Je mehr Sars-CoV-2-Viren (hier in roter Farbe) im Körper sind, desto kränker wird man: Diese Schlussfolgerung gilt nicht immer.

Foto: AFP/NIH/NIAID

Es ist einer jener Fälle, die Ärzten die Haare zu Berge stehen lassen: Vor ein paar Wochen wurde eine 90-jährige Frau wegen Herzproblemen stationär in einem Berliner Krankenhaus aufgenommen. Jeder neue Patient wird zunächst auf Sars-CoV-2 getestet – die Patientin war positiv. Sie hatte allerdings weder zu diesem Zeitpunkt noch später Covid-19-assoziierte Symptome. "Aber wir konnten sie acht Wochen lang nicht nach Hause entlassen, weil sie so lange infektiös war", sagt Hans-Dieter Volk, Direktor des Institutes für Medizinische Immunologie, Charité Berlin. Eine Infektiosität eines Covid-19-Patienten und damit ein Ansteckungspotential für andere Menschen über eine derart lange Zeit ist ungewöhnlich, kommt möglicherweise aber doch häufiger vor als gedacht.

Woher wussten die Ärzte nun, dass die Frau ansteckend war? Über die Höhe der Viruslast, theoretisch die Zahl der Viren im Körper. Sie korreliert – insbesondere bei höherer Viruslast – mit der Infektiosität eines Covid-19-Patienten. Das belegen auch aktuelle Studienergebnisse. "Die derzeit eingesetzten Tests, der PCR-Test und der Antigen-Test, weisen aber in Abstrichen und Lungenspülflüssigkeit nur Bruchstücke der Virus-RNA bzw. beim Antigen-Test charakteristische Strukturen wie das Spike-Protein auf der Oberfläche von Sars-CoV-2 nach. Sie messen nicht die Zahl der noch intakten und infektiösen Viren", so Volk.

PCR-Tests (PCR steht für Polymerase-Kettenreaktion) gelten als der Goldstandard und sind sensitiver als Antigen-Tests. Sie vervielfältigen das genetische Material in der Probe in mehreren Zyklen und prüfen immer wieder, ob die Gensequenz des Virus vorhanden ist. Je mehr Zyklen nötig sind bis das Virus entdeckt wird, desto geringer ist die Viruslast bzw. die Virenkonzentration in der Probe. Mit verschiedenen Gerätetypen ermittelte Zykluszahlen sind aber nicht direkt vergleichbar. So variiert auch die Zykluszahl ab der ein Test als negativ gilt, von Gerät zu Gerät – zumeist liegt sie zwischen 35 und 40.

Der PCR-Test hat gewisse Schwächen

Infektiös ist eine Person meist schon 24 bis 48 Stunden bevor erste Covid-19-Symptome auftreten. Die infektiöse Phase dauert normalerweise nur wenige Tage. Der Fall der 90-jährigen Patientin zeigt, dass es aber eben auch anders sein kann. Zudem fällt bei immerhin der Hälfte der Infizierten der Test nach Aussage des Robert-Koch-Institutes (RKI) auch 20 Tage nach Auftreten erster Symptome noch positiv aus. Die PCR entdeckt also Bruchstücke der Virus-RNA, d.h. des Erbgutes der Viren.

Das kann allerdings auch bedeuten, dass es sich auch um Erbgut von Viren handelt, die nicht mehr infektiös sind, weil ihre Hülle und damit das Spike-Protein für das Andocken an den ACE2-Rezeptor auf der Zelloberfläche fehlt. Die Viruslast und ihre Aussagekraft für eine Infektiosität zeigen hier deutliche Schwächen. Die Dauer von Quarantänemaßnahmen lassen sich deshalb nicht zuverlässig ableiten, aber für die Routine sind Infektionsteste mit intakten Viren aus den Körperflüssigkeiten zu aufwendig.

Viruslast allein bestimmt nicht die Erkrankungsschwere

Die Viruslast korreliert zwar prinzipiell mit der Erkrankungsschwere. Aber: "Es gibt Patienten, die nur eine kleine Viruslast, aber einen schweren Covid-19-Verlauf haben und umgekehrt", sagt Hans-Dieter Volk. Und: Etwa 40 Prozent der Infizierten bleiben gesund, obgleich sie eine ähnliche Viruszahl haben wie Menschen, die krank werden. Der Grund ist, dass eine weitere Größe eine wichtige Rolle spielt. "Nicht weniger wichtig als die Höhe der Viruslast ist, wie das Immunsystem sie bekämpft", so Volk.

Die angeborene Abwehr setzt bei Viren auf Typ-1-Interferon, ein antiviral wirksames Zytokin. "Wenn diese Abwehrmaßnahme gut funktioniert, dann kann das Immunsystem die Viruslast schnell verringern und hat die Infektion im Griff. Nach den ersten zwei bis drei Tagen geht es den Patienten wieder gut", erzählt Volk. Es gibt aber einen Haken: "Bei einem derart milden Verlauf mit nur wenigen Symptomen, sind auch nur kurzzeitig Antikörper im Blut, es ist also nur eine kurze infektionsverhindernde Immunität gegen Sars-CoV-2 vorhanden, da das erworbene Immunsystem kaum angeschaltet wurde."

Langsame Immunantwort gibt Viren Zeit, sich zu vermehren

Funktioniert die angeborene Immunabwehr aber nicht schnell genug, dann vermehrt sich das Virus währenddessen und infiziert immer mehr Zellen. Die Viruslast nimmt zu. Das erworbene Immunsystem versucht, die Viren in den Zellen zu eliminieren und zerstört dabei Zellen. "Je mehr Gewebe von diesem "friendly fire" betroffen ist, desto gefährlicher wird die Reaktion des Immunsystems für den Körper, weshalb dieser gegensteuert, damit die Kollateralschäden an lebenswichtigen Organen nicht zu groß werden. Das Gewebe setzt hierfür Faktoren frei, die die Immunzellen deaktivieren", berichtet Volk.

Das hat aber zur Folge, dass das Virus nicht mehr effektiv bekämpft wird und viele Immunzellen fortan suboptimal arbeiten. Die Folge: Ein lang andauerndes Infektionsgeschehen. Die positive Seite dieses Prozesses: Es werden zahlreiche Antikörper produziert, die nach der Genesung für eine gewisse Zeit Schutz vor einer erneuten Infektion mit SARS-CoV-2 bieten.

Sich und Andere schützen

"Covid-19 überleben, bedeutet leider nicht unbedingt, dass man hinterher gesund ist", warnt Volk. Sogar bei milden Verläufen treten in einigen Fällen Herzmuskel-Entzündungen, Gehirnschäden und/oder eine Fatigue-Symptomatik auf. Für den Berliner Immunologen steht deshalb fest: Sich selbst und andere durch konsequentes Maskentragen unbedingt schützen. "Die klassischen weiß-blauen OP-Masken fangen 80 bis 90 Prozent der Viren ab. Wenn alle diese Masken tragen würden, sähen die Infektionszahlen ganz anders aus." (Gerlinde Felix, 24.10.2020)