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In Neapel protestierten am Wochenende zahlreiche Menschen gegen die Maßnahmen.

Foto: Reuters / Ciro de Luca

Aus europäischer Sicht kann man dieser Tage nur neidvoll gen Osten blicken, weit Richtung Osten: In Melbourne kann der knapp viermonatige Lockdown beendet werden. Keine Neuinfektionen, keine neuen Todesfälle hieß es dort am Montag. In der Nacht auf Mittwoch fallen daher die Ausgangssperren in der australischen Metropole. Auch im stark betroffenen Indien sind die Infektionszahlen im Vergleich zur vergangenen Woche endlich gesunken.

Unterdessen nimmt das Infektionsgeschehen in Europa wieder dramatisch zu. Was absolute Zahlen betrifft, bleiben die USA mit über 800.000 Fällen in den vergangenen zwei Wochen zwar weiterhin Spitzenreiter. Doch im weltweiten Vergleich ist hier Frankreich auf Platz drei vorgerückt – bei einer viel geringeren Bevölkerungszahl von nur 67 Millionen. Zum Vergleich: In den USA leben 330 Millionen Menschen, im zweitplatzierten Indien 1,3 Milliarden.

Zum ersten Mal seit Ausbruch der Pandemie stieg in Frankreich die Zahl der täglichen Neuinfektionen auf über 50.000 an. Die französische Regierung denkt nun darüber nach, die Ausgangssperren auszuweiten. Bisher betrafen sie vor allem nur die großen Städten.

Spanien verhängt Gesundheitsnotstand

In Spanien wurde am Sonntag überhaupt der Gesundheitsnotstand ausgerufen. Damit sind nun für erst einmal 15 Tage innerspanische Reisen zwischen den Regionen verboten. Außerdem gibt es nun – mit Ausnahme der Kanarischen Inseln– nächtliche Ausgangssperren in ganz Spanien. Premierminister Pedro Sanchez würde den Notstand gerne bis Anfang Mai aufrechterhalten, dazu braucht er aber die Zustimmung des Parlaments.

Neue Höchststände an Neuinfektionen mussten auch Belgien, Kroatien und Tschechien vermelden. In der Region Brüssel gilt seit Montag überall Maskenpflicht, eine nächtliche Ausgangssperre beginnt bereits ab Mitternacht. Zusätzliche Maßnahmen könnten am Dienstag verkündet werden. Ab dann gelten auch verschärfte Maßnahmen in Slowenien. Ohne triftigen Grund dürfen Bürger hier ihre eigenen Gemeinden nicht mehr verlassen. Kroatien wollte schon am Montag Ernst machen: Innenminister Davor Božinović hat am Sonntag angekündigt, dass enge Kontakte eingeschränkt werden sollen, nicht aber eine nächtliche Ausgangssperre kommen werde.

Tschechien macht sich für neue Maßnahmen bereit

In Tschechien stimmt Regierungschef Andrej Babis die Bürger angesichts der neuen Rekordwerte auf neue Maßnahmen ein: "Wenn kein Wunder geschieht, wird uns nichts anderes übrigbleiben, als die Maßnahmen noch zu verschärfen", sagte er. Bereits seit vergangener Woche sind die Schulen und die meisten Geschäfte geschlossen. Auf Bitte der tschechischen Regierung schickte Wien und Niederösterreich am Montag 45 Beatmungsgeräte nach Prag. In der Slowakei dürfen Menschen bereits seit Samstag ihre Wohnungen nur für den Weg zur Arbeit sowie für dringende Besorgungen verlassen.

Ebenfalls stark betroffen ist die Schweiz, die über mehrere Monate die Pandemie vorbildlich im Griff hatte. Seit Tagen verbreitet sich der Virus aber auch dort rasant. Innenminister Alain Berset stimmte die Bevölkerung daher Montag auf lang anhaltende Einschränkungen ein: "Was wir jetzt vorbereiten, wird für sehr lange halten müssen voraussichtlich." Am Mittwoch wird die Entscheidung über die Maßnahmen der kommenden Wochen fallen.

Proteste in Deutschland

Ähnlich hat auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die Länderchefs für Mittwoch einberufen, um der massiven Infektionszahlen Herr zu werden. Binnen einer Woche haben sich die Neuinfektionen in Deutschland verdoppelt, gab Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag an. Alarmierend sei vor allem, dass der Anteil der älteren Erkrankten wieder zunehme. Besonders betroffen ist weiterhin Bayern. Im dortigen Landkreis Rottal-Inn gelten seit der Nacht auf Dienstag strikte Ausgangssperren – die zweiten in Bayern, seit vergangene Woche im Berchtesgardener Land ein Lockdown verhängt wurde. Auch in Augsburg, Schweinfurt und Weiden drohen ähnliche Maßnahmen.

Mit den steigenden Infektionszahlen wächst auch der Unmut über die einschränkenden Maßnahmen. In Italien kam es am Wochenende zu Ausschreitungen. Auch in Berlin demonstrierten am Sonntag zirka 2000 Menschen. Dabei kam es zu chaotischen Szenen und Todesdrohungen gegen Journalisten, verletzt wurde aber niemand. Ebenfalls in Berlin wurde ein Gebäude des Robert-Koch-Instituts angegriffen. Die Gesundheitsbehörde ist in Deutschland für Covid-19 zuständig. In der Nacht auf Sonntag sind laut Polizei Brandsätze gegen die Fassade geworfen worden. (Anna Sawerthal, 26.10.2020)