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In einem Supermarkt in Amman werden französische Produkte versteckt.

Foto: REUTERS/Muhammad Hamed

Die Mohammed-Karikaturen des Satiremagazins "Charlie Hebdo" ziehen noch immer weitere Kreise. Und was für jeden Staatschef – in diesem Fall Emmanuel Macron – besonders heikel ist: Es vermischen sich zunehmend innen- wie außenpolitische Aspekte – und sind nun auch für Konsequenzen gegen Frankreich verantwortlich.

In Frankreich markiert die Regierung Härte, nachdem der Geschichtslehrer Samuel Paty wegen einer Debatte über Meinungsfreiheit und Satire von einem 18-jährigen Tschetschenen brutal umgebracht worden ist. Präsident Macron lässt radikale Moscheen schließen und Prediger des Landes verweisen. Das umstrittene "Kollektiv gegen Islamfeindlichkeit" (CCIF) will er verbieten. Wie weit die Reaktion geht, zeigte am Samstag der Fall einer bosnisch-muslimischen Familie, die ihre Tochter kahlrasiert hatte, weil sie mit einem serbischen Christen ausging: Innenminister Gérald Darmanin hat die Ausschaffung von fünf Familienmitgliedern nach Sarajewo angeordnet.

Erdoğan attackiert Macron

Ganz anders, ja gegenteilig klingt es im Nahen und Mittleren Osten: Dort wird Macron der Islamfeindlichkeit, ja der Geistesgestörtheit bezichtigt. Den Wortführer dieser Anfeindungen spielt einmal mehr der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Am Fernsehen bezeichnete er Europas führende Politiker als "Faschisten"; Macron unterstellte er eine Hasskampagne gegen Muslime. Dann rief er zum Boykott auf: "Achtet nicht auf französisch gekennzeichnete Waren, kauft sie nicht."

Am Wochenende hatte Erdogan Macron bereits aufgefordert, seine "geistige Gesundheit testen" zu lassen. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian bezeichnete diese persönliche Attacke als inakzeptabel und rief seinen Botschafter in Ankara nach Paris zurück. Auch behauptete er, die Türkei habe den Mord an Lehrer Paty nicht einmal verurteilt – was von türkischer Seite mit einem Twitterbeleg dementiert wird. Die Mohammed-Karikaturen bilden nur den neusten Höhepunkt eines längeren Hickhacks zwischen Paris und Ankara. Im Libyenkrieg liegen die beiden Länder genauso über Kreuz wie in der Frage der türkischen Rohstoffsuche in griechischen Gewässern; im Konflikt in Berg-Karabach stellt sich Macron derzeit schützend vor die Armenier und wirft Erdogan Einmischung vor.

Der europäische Chefdiplomat Josep Borrell verurteilte die jüngsten türkischen Erklärungen und rief Ankara auf, die "gefährliche Konfrontationsspirale zu stoppen". Auch der deutsche Außenminister Heiko Maas bezeichnete Erdoğans Äußerungen als "ganz und gar inakzeptabel".

Erdoğans antifranzösische Tiraden zeigen langsam Wirkung im ganzen arabischen Raum. Die 57 Länder der Organisation für islamische Kooperation (OIC) verurteilten in einem Communique die "systematischen Attacken" gegen Frankreichs Muslime, und behaupteten, dass "gewisse französische Verantwortliche" einen Hassdiskurs gegen sie nährten.

Französischer Käse entfernt

Am Wochenende zeigten sich erstmals konkrete Folgen. Während im Gaza-Streifen Porträtbilder Macrons verbrannt und mit Füssen getreten wurden, rief in Jordanien eine Oppositionspartei zum Boykott französischer Produkte auf. In Katar verschwinden bereits Käse und Kosmetika aus Supermarktregalen; in Kuweit streichen Tourismusagenturen Paris-Reisen aus dem Angebot.

Pariser Stimmen wie die Radiostation Europe 1 fragen sich in Corona-Zeiten bang, ob dieser Boykott zusätzliche "Konsequenzen für die französische Wirtschaft" nach sich ziehen könnte. Der Politologe Hasni Abdi sieht zwar – im Unterschied zur Zeit der ersten Mohammed-Karikaturen im Jahre 2005 – noch keine geschlossene Reaktion der arabischen Welt. Die Staatsführung sorgt sich bisher eher um die politischen Folgen. Macron ist der verbalen Auseinandersetzung mit Erdoğan nie aus dem Weg gegangen, hat sie zeitweise sogar gesucht, um als Verteidiger westlicher Positionen gegen die türkischen Offensiven anzutreten. Auch in der Frage der Mohammed-Karikaturen scheute er nicht vor präsidialen Selbstinszenierungen zurück. Die geopolitischen Kollateralschäden dieser innenpolitisch motivierten Positionsbezüge beachtete er bisher kaum. (Stefan Brändle aus Paris, 26.10.2020)