechnet. Und damit es so konstruktiv weitergeht, hat sich Egger Anfang Oktober eine grüne Vizebürgermeisterin ausgesucht. Ausgerechnet! Seit einigen Wochen herrscht nun blau-grüne Einigkeit in der Stadt. Was passiert hier?

Natürlich hat die Vorarlberger Politik schon immer ihre Eigenheiten gehabt, Parteien waren hier selten so links oder rechts wie ihre Bundesparteien. Und natürlich gelten in Gemeinden andere Spielregeln als in Land und Bund. Aber das setzt nicht alle politischen Gesetze außer Kraft. In dieser politischen Geschichte aus Hohenems geht es um Macht – und darum, wie Lokalpolitiker ihr gerne jegliche Bedeutung absprechen; wie für die Harmonie alle Grenzen von Partei und Ideologie gesprengt werden.

Der freiheitliche Hohenemser Bürgermeister Dieter Egger regiert mit einer grünen Vizebürgermeisterin.
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Der Stadtrat trifft sich an einem Herbstabend in der historischen Hälfte der Stadt – nicht dort, wo Wohnsiedlungen vor sich hinwachsen, sondern östlich der Bahngleise in Richtung Berg, wo das hübsche Rathaus, die alte Kirche und das historische jüdische Viertel gelegen sind.

Buntes Ensemble

Es ist eine Sitzung mit höchst unterschiedlichen Charakteren: dem Bürgermeister, der sich politisch längst von seiner Partei verabschiedet hat; dem ÖVPler, der noch mit dem desaströsen schwarzen Wahlergebnis hadert; dem linken Sozialarbeiter, der alle vertreten will, die sonst niemand repräsentiert; und der grünen Vizebürgermeisterin, die eher unverhofft zu diesem Amt gekommen ist.

Das Rathaus, das Zentrum der Hohenemser Macht, sitzt wie ein kleines Schlösschen im Herzen der Stadt. Bürgermeister Egger führt eine mittelalterliche Wendeltreppe in sein Büro. Es sei ein "Gebot der Stunde, auch in der politischen Arbeit nicht das Trennende zu suchen, sondern das Gemeinsame", sagt er.

Der Bürgermeister liefert etliche solcher Sätze ab, wohlüberlegt, eloquent dargebracht. Egger ist ein Profi, er war ja auch zwölf Jahre lang Chef der FPÖ Vorarlberg. Das Foto für diesen Artikel möchte er lieber nach dem Gespräch machen, wenn sich die Morgensonne über die Berge gekämpft hat.

Traditioneller Streit

"Der Streit hatte früher wirklich eine lange Tradition. Woher das kommt, ist schwer zu sagen", erklärt der Bürgermeister – und weiß natürlich ganz genau, dass er selbst für den Höhepunkt der Polarisierung gesorgt hat. 2015 bildete sich eine Bürgerinitiative gegen seine Kandidatur zum Bürgermeister. Wegen eines Eklats, von dem hier später noch die Rede sein wird. Die Wahl hat er dennoch gewonnen. 2020 wurde er wiedergewählt, mit deutlich mehr Zustimmung – und ohne Protest.

Wo es Gewinner gibt, gibt es auch Verlierer. Gerhard Stoppel sitzt in der "Löwenbar", wo am Nebentisch gelacht und gefeiert wird. Doch Stoppel sitzt der Schock vom Wahlabend am 27. September noch in den Knochen, und man sieht ihm das an: hochgezogene Schultern, trauriger Blick. Stoppel war Bürgermeisterkandidat der Volkspartei im schwarzen Vorarlberg. Die ÖVP wollte die Stadt von Egger zurückerobern. Doch nur 16 Prozent der Hohenemser wollten ihren Spitzenkandidaten zum Bürgermeister machen.

"Mir fehlt einfach die Bekanntheit", sagt Stoppel. Er will seine Partei jetzt wieder auf Kurs bringen. Da hätte es geholfen, wenn er Vizebürgermeister geworden wäre. Aber auch das wurde ihm verwehrt, obwohl die ÖVP zweitstärkste Partei bei der Wahl war. Egger ließ seine Mandatare Grünen-Chefin Patricia Tschallener zur Vizebürgermeisterin wählen, damit war die Sache erledigt. "Das war eine Retourkutsche", ist Stoppel überzeugt.

Der Stadtchef hatte nämlich von der ÖVP verlangt, gegen eine Verkleinerung des Stadtrats von neun auf acht Sitze zu stimmen – so hätte die FPÖ dank des Verteilungsschlüssels mit 44 Prozent der Stimmen eine Mehrheit in der Regierung. Doch Stoppel weigerte sich – und wurde eben nicht Vizebürgermeister.

Patricia Taschallener ist die grüne Vize des freiheitlichen Bürgermeisters: "Wir machen in Hohenems Politik für 17.000 Einwohner. Da steht die Sachebene im Vordergrund."
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Die lachende Dritte im blau-schwarzen Clinch ist Patricia Tschallener, jetzt grüne Vizebürgermeisterin. Männliche Egos spielen in der Hohenemser Stadtpolitik eine gewisse Rolle. Vielleicht hilft es da, dass Tschallener im Brotberuf an einer HTL unterrichtet.

Die 39-Jährige glaubt nicht, dass sie ihren neuen Posten nur der Diskussion bezüglich der Zahl der Stadträte zu verdanken hat. "Es ist sicher nicht ein reines Auswischen der ÖVP gegenüber gewesen", sagt sie. Tschallener glaubt eher, dass Egger "weiß, dass ich die Position nicht ausnützen würde, wenn er ausfällt. Dass ich da nicht irgendwelche machtpolitischen Spielchen treiben würde."

Respektvolle Zusammenarbeit

Egger begegne sie "auf Augenhöhe", deshalb ist sie von der blau-grünen Zusammenarbeit überzeugt: "Wir respektieren uns." Ein paar Kilometer weiter östlich würde man so einen Satz von einer Grünen über einen Blauen wohl nicht hören.

Tschallener ist aber auch wichtig: Es gibt keine Koalition mit der FPÖ, auch Arbeitsübereinkommen wurde keines unterzeichnet. Egger hätte das gewollt, aber die Grünen lehnten ab. Tschallener ist selbst erst seit ein paar Jahren in der Politik, die Stadtpartei sei insgesamt "eine neue Gruppe. Wir wollen uns da nicht einhängen lassen."

Dazu kommt, dass eine blau-grüne Koalition bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hätte und den Grünen noch jahrelang vorgehalten worden wäre. Darum sei es ihr aber nicht primär gegangen, sagt Tschallener. In Hohenems mache man Politik "für 17.000 Einwohner, da steht die Sachebene im Vordergrund".

Das hört man in der Gemeindepolitik immer wieder: Es gehe um Inhalte und Menschen – nicht um Macht, Parteien oder Ideologie.

Teile und herrsche

Bernhard Amann sieht das anders, aber er sieht auch das meiste anders. Der 66-Jährige sitzt vor einem laminierten "Bitte nicht rauchen"-Schild in seinem Kulturzentrum Prokontra und zündet sich eine Zigarette an.

Amann ist das alternative Urgestein in Hohenems. Der Sohn eines langjährigen ÖVP-Bürgermeisters gründete ein niederschwelliges Zentrum für suchtkranke Menschen, setzt sich für die Legalisierung von Cannabis ein, kandidierte für die Liste Pilz in Vorarlberg und lacht, als würde sich jedes "Ha" gewaltsam aus seinem Körper pressen.

Und: Er war die vergangenen fünf Jahre Vizebürgermeister, der offizielle Vertreter des blauen Dieter Egger, wenn dieser abwesend war. Ihn hat sich die FPÖ damals nicht selbst ausgesucht, die anderen Parteien haben ihn gewählt. "Jetzt kann Egger wieder mehr auf Urlaub gehen, weil er eine pflegeleichte Vizebürgermeisterin hat", ätzt Amann, der heute einfacher Stadtrat ist.

"Jetzt kann Egger wieder mehr auf Urlaub gehen, weil er eine pflegeleichte Vizebürgermeisterin hat." Bernhard Amann, Ex-Vizebürgermeister
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Er ist mit Egger wohl in keiner einzigen Frage einer Meinung – allein aus Prinzip. Aber in der Stadtregierung lässt der Freiheitliche den Alternativen machen. "Ich hab’ mich in meinem Bereich engagiert", sagt Amann – Wohnpolitik, Integrationspolitik. Egger hätte akzeptiert, dass Amann seine Leute repräsentiert: "Das Prinzip ‚Teile und herrsche‘ funktioniert unter Egger."

Vieles funktioniert

Es funktioniert neuerdings vieles in Hohenems: Die Marktgasse in der Innenstadt wurde renoviert und verkehrsberuhigt. Ein Immobilienunternehmer wertet Gebäude auf und vermietet sie an lokale Betriebe, nicht an große Ketten. Hohenems wächst. Früher hätte man sich für Hohenems eher geniert, heute seien viele Stolz darauf, sagt der Bürgermeister.

Dass Dieter Egger einmal mit breiter Zustimmung zum Bürgermeister gewählt werden und in den Augen vieler für Einigkeit in der Stadtpolitik sorgen würde, hätte im Jahr 2009 wohl niemand geglaubt. Damals hat er als FPÖ-Spitzenkandidat für die Landtagswahl die Stadt in die bundesweiten Schlagzeilen gebracht, weil er Hanno Loewy, den Direktor des Jüdischen Museums, als "Exil-Juden aus Amerika in seinem hochsubventionierten Museum" bezeichnet hatte. Sechs Jahre hat Egger gebraucht, um sich bei Loewy zu entschuldigen. Der akzeptierte.

Im Jahr 2020 hält der blaue Bürgermeister eine Rede bei der Eröffnung einer Sonderausstellung in Loewys Museum. Er spricht über den europäischen Gedanken und über die Selbstverständlichkeit, Kinder aus Moria retten zu müssen. Das sagt ein Freiheitlicher – noch dazu einer, der vor elf Jahren noch mit antisemitischen Schmutz aufgefallen war.

Wie passt das zusammen? Egger sagt einen Satz, der immer gut ankommt, weil er unangenehme politische Realitäten negiert: "Ich kann mit links und rechts nichts anfangen." Das Kapitel FPÖ sei für ihn nach einer langen landespolitischen Karriere abgeschlossen. "Ich bin zu 100 Prozent mit dem Kopf und mit dem Herzen in Hohenems."

Über den Exiljuden-Sager von 2009 will Egger nicht lange reden: "Es hat keinen Sinn, groß in der Geschichte herumzutun. Jeder Mensch hat in seinem Entwicklungsprozess vielleicht Dinge gesagt oder getan, auf die er nicht so besonders stolz ist und aus denen man lernt."

Macht? "Total sekundär"

Nun also die Zusammenarbeit mit den Grünen. "Ich glaube das Signal, dass hier zwei Pole des politischen Spektrums zusammenarbeiten, kann auch für die Gesellschaft ganz wichtig sein: Schauts her, es kann auch gemeinsam funktionieren", sagt er, der ja gerne eine echte Koalition mit den Grünen gehabt hätte.

Allerdings hat Egger es auch mit der Volkspartei versucht. "Wir hätten der ÖVP auch den Vizebürgermeister und ihre beiden Wunschressorts angeboten. Die einzige Gegenforderung waren diese neun Stadträte", erzählt der Bürgermeister. Die neun Stadträte, mit denen eine FPÖ-Mehrheit in der Stadtregierung einhergegangen wäre.

Ein paar Sätze später bezeichnet Egger das als "total sekundäre Frage", weil die meisten Beschlüsse ohnehin einstimmig erfolgen. Egger hätte es halt für klug gehalten, die Arbeit auf mehr Köpfe zu verteilen – und es wäre auch ein gewisser Vertrauensbeweis gewesen.

Von der Zusammenarbeit mit den Grünen ist er überzeugt. Tschallener sei "auch keine Fundamentalgrüne". Und er selbst sei zwar "im Kern" ein Blauer, aber "ein liberaler".

Im blau-grün regierten Hohenems geht es also um Macht, auch wenn niemand gerne darüber spricht. Lokalpolitik ist eben Politik.

Die grüne Vizebürgermeisterin erzählt eine Geschichte darüber: Das Hohenemser Skigebiet Schuttannen sei sehr klein. Aber es gebe dort alles: Abfahrten, Buckelpisten, Straßen. Die Einheimischen sagen: Wenn du in Schuttannen Ski fahren kannst, kannst du es überall. Tschallener sagt: "Wenn du in Hohenems Politik machen kannst, kannst du’s überall." (Sebastian Fellner, 24.10.2020)