John Olsen hat schon am 5. Oktober in Des Moines, Iowa, als Erster gewählt. So wie er fürchten viele, dass ihre Stimme nicht gezählt werden könnte.

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Wenn Joe Biden bei der Präsidentenwahl am 3. November Donald Trump so klar besiegt, wie es zahlreiche Umfragen prognostizieren, dann wird der US-Präsident wohl keinen Weg finden, sich an sein Amt zu klammern – selbst wenn er nicht bereit sein wird, seine Niederlage einzuräumen.

Anders ist es, wenn Bidens Vorsprung in den entscheidenden Swing-States knapp ist, für diesen Fall werden seit Monaten zahlreiche Szenarien entworfen, wie Trump und seine Republikaner sich die Macht mit unlauteren Mitteln sichern können.

Dafür können sie die Bundesgerichte nutzen, in denen immer öfter erzkonservative Richter die Mehrheit stellen, sowie jene Parlamente in den Bundesstaaten, die von den Republikanern dominiert werden. Auch Widersprüche in der Verfassung und den Wahlgesetzen können hier genutzt werden. Manche von diesen Szenarien sind nicht sehr wahrscheinlich, aber in ihrer Summe erschreckend.

Wählereinschüchterung

Zum Teil sind Maßnahmen zur Wahlmanipulation schon im Laufen: In republikanisch dominierten Bundesstaaten wird versucht, Wähler in den Großstädten und Vertreter von Minderheiten, die meist demokratisch wählen, von der Stimmabgabe abzuhalten. Dazu tragen Gesetze, bürokratische Hürden, aber auch republikanische Funktionäre oder gar Milizen bei, die unter dem Vorwand, Wahlbetrug zu untersuchen, Wählereinschüchterung vor den Wahllokalen betreiben.

Erstmals seit 40 Jahren müssen solche Maßnahmen nicht mehr von einem Richter bewilligt werden; eine entsprechende Verordnung lief 2018 aus, weil davor lange Zeit keine derartigen Verletzungen der Wahlgesetze beobachtet worden waren.

Auch die Post kann dazu beitragen, dass ein Teil der Millionen von Wahlkarten nicht gezählt wird, sei es durch Personalmangel und Überforderung oder durch Sabotage durch den von Trump eingesetzten Postchef Louis DeJoy, der im Sommer begonnen hat, Zählgeräte außer Betrieb zu setzen, oder für eine verzögerte Zustellung von Anträgen und ausgefüllten Stimmzetteln sorgen kann.

Auch falsche Sammelstellen, wie sie in Kalifornien aufgetaucht sind, können dafür sorgen, dass Stimmen im Nichts verschwinden. Die Corona-Pandemie sorgt heuer für einen Rekord an Briefwählern, was in vielen Bundesstaaten für massive logistische Probleme sorgt.

Nicht alle Stimmen zählen

Aber wirklich spannend wird es nach dem Wahlabend am 3. November. Da könnten die am Wahltag abgegebenen Stimmen, die rasch ausgezählt werden, Trump eine Mehrheit in entscheidenden Bundesstaaten und damit im Wahlmännerkolleg geben. Erst durch die Auszählung der Briefwahl würde sich das Bild ändern, der sogenannte "Blue Shift".

In diesem Augenblick werden die Republikaner alles daran setzen, dass nicht alle Wahlkarten ausgezählt werden und Biden so der Wahlsieg verwehrt wird. Trump hat den Boden dafür bereitet, indem er die Briefwahl bei jeder Gelegenheit und ohne jeden Beleg als Quelle für Wahlbetrug bezeichnete.

Dann beginnt ein politisches und rechtliches Tauziehen um die Auszählung, ähnlich wie bei der Präsidentenwahl 2000 in Florida, bloß in mehreren Bundesstaaten und noch viel intensiver. Dabei geht es zuerst um die Frage, mit wie viel Tagen Verspätung die Stimmzettel noch eintreffen dürfen, damit sie noch gezählt werden.

In Wisconsin hat ein Bundesgericht die Entscheidung des Parlaments bestätigt, dass die Zettel am Wahltag vorliegen müssen. In Pennsylvania hat das dortige Bundesgericht eine Dreitagesfrist eingeräumt, die vom Obersten Gerichtshof in Washington bestätigt wurde – aber nur, weil die erzkonservative Trump-Kandidatin Amy Coney Barrett noch keinen Sitz und keine Stimme hat.

Nimmt sie ihren Platz vor dem 3. November ein, was als wahrscheinlich gilt, dürften weitere Urteile zugunsten der Republikaner ausgehen. Man darf nicht vergessen: Auch 2000 hat eine konservative Mehrheit im Höchstgericht die Wahl zugunsten von George W. Bush entschieden.

Wahlkarten mit Formfehlern

Ebenso wie damals in Florida dürfte dann auch heuer darum gestritten werden, ob Wahlkarten mit Formfehlern zählen oder nicht. Auch hier werden die Gerichte das letzte Wort haben, oft zum Nachteil von Biden.

Ist die Auszählung bis zum 8. Dezember, dem Stichtag für die Nominierung der Wahlmänner in den Bundesstaaten, nicht abgeschlossen, dann können laut Verfassung die lokalen Parlamente die Wahlmänner aussuchen.

In Arizona und Florida – zwei Swing-States, in denen Biden in den Umfragen voran liegt – haben die Republikaner die Mehrheit in beiden Kammern und stellen die Gouverneure; in Michigan, North Carolina, Pennsylvania und Wisconsin würden sich die demokratischen Gouverneure wohl gegen das Parlament auflehnen. Die Folge wäre ein politisches Patt mit rivalisierenden Wahlmännerlisten.

Wenn am 14. Dezember das Wahlmännerkolleg zusammentrifft und kein Kandidat eine Mehrheit hat oder die Mehrheit umstritten ist, geht die Entscheidung an den US-Kongress. Die Gesetzestexte, die eine solche Situation auflösen sollten, sind konfus und widersprüchlich.

Es gibt Szenarien, in denen Vizepräsident Mike Pence als Präsident des Senats entscheidet, welche Wahlmänner zum Zug kommen. Oder aber der Präsident wird vom Repräsentantenhaus gewählt, aber nicht direkt von den Abgeordneten, die mehrheitlich Demokraten sind, sondern durch die Kongressdelegationen der Bundesstaaten. Und dort sind 26 von 50 in der Hand der Republikaner.

Höchstrichter für Trump

Eine Verfassungskrise wäre in diesem Fall programmiert, und die müsste der Oberste Gerichtshof lösen. Dort hätten mit Coney Barrett die republikanischen Richter eine Mehrheit von sechs zu drei. Und es gilt als sehr wahrscheinlich, dass sie sich bei dem geringsten Zweifel am Wahlausgang für Trump entscheiden würden. Trump selbst würde in dieser Zeit mit Tweets und hetzerischen Reden Stimmung machen, und seine Parteigänger würden ihm wohl wieder folgen. Sie hätten sonst zu viel zu verlieren.

Ob Biden oder Trump am 3. November insgesamt mehr Stimmen erhält, würde bei all diesen Vorgängen gar keine Rolle spielen. Die Stimmenmehrheit für Biden gilt ja ohnehin als gewiss und dürfte diesmal noch größer ausfallen als für Hillary Clinton 2016.

Was eine zweite Amtszeit Trumps, die durch solche Manipulationen erzielt wurde, für die amerikanische Demokratie bedeuten würde, lässt sich noch gar nicht abschätzen. Aber der Titel des Artikels des Starjournalisten Barton Gellman im Atlantic, der im Detail all diese Szenarien aufzeigt, sagt schon viel aus: "Die Wahl, die Amerika zerstören könnte". (Eric Frey, 24.10.2020)