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In Beijing pendeln die Leute weiter in den Morgenstunden. In Kashgar gilt ein Lockdown.

Foto: AP/Andy Wong

Was in den meisten Ländern der Welt ein Grund zum Jubeln wäre, ist in der Volksrepublik China ein Rekordwert: 137 Neuinfektionen. Seit Monaten melden die Behörden Tag für Tag Corona-Infektionen im niedrigen zweistelligen Bereich. Selbst nach der Ferienwoche im Oktober, bei der rund 700 Millionen Chinesen im Land verreist waren, blieben die Neuinfektionen unter 30.

Nun aber sind in der Unruheprovinz Xinjiang im Nordwesten des Landes 137 asymptomatische Fälle aufgetaucht. Eine 17-jährige Arbeiterin in einer Textilfabrik in Kashgar soll der Ursprung der Infektionskette sein. Sie wurde wiederum bei einer Routinekontrolle getestet. Sogenannte "Schlüsselgruppen" müssen sich solchen Tests unterziehen – wer dazugehört, ist allerdings nicht näher spezifiziert. Kashgar ist hauptsächlich von Uiguren bewohnt und ein kulturelles Zentrum der muslimischen Minderheit. In der Folge wurden zahlreiche Arbeiter getestet. Keiner von ihnen aber zeigte Symptome. Es sind die ersten lokalen Infektionen seit einem Miniausbruch Anfang Oktober in der Stadt Qingdao.

Ganze Stadt zum Covid-19-Test

Die Behörden tun nun das, was sie seit Monaten immer tun, wenn irgendwo Corona-Infektionen auftauchen: Sie beordern die gesamte Stadtbevölkerung zum Covid-19-Test. Am Samstagabend teilte die Verwaltung mit, innerhalb von drei Tagen alle 4,7 Millionen Einwohner testen zu wollen. Sonntagnachmittag sollen es bereits 2,8 Millionen gewesen sein. Umgehend wurden auch die Schulen der Stadt geschlossen. Supermärkte und Geschäfte bleiben aber offen. Außerdem erklärte man vier Bezirke um Kashgar zu Hochrisikogebieten.

Im Rest von China merkt man dagegen nichts von der Pandemie. Wer die 14-tägige Quarantäne nach der Einreise überstanden hat, findet ein Land vor, in dem es scheinbar kein Virus gibt. Bars und Restaurants in Schanghai und Peking sind gut besucht, viele Passanten tragen keine Maske. Wie eh und je drängen sich die Menschen aneinander.

Schnell und radikal

Die Regierung in Peking führt die neue Normalität darauf zurück, dass man nach frühen Fehlern in der Anfangsphase schnell und radikal vorgegangen ist. Tauchen Cluster auf, treten sofort rigorose Ausgangssperren in Kraft. Eine lückenlose Datenüberwachung soll mögliche Infektionen sofort identifizieren und ein QR-Code nachweisen, dass man in keinem Risikogebiet war.

Ob die Corona-Infektionen wirklich so niedrig sind, weiß man nicht. Denn überprüfen lassen sich die Zahlen nicht. Es bleiben wie immer viele Fragen offen. Unter anderem auch die, was eine 17-Jährige als Arbeiterin in einer Textilfabrik macht. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 26.10.2020)