Chrissy Teigen hat Millionen Follower auf Instagram. Dass sie auch die Zeit nach einer Fehlgeburt mit ihnen teilte, sorgte für Lob und Kritik.

Foto: Screenshot Instagram / Teigen

Es ist kein Foto von der Art, wie man es oft auf Instagram sieht. Eine Frau sitzt weinend auf einem Krankenhausbett. Das Foto zeigt das US-amerikanische Model Chrissy Teigen, das ansonsten ihren Followern auf Instagram Glamour und Familienglück bietet.

Auf diesem Beitrag von Anfang Oktober zeigt sich Teigen, kurz nachdem sie im sechsten Schwangerschaftsmonat eine Fehlgeburt hatte. Sie musste ihren Sohn tot gebären. "Wir fühlen einen Schmerz, den wir nur vom Hörensagen kannten und den wir noch nie zuvor fühlten", schreibt die 34-Jährige in ihrem Post. Sie teilte mit ihren fast drei Millionen Followern auch Fotos, wie sie und ihr Mann, der Musiker John Legend, sich von dem in Decken eingewickelten Baby verabschieden.

Es sind Bilder, die in den sozialen Medien große Resonanz erzeugten. Zwischen viel Zuspruch, Empathie und Lob dafür, damit ein Tabu zu brechen, kam auch harsche Kritik. Teigen wolle damit nur Aufsehen erregen, gar ihre Followerzahlen noch weiter nach oben treiben und dass das einfach zu weit gehe.

Seit Jahren gibt es den Trend, Mutterschaftsthemen in sozialen Medien sichtbar machen zu wollen. Auch dessen schreckliche Seiten teilen immer mehr Prominente. Hilaria Thomas Baldwin, Yogalehrerin und Frau des US-Schauspielers Alec Baldwin, hat wie Chrissy Teigen schon die ersten Probleme bei ihrer Schwangerschaft auf Instagram geteilt. "Der Herzschlag des Embryos ist schwach", postete sie in einem sichtlich frühen Stadium der Schwangerschaft. Eine Fehlgeburt sei wahrscheinlich, sie wolle aber offen damit umgehen, um das Stigma von Fehlgeburten zu bekämpfen, postete Baldwin.

Auch Hilaria Thomas Baldwin thematisierte erst den schwierigen Verlauf ihrer Schwangerschaft und gab dann, ebenfalls auf Instagram, die Fehlgeburt bekannt.
Foto: Screenshot Instagram / Hilaria Baldwin

Alles Emanzipation?

Baldwins Posts waren kaum umstritten, vermutlich weil die Fehlgeburt viel früher eintrat als bei Teigen und auch keine Abschiedsszenen mit dem Baby zu sehen waren. Doch so oder so: Es hat eine lange Tradition, den Umgang von Frauen mit ihrer Mutterschaft und allem, was dazu gehört, in der Luft zu zerreißen.

Auch die Geschichte der Bevormundung bei allen Fragen, die den Körper von Frauen betreffen, ist uralt. Doch ist wirklich alles, was auf Selbstdarstellungsplattformen wie Instagram oder Facebook aus dem eigenen Leben gezeigt wird, ein Tabubruch und emanzipatorischer Akt?

Foto: Screenshot Instagram / Hilaria Baldwin

Chris Köver, Gründerin des deutschen Magazins für Feminismus und Popkultur Missy Magazine, schreibt heute darüber, wie Technologien unser Leben verändern. Aus feministischer Sicht befindet sie für gut, dass Chrissy Teigen diesen Schritt gegangen ist: "Es enttabuisiert das Thema und den damit verbundenen Schmerz, den sehr viele Frauen erfahren. Es ist ihre Erfahrung und ihre Entscheidung, diese auf ihrem Instagram-Kanal selbst öffentlich zu machen." Zugleich sei es ein gutes Beispiel dafür, wie sich kommerzielle Plattformen, die sich "mit unseren Daten ernähren, dennoch für emanzipative Politik nutzen lassen", sagt Köver.

Dieses Spannungsverhältnis müssten alle aushalten, die Facebook, Insta, Tiktok oder andere private Plattformen für ihre Kommunikation und Vernetzung nutzen. Die "nährenden Daten", von denen Köver spricht, das sind die vielen detaillierten Informationen, die wir solchen Plattformen schenken und die die Werbeeinnahmen für Techkonzerne immer weiter in die Höhe treiben. Zu diesen Informationen zählen auch alle geteilten persönlichen Erfahrungen, die diese Plattformen dafür nutzen können, Werbung immer individueller auf Nutzer und Nutzerinnen zuzuschneiden.

Auch Zuckerberg sprach

Apropos Techkonzerne: Auch Facebook-Gründer Mark Zuckerberg sprach auf seiner Plattform 2015 über die Fehlgeburten seiner Frau: "Es ist eine einsame Erfahrung", schrieb der damals 32-Jährige. Und fügte hinzu, in einer "offenen und vernetzten Gesellschaft" könne und solle man negative Erfahrungen wie diese mit vielen anderen Menschen teilen. Dass dieses Teilen von Erfahrungen und Informationen das Kerngeschäft von Facebook und Instagram ist, weiß Zuckerberg natürlich.

Es geht aber eben auch wirklich ums "Darüberreden". Dass man selbst etwas auf die Agenda setzen kann, worüber nicht gesprochen wird, obwohl es viele betrifft. Jede zweite bis dritte Frau erlebt im Laufe ihres Lebens eine Fehlgeburt. "Trotzdem ist es ein Tabu", sagt Claudia Weinert, Obfrau des Vereins Regenbogen, an den sich Eltern wenden können, die während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt ihr Kind verloren haben. Dass kaum darüber gesprochen wird, hänge damit zusammen, dass der Tod generell ein Tabu ist, sagt Weinert. "Oft ist es auch ein Teil der Trauerbewältigung, dass Frauen nach einem Schuldigen für ihren Verlust suchen, häufig sogar bei sich selbst."

Für die Genderforscherin Beatrice Frasl sind auch die vielfach idealisierten Vorstellungen von Mutterschaft ein Grund, dass jegliche negative Erfahrungen, die auch dazugehören, tabuisiert werden. Dabei gehe es auch um postnatale Depressionen, Unfruchtbarkeit oder Fehlgeburten, sagt Frasl, die sich für einen offenen Umgang mit psychischen Belastungen einsetzt. Dazu könnten auch soziale Medien beitragen.

Gesetzliche Ebene

Im Verborgenen bleiben aber oft politische Zusammenhänge und praktisches Wissen. Etwa dass für das Betrauern von Fehlgeburten gesetzliche Regelungen den Rahmen vorgeben. Dabei gehe es nicht zuletzt um "eine Anerkennung, dass man schwanger war, dass das Baby da war, auch wenn einen die Umwelt manchmal nicht ernst nimmt", sagt Weinert.

Sie hatte drei Fehlgeburten, bei einer war die Schwangerschaft weit fortgeschritten. Dennoch sagt sie: "Man kann pauschal nicht sagen, in welcher Schwangerschaftswoche man stärker oder weniger stark unter einer Fehlgeburt leidet."

Auf der gesetzlichen Ebene gibt es sie, die klaren Grenzen. Bei Fehlgeburten mit einem Gewicht des Fötus unter 500 Gramm hat man ein Bestattungsrecht, bei über 500 Gramm eine Bestattungspflicht. Unabhängig vom Zeitpunkt der Fehlgeburt ist hingegen das seit 2017 gültige Recht, dem Kind einen offiziellen Namen mit einer Geburtskunde vom Standesamt geben zu können. Es hat sich also etwas bewegt im Umgang mit Fehlgeburten.

Früher gab es auch keinen Schutz vor einer Kündigung, wenn man mehrere Wochen nach einer Fehlgeburt im Krankenstand war. Seit 2016 gibt es einen vierwöchigen Kündigungsschutz nach Fehlgeburten. Einen Anspruch auf Mutterschutz haben Frauen hingegen erst, wenn der Fötus bei einer Fehlgeburt mindestens 500 Gramm schwer war. Der Verein Regenbogen fordert einen "Mutterschutz light" bei Fehlgeburten unter 500 Gramm.

"Das Private ist politisch", ist wohl einer der bekanntesten Leitgedanken der Frauenbewegung. Die britische Medienwissenschafterin Sarah Banet-Weiser würde aber nicht jede Veröffentlichung zu einem frauenspezifischen Thema in sozialen Medien diesem Leitgedanken zuordnen. Schließlich war dieser auch so gemeint, dass mit Analysen frauenspezifischer Probleme politische Forderungen einhergehen müssten.

Über den gesetzlichen Rahmen oder ökonomische Bedingungen, unter denen Frauen mit Fehlgeburten zurechtkommen müssen – darüber werden uns die Stars in ihren Instagram-Posts nichts erzählen.

Wenn sich die von ihnen angestoßenen Debatten dann nicht in diese Richtung drehen, warnt die Wissenschafterin Banet-Weiser, dann wird aus "Das Private ist politisch" ein "Das Politische bleibt privat". (Beate Hausbichler, 24.10.2020)