Die Krise macht's möglich: Die Menschen achten beim Einkaufen mehr auf biologisch, fair und regional produzierte Güter – und das quer durch alle Verbraucherschichten, so Michael Buttkus. "Die Corona-Pandemie hat zu einer spürbaren Dynamisierung und Veränderung des Kaufverhaltens geführt", destilliert der Retail-Experte der Managementberatung Horváth & Partners aus einer repräsentativen Befragung von 300 Personen im deutschsprachigen Raum im Corona-Monat April. Der Griff zu bio und fair sei keine Frage des Geldbeutels mehr, so der Berater: "Wir beobachten geradezu eine grüne Welle."

Dass nachhaltiger Lebensstil oft als Luxus und stark einkommensabhängig abgetan wird, entnimmt Buttkus den Studienergebnissen nicht. Im Gegenteil. Unter Geringverdienern würden sich ebenso Befürworter eines "grünen Lebensstils" finden.

Vor allem bei Lebensmitteln seien Konsumenten immer öfter bereit, tief in die Taschen zu greifen: Den Preis für Bioschokolade fanden viele Befragten als angemessen, wenn er 42 Prozent über dem Premiumprodukt ohne Siegel lag. Im Textilbereich bekundeten die Konsumenten, für nachhaltige und fair produzierte Kleidungsstücke ein Fünftel mehr bezahlen zu wollen.

Gespart wird woanders, das sagen zumindest die Menschen in der aktuellen Befragung.
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Insgesamt belegte die Studie, dass die Ausgaben für nachhaltige Produkte im Vergleich zur allgemeinen Ausgabenbereitschaft vergleichsweise stabil geblieben sind, in manchen Bereichen wie Lebensmittel sogar stiegen. Und das, obwohl die Pandemie für viele Menschen große wirtschaftliche Einschnitte bedeutet. 65 Prozent gaben an, finanzielle Verluste erlitten zu haben, acht Prozent über 50 Prozent ihres Einkommens im Vergleich zur Vorkrisenzeit. Über die Hälfte der Befragten will auf die Ausgabenbremse steigen, nur 17 bis 26 Prozent (je nach Produkt) will bei Bio- und Fairprodukten sparen.

Aussagen wie diese stimmen oft nicht mit dem Verhalten im Alltag überein. Doch derzeit dürften es die Konsumenten ernst meinen. Tatsächlich konnten hierzulande laut AMA-Haushaltspanel im ersten Halbjahr 2020 Biolebensmittel in fast allen Produktgruppen zulegen. Die eingekaufte Menge stieg gegenüber dem Vergleichszeitraum 2019 um 14,4 Prozent, der Wertzuwachs um ein Fünftel. Im Juni erreichte der Bioanteil erstmals einen zweistelligen Wert.

Umdenken oder nicht?

Ist das nun der von vielen erhoffte Corona-Effekt Richtung bewussteren Konsum? "Aus meiner Sicht findet ganz klar ein Umdenken statt", ist Berater Buttkus überzeugt. Beim Supermarktriesen Spar sieht man das ähnlich. Seit Jahren steige die Nachfrage nach Bioprodukten zweistellig, zudem würden Getränke in Mehrweg-Glasflaschen bestens nachgefragt. Auch Mareike Nossol, Chefin von Dennree Naturkost, meint, dass Corona den Trend zu bio und fair weiter befeuerte. Viele hätten mehr selbst gekocht und sich damit automatisch stärker mit den Lebensmitteln befasst.

Den Konsumenten fehlt es an echter Orientierung.
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Auch Alexander Martin ortet einen Prozess zu "mehr Österreich". Die Kunden möchten gerne heimische Betriebe unterstützen, so der Chef der Reformhauskette Martin. Ob aus Mitleid oder aus einem Umdenkprozess, könne er nicht sagen. In Summe spüre er einen Frequenzrückgang im Handel, der teilweise durch höhere Einkäufe kompensiert werde. Allerdings erschwere das den Vergleich mit den Vorjahren. Bei Produkten des täglichen Bedarfs gäbe es keine Rückgänge, bei Gesundheitsprodukten eine positive Entwicklung.

Eine nachhaltige Trendumkehr erkennt er aber nicht, anders als vielleicht Betriebe, die auch viele konventionelle Waren anbieten, mutmaßt er. Der Onlinehändler Unito ist so einer. Dessen Chef Harald Gutschi sieht "ganz klar einen Trend zur Nachhaltigkeit". Alleine schon der Umstand, dass vermehrt bei heimischen Onlinehändlern eingekauft werde, zeuge davon. "Dass Klimaschutz und Nachhaltigkeit bei der Kaufentscheidung keine Rolle spielen, kommt meines Erachtens kaum noch vor" so Gutschi. Er ortet auch im Umstand, dass die Menschen jetzt anstatt zu reisen oder ein Auto zu kaufen, lieber in Möbel und Do-it-yourself-Segment investieren die bewusste Entscheidung zu nachhaltigem Konsum.

Verloren im Siegel-Dschungel

Die Preisbereitschaft für Nachhaltigkeit sei da, ist Managementberater Buttkus überzeugt und gibt den Herstellern noch eine nicht ganz neue Erkenntnis mit auf den Weg: Den Konsumenten fehle es an echter Orientierung. Die Studie zeigte, dass ein frei erfundenes Siegel über alle untersuchten Kategorien (F&B, Körperpflege & Textil) hinweg öfter "erkannt" wurde als eines der existierenden Pendants. Der Vergleich wurde mit etablierten Labeln durchgeführt, wie etwa dem EU-weiten Logo in Form eines Blattes.

Konsumenten würden sich jedenfalls über Täuschungen und Fehlinformationen bei Produktauszeichnungen ärgern. Unternehmen, die sich ein grünes Mäntelchen umhängen, ohne entsprechende Substanz, befänden sich auf dünnem Eis, warnt Buttkus. "In Zeiten von sozialen Medien verbreiten sich Täuschungsversuche schnell – und führen zu Vertrauensverlusten bis hin zum Boykott." Dass Begriffe wie "regional" oder "klimaschonend" immer noch nicht geschützt seien, hält er für suboptimal. (Regina Bruckner, 27.10.2020)