Amy Coney Barrett bei der Zeremonie im Weißen Haus. Flankiert wird sie von ihrem Mann Jesse (links), Präsident Trump (rechts) und Höchstrichter Clarence Thomas (ganz rechts).

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Wieder steht Donald Trump auf dem hellerleuchteten Balkon des Weißen Hauses, wie schon vor drei Wochen nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus. Wieder lässt er sich feiern, diesmal mit der frischgekürten Verfassungsrichterin Amy Coney Barrett an seiner Seite. Der Präsident hat auf Eile gedrängt. Noch am Montagabend, nur eine Stunde nach ihrer Bestätigung durch den Senat, ließ er die Juristin auf dem South Lawn den vorgeschriebenen Eid auf die Verfassung ablegen.

Der Jurist, der die Formel vorträgt, die sie nachzusprechen hat, Clarence Thomas, ist der einzige Afroamerikaner in der Neunerrunde der Höchstrichter. Auch davon verspricht sich Trump ein Stück Wahlkampfsymbolik, als Entgegnung an alle, die ihn für einen Rassisten halten. Dann geht es hinauf zum Balkon. Feierliche Musik. Prasselnder Applaus, von unten, wo dutzende geladene Gäste versammelt sind. Aus den Bildern der Zeremonie lässt der Amtsinhaber sofort einen Werbefilm drehen, den er noch in der Nacht via Twitter verbreitet.

"Versprechen gegeben! Versprechen gehalten!" lautet ein Slogan, den seine Kampagne fast so oft bemüht wie das "Make America Great Again". Nun ist es, durch den Zufall begünstigt, bereits das dritte Mal in knapp vier Amtsjahren, dass er entscheidet, wer eine vakante Stelle am Obersten Gerichtshof besetzt. Kaum einer seiner Vorgänger konnte in so kurzer Zeit so viele Höchstrichter benennen. Trump, darf man annehmen, wird sich in der verbleibenden Woche bis zum Votum in lautesten Tönen seiner Bilanz rühmen, seines erfüllten Versprechens.

Kontrast zu RBG

Damit will er evangelikale Christen mobilisieren, eine Wählergruppe, die 2016 zu 80 Prozent für ihn gestimmt hat. Dass mit Barrett eine tiefreligiöse Richterin in den Supreme Court einzieht, übertrifft in deren Augen ziemlich alles, was der Präsident bisher sonst getan hat.

Barrett, Mutter von sieben Kindern, darunter zwei aus Haiti adoptierten, ist erst die fünfte Frau in der 231-jährigen Geschichte des Verfassungsgerichts. Inhaltlich steht die Katholikin für das komplette Kontrastprogramm zu Ruth Bader Ginsburg, ihrer im September verstorbenen Vorgängerin, die das liberale Amerika wie eine Ikone verehrte und ehrfurchtsvoll als RBG abkürzte. Ginsburg ließ sich von dem Grundsatz leiten, dass Verfassungsparagrafen dem Sinn und nicht dem Buchstaben nach auszulegen sind. Gesellschaftlicher Wandel müsse sich auch in der Rechtsprechung widerspiegeln. Barrett dagegen gehört zur Schule der Originalisten, die wortwörtlich nimmt, was die Gründer der Republik im 18. Jahrhundert zu Papier brachten. In der juristischen Praxis bedeutet es, verbunden mit ihren religiösen Überzeugungen, dass sie sowohl dem 1973 legalisierten Schwangerschaftsabbruch als auch der seit 2015 erlaubten Ehe für alle skeptisch gegenübersteht. Sollten Fälle, in denen Kläger beides auszuhebeln versuchen, demnächst vor dem Supreme Court landen, könnte eine nunmehr eindeutig konservative Richtermehrheit (sechs zu drei) bahnbrechende Urteile aus der Vergangenheit kippen.

Krasser Fall von Böswilligkeit

Am Montagabend vom Senat bestätigt, kann die 48-Jährige, falls sie das Alter Ginsburgs erreicht, noch ungefähr vier Dekaden in höchster Instanz Recht sprechen. Gerade weil Höchstrichter auf Lebenszeit ernannt werden, hatten die Demokraten darauf gedrängt, mit der Entscheidung bis nach der Präsidentschaftswahl zu warten. Nur der Sieger des Votums, argumentierten sie, dürfe eine derart folgenschwere Weichenstellung vornehmen.

Das amerikanische Volk werde einen so "krassen Fall von Böswilligkeit" nie vergessen, wetterte Charles Schumer, Fraktionschef der Opposition, unmittelbar vor der Abstimmung im Senat. Der 26. Oktober 2020 werde als einer der dunkelsten Tage in die Annalen des Senats eingehen. "Keine einzige Regel wurde gebrochen, all die haarsträubenden Behauptungen sind völlig absurd", entgegnete Mitch McConnell, die Nummer eins der Republikaner in der Kammer. McConnell, der den Demokraten im letzten Amtsjahr Barack Obamas in ähnlicher Lage die Installierung des moderaten Richters Merrick Garland über Monate verbaut hatte, ließ sich nicht davon abbringen, Barrett in einem vierwöchigen Schnellverfahren durchzusetzen.

Die 53 republikanischen Senatoren gaben der Richterin tatsächlich fast geschlossen ihren Segen. Einzig Susan Collins, eine gemäßigte Konservative aus Maine, scherte aus. Es hat damit zu tun, dass sie nächste Woche in dem eher liberalen Neuengland-Staat wiedergewählt werden will. Die 47 Demokraten stimmten allesamt gegen Barrett, was einmal mehr illustriert, wie verhärtet die politischen Fronten inzwischen sind. Ginsburg war 1993 noch nahezu einmütig, mit 96-fachem Ja, bestätigt worden. (Frank Herrmann aus Washington, 27.10.2020)