Der als "Philosophenkaiser" bekannte Mark Aurel ist für einen Angeklagten, der seine Mutter bedroht haben soll, ein großes Vorbild.

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Wien – Julian S. redet offensichtlich gerne und viel. Zumindest vor Richter Georg Olschak, der darüber entscheiden muss, ob der 32-jährige Angeklagte tatsächlich seine eigene Mutter durch Whatsapp-Botschaften gefährlich bedroht hat. Der Unbescholtene streitet diesen Vorwurf wortreich ab – schließlich habe die Mutter gewusst, dass er zum Zeitpunkt der Nachrichten 200 Kilometer entfernt gewesen sei, daher könne sie sich unmöglich gefürchtet haben.

Da S. beim ersten Prozesstermin nicht erschienen ist, wird er nun von drei Polizisten in den Saal gebracht. "Ich wurde heute um 5.30 Uhr von der Polizei abgeholt! Das war überraschend für mich", stellt er zu Beginn fest. "Das soll es auch sein", gibt Olschak zu bedenken.

Sohn ortet "narzisstische Persönlichkeit"

Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn ist seit längerem zerrüttet. Aus Sicht des Angeklagten, da seine Mutter eine "narzisstische Persönlichkeit" sei, ihn als Kind gefoltert und als Jugendlichen als "Sexobjekt" missbraucht habe. Möglicherweise spielt auch das Geld aus einem Bausparvertrag eine Rolle.

Als er im Frühjahr bei seiner Großmutter mütterlicherseits war, schickte er seiner Mutter die inkriminierten Nachrichten. Auf einem Bild war ein zerrissener Anorak seiner Mutter zu sehen, das andere war noch eindeutiger: Er hatte dem Teddybären aus der Kindheit der Mutter den Kopf abgerissen und ihm ein Messer in die Brust gerammt. Kombiniert mit dem Satz: "Erst zerstöre ich deine Sachen, dann zerstör ich dich", kann man das durchaus als bedrohlich empfinden.

Laut der psychiatrischen Sachverständigen Sigrun Roßmanith leidet der Angeklagte zwar seit der Pubertät an psychischen Problemen und habe eine "Persönlichkeitsakzentuierung", die sich im "Vorwurfsverhalten" in der "belasteten Beziehung" mit der Mutter zeige. Zurechnungsfähig sei er aber, einzig seine Handlungssteuerung könnte etwas vermindert sein.

Der enttarnende "Goldjunge"

Dass S. die Sachverständige mehrmals unterbricht und ihre Ausführungen in Zweifel zieht, sorgt bei Olschak für wachsenden Unmut. Er sei aufgrund des frühen exekutiven Weckrufs etwas unkontrolliert, entschuldigt der Angeklagte sich. Aber er bleibt dabei: "Meine Mutter ist gekränkt, dass ihr 'Goldjunge' sie als Narzisstin enttarnt hat!"

Die 59-Jährige selbst will nur in Abwesenheit ihres Sohnes aussagen. Er wird vom Richter also ins Nebenzimmer gebeten, wo er durch die offene Tür zuhören soll. Das lehnt wiederum S. ab: Er will nichts von ihr hören. Olschak schließt also die Tür und verspricht dem Angeklagten, ihm die Aussage später zusammenzufassen.

Die Mutter erzählt, dass sie in der Vergangenheit immer wieder versucht habe, ihrem Sohn zu helfen. "Ich habe das Gefühl, dass ich ihm zu wenig Grenzen gesetzt habe", sucht sie die Schuld aber bei sich. Wegen ihres gewalttätigen Ehemanns sei sie mit den Kindern oft im Frauenhaus gewesen, daher habe sie Angst bekommen, als ihr Sohn bei einem Besuch im vergangenen November immer aggressiver geworden sei. Als sie dann die Bilder bekommen habe, sei sie zur Polizei gegangen. Mittlerweile habe sie auch eine einstweilige Verfügung, dass S. sich ihr nicht mehr nähern darf.

Stoische Gelassenheit als Versprechen

Nach ihrem Abgang nimmt S. wieder auf dem Anklagestuhl Platz, will aber eigentlich nichts von ihrer Aussage erfahren. "Sie ist aus meinem Leben komplett gestrichen, ich will sie nie mehr sehen!", fasst er seinen Standpunkt zusammen. Und: "Ich will mich mehr im Sinne eines Mark Aurel verhalten", kündigt er für die Zukunft die stoische Gelassenheit des römischen Kaisers an.

Olschak verurteilt den ohne Verteidiger erschienenen S. zu drei Monaten bedingt. "Ich habe hier nicht die Familiendramen zu durchleuchten, sondern nur festzustellen, ob Sie die Nachrichten verschickt haben und sich Ihre Mutter deshalb gefürchtet hat", begründet er seine nicht rechtskräftige Entscheidung.

Als er dem Angeklagten seine Möglichkeiten für Rechtsmittel erklärt, verweist S. wiederum wortreich auf den "Philosophenkaiser" Aurel und akzeptiert. "Si tacuisses, philosophus mansisses. In diesem Zusammenhang passt das, glaub ich", erlaubt sich der Richter noch einen antiken Ratschlag – den der Angeklagte nicht versteht. Erst als die Staatsanwältin und Olschak ihn mit "Wenn du geschwiegen hättest, wärest du Philosoph geblieben" übersetzen, verspricht S., den Kontakt zu seiner Mutter zu unterlassen. (Michael Möseneder, 1.11.2020)