Die Corona-Pandemie werde sich als Marathon herausstellen, das sagten Virologinnen und Virologen, Epidemiologinnen und Epidemiologen von Anfang an. Die starken Infektionsanstiege in Österreich und sonst in Europa acht Monate nach dem Umsichgreifen des Virus geben ihnen bitter recht.

Um angesichts dessen weiter durchzuhalten, spielt die Motivation eine zentrale Rolle. Bei den unfreiwilligen Challenge-Teilnehmenden, also uns allen, würde die am ehesten stimmen, hätte man ein klares Ziel vor Augen – und gäbe es faire, verständliche Regeln auf dem Weg.

Stand mit Mund-Nasen-Schutzmasken am Wiener Naschmarkt.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Das aber ist nicht der Fall, und die neue, am Sonntag in Kraft tretende Verordnung ändert es keineswegs. Das von der Regierungsspitze genannte Ziel, ein bundesweites Herunterfahren von Wirtschaft und Gesellschaft zu verhindern, hängt von einem offenbar nicht ausreichend konkretisierten Kriterium ab. Ein bundesweiter Lockdown mit Ausgangsbeschränkungen ist laut Covid-19-Gesetz dann möglich, wenn das Zusammenbrechen der Gesundheitsversorgung droht. Schon jetzt ringen Warner vor einer absehbaren Überlastung der Intensivstationen und Beruhiger um die diesbezügliche Erklärungshoheit.

Die neuen Verordnungsregeln wiederum sind kompliziert und unausgewogen, manchmal bis an die Grenze der Beliebigkeit. Was etwa ist der sachliche Grund dafür, dass sich, von Privaträumen abgesehen, indoor ab Sonntag nur sechs, outdoor zwölf Menschen aus verschiedenen Haushalten treffen dürfen? Warum nicht fünf und elf, oder sieben und 13?

Corona-Müdigkeit

Ist die Wahrheit nicht vielmehr, dass solche Treffen vorübergehend überhaupt vermieden werden sollten, wenn sie nicht unbedingt nötig sind? Um Menschen dazu zu bringen, einen sozial derart einschneidenden Schritt zu setzen, müsste man sie davon von Gleich zu Gleich überzeugen. Ein Regelungswust, der amtsschimmelhaft "noch Erlaubtes" und "schon Verbotenes" definiert, tut das nicht.

Von Gleich zu Gleich mit den Bürgerinnen und Bürgern über die nötigen Antiseuchenmaßnahmen reden – das rät auch die Weltgesundheitsorganisation in einem neuen Paper. So könne man am besten der verbreiteten Corona-Müdigkeit begegnen. Diesen Anspruch straft die Genese der neuen österreichischen Anti-Corona-Verordnung Lügen.

Erst wurden vom Gesundheitsminister kryptisch neue Verschärfungen angekündigt, dann im Rahmen einer der notorischen, vom Kanzler orchestrierten Regierungsspitze-Pressekonferenzen verkündet. Dann war in der Öffentlichkeit Sendepause; das Geziehe um die Regelungen hatte sich ganz offensichtlich auf die Interessenvertretungsebene verlagert.

Darüber verstrich der Donnerstag, der Tag vor dem angekündigten Inkrafttreten der Bestimmungen; dieser Termin wurde auf Sonntag verschoben. Dann stellte sich heraus, dass der Verordnungsentwurf vorab nur den schwarz regierten Bundesländern zur Kommentierung geschickt worden war. Das rief die SPÖ auf den Plan – deren nachvollziehbare Empörung man mit einem Kaninchen-aus-dem-Zylinder-Trick zu übertönen versuchte: Auch die durchsichtigen Gesichtsschilde würden verboten, hieß es am Donnerstag. Davor war davon nicht die Rede gewesen.

Viel Tauziehen also – und Public Relations: Dass das reicht, um die Menschen im Land im Kampf gegen die schlimmste Pandemie seit hundert Jahren mitzunehmen, ist zu bezweifeln. (Irene Brickner, 23.10.2020)