Jürgen Melzer ist es eine Ehre, ab Februar 2021 als sportlicher Leiter des Verbandes zu wirken. Als Spieler hat er maximal Zeit für Genussprojekte.

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Ticker: Erste Bank Open: Thiem vs. Satschko, Di., ca. 17.30 Uhr

Die Erste Bank Open sind diesmal eine ziemlich virtuelle Veranstaltung, obwohl in der Wiener Stadthalle sehr real gespielt wird. Motto: Stell dir vor es ist Tennis und nur 1000 dürfen hingehen. Das grausliche Corona-Virus trägt Schuld an dieser Vereinsamung. Das Turnier ist von der Besetzung her in erster Linie großartig, sechs aus den Top Ten sind gekommen. Weil sie ihren Beruf ausüben wollen und die Nachfrage an Veranstaltungen weit größer, als das Angebot ist. Die Pressekonferenzen nach den Partien sind natürlich virtuell, es wird gezoomt, ein Leben in der Blase.

Novak Djokovic, der Weltranglistenerste, ist am Sonntag öffentlich aufgetreten, die Halle F wurde angemietet, sie fasst knapp 2000 Zuschauer. Zwei Dutzend Medienvertreten hatten mit dem Baby-Elefanten kein Problem, es war Platz für eine Herde von ausgewachsenen Elefanten. Djokovic hinterließ einen durchaus sympathischen, fast demütigen Eindruck. Er sagte ein paar Sätze in Deutsch, dankte Turnierdirektor Herwig Straka, "dass wir hier sein können". Das Hotel sei unfassbar, die Verpflegung köstlich. "Es wird eine große Challenge, es ist vielleicht das stärkste 500er-Feld, bei dem ich jemals dabei war." Djokovic bestreitet am Dienstag seine Erstrundenpartie (ca. 15.30 Uhr), Gegner ist Landsmann Filip Krajinovic. "Wir sind beste Freunde." Das werden sie auch bleiben.

Einstimmig

Am Nationalfeiertag hielt der österreichische Tennisverband ÖTV die Generalversammlung ab, die Nation kann aufatmen, es gibt endlich wieder einen Präsidenten. Christina Toth hatte den Laden nur interimistisch geführt. Der 48-jährige Magnus Brunner wurde einstimmig gewählt, er ist Staatssekretär im Bundesministerium für Klimaschutz, gehört der ÖVP, den Türkisen an.

Der ÖTV schreitet von nun an mit neuen Kräften – Brunner und Melzer (oben) – voraus.
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Brunner ist Vorarlberger, hat immer schon Tennis gespielt, lieferte Schlachten in der Vorarlberger Landesliga. Um nicht zu verhungern, studierte er Rechtswissenschaften in Innsbruck, Wien und London. Was er vor hat? "Alle Kräfte bündeln." "In der Breite breiter und an der Spitze stärker werden." "Von den Besten lernen." "Die Südstadt muss ein Vorzeigeprojekt sein."

Einen der Besten hat Brunner ins Boot geholt. Jürgen Melzer wird ab Februar 2021 sportlicher Leiter des ÖTV. Der 39-Jährige war dem Verband immer schon verbunden, ist Rekordhalter im Daviscup (78 Partien, 38 Länderkämpfe). Brunner: "Eine verbindende Persönlichkeit."

Melzer ist sowohl im Einzel als auch im Doppel Top Ten gewesen, der Deutsch-Wagramer kennt das Geschäft, nun ist Schluss. Nach den Australian Open hört er auf, vielleicht gönnt er sich noch das "eine oder andere Genussprojekt". Da er in Wien mit dem Franzosen Edouard Roger-Vasselin im Doppel antritt und zu den Favoriten zählt, durfte er nicht raus aus der Blase, war nur virtuell da. "Es ist eine Ehre für mich."

Miteinander

Die Lage im österreichischen Tennis ist nicht wirklich entspannt, Wolfgang Thiem, Dominics Vater, hat in Traiskirchen eine eigene Akademie gegründet und sämtliche relevanten Akteure abgezogen. Melzer sieht das gelassen. "Konkurrenz belebt das Geschäft. Ich will kein Machtspielchen, sondern ein Miteinander." Er habe zu allen Spielern "ein gutes Verhältnis. Die Südstadt muss das beste Angebot liefern. Ich werde oft auf dem Platz stehen, den Jugendlichen meine Erfahrungen weitergeben." Melzer hat übrigens mit Günter Bresnik gesprochen.

Dennis Novak trainiert eher in Traiskirchen. Thiems Busenfreund nützte die Wild Card für Wien nicht aus, der 27-Jährige vergab gegen den Südafrikaner Kevin Anderson in Tiebreak des dritten Satzes drei Matchbälle in Serie (einen per Doppelfehler), verlor nach 2.45 Stunden 7:6 (2), 4:6, 6:7 (6). Dass Novak eine Rapid-Maske getragen hat, kann nicht entscheidend gewesen sein. Er war virtuell und real "enttäuscht".

Thiem startet am Dienstag das Projekt "Titelverteidigung". Das sei "keine Mission Impossible, aber fast". Als erste Hürde baut sich nicht der schmächtige Kei Nishikori auf, der Japaner sagte am Montagabend wegen einer Blessur an der rechten Schulter ab. Für ihn springt der Ukrainer Witalij Satschko (ab ca. 17.30 Uhr) ein. Der 23-jährige Lucky Loser hatte in der zweiten Qualifikationsrunde verloren und darf nun sein erstes Match auf der ATP-Tour gegen Thiem bestreiten. In der Rangliste ist er auf Rang 453 gereiht. Alles andere als ein klarer Erfolg Thiems wäre eine Überraschung. "Mein Akku ist wieder voll. Ich habe alles reflektiert, mich erholt." Und zwar real. (Christian Hackl, 26.10.2020)