Magufuli wird von Anhängern auf Händen getragen.

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Tundu Lissu liebt Reggae. Im Bücherregal seines Büros in der tansanischen Hafenstadt Dar-es-Salam stehen Biografien von Bob Marley, Peter Tosh und Bunny Wailer, und wenn er bei einer Kundgebung auftritt, dröhnt Marleys "Get Up, Stand Up" aus den Boxen. Dann bewegt sich der beleibte Kandidat der tansanischen Oppositionspartei Chadema in vorsichtigen Tanzschritten auf dem Podium, in denen noch ein kleines Ungleichgewicht zu erkennen ist. Denn der 52-Jährige musste in den vergangenen drei Jahren immerhin 27 Operationen über sich ergehen lassen.

Im September 2017 hatten dem Chadema-Fraktionsführer auf dem Fußweg vom Parlament zu seiner Dienstwohnung in der Hauptstadt Dodoma zwei Attentäter aufgelauert und insgesamt 16 Kugeln aus russischen Schnellfeuergewehren in seinen Körper gejagt. Überzeugt davon, dass Lissu nie mehr aufstehen würde, preschten sie davon: Wie durch ein Wunder überlebte er jedoch und wurde im belgischen Exil wieder zusammengeflickt. Für Lissu gibt es keinen Zweifel, wer für den Anschlag verantwortlich war: Agenten der von Präsident John Magufuli geführten Regierung – selbst drei Jahre später ist keiner der Täter gefasst.

Jubelnde Fans

Im Juli dieses Jahres kehrte Lissu schließlich in seine ostafrikanische Heimat zurück und wurde bereits auf dem Flughafen von tausenden jubelnden Fans begrüßt. Kurz später kürte ihn seine Partei zum Kandidaten der heute, Mittwoch, stattfindenden Präsidentschaftswahl: Seine Wahlkampfveranstaltungen zogen in den vergangenen Wochen überraschend viele Menschen an.

In ihrem ungleichen Kampf gegen die seit der Unabhängigkeit vor 59 Jahren herrschenden Regierungspartei hatte der Opposition kaum einer eine Chance eingeräumt: Schließlich hatte die Chama-Cha-Mapinduzi-Partei (CCM) auch dieses Mal wieder mit allen Tricks für ihren Vorteil gesorgt. So schloss die vom Präsidenten besetzte Wahlkommission Lissu eine Woche lang vom Wahlkampf aus, weil er "aufrührerische Aussagen" gemacht habe. Sein Fahrzeugkonvoi wurde immer wieder von der Polizei gestoppt, zahlreiche Oppositionsmitglieder festgenommen.

Für das Aufhängen von Wahlplakaten verlangten die Behörden Steuern, sodass Chadema auf diese Art der Werbung gleich verzichtete. Außerdem sind als Wahlbeobachter keine Mitglieder der Opposition zugelassen.

Vom Vorbild zum Buhmann

Dabei hatte John Magufuli vor fünf Jahren voller Verheißung begonnen. Statt am Unabhängigkeitstag wie üblich ein Bankett zu veranstalten, kehrte er ostentativ eine Straße der Hafenstadt. Später stattete der neue Staatschef seinen Ministerien Überraschungsbesuche ab und setzte jene vor die Tür, die ihrer Arbeit nicht nachkamen. Sein unkonventioneller Kampf gegen Ineffizienz und Korruption fand auf dem ganzen Kontinent Beachtung: #WhatWouldMagufuliDo wurde zum Hashtag eines Twitter-Sturms, in dem Magufuli gepriesen wurde. Die Begeisterung hielt jedoch nicht lange an. Bald schon stellten sich auch die dunklen Seiten des ehemaligen Verkehrsministers heraus: Der "Bulldozer" ließ ein restriktives Gesetz nach dem anderen verabschieden, oppositionelle Kundgebungen verbieten, Journalisten verschwinden, Regierungskritiker zusammengeschlagen.

Während der Pandemie machte sich der gläubige Katholik international zum Pariah: Der WHO ließ er seit über einem halben Jahr keine Ansteckungsziffern mehr melden. Anfang Juni erklärte er Tansania als "Corona-frei": Gott habe sein Volk von dem Virus befreit. Dass er dem Allmächtigen nicht alles überlässt, macht seine Vorbereitung auf den am Mittwoch stattfindenden Urnengang deutlich. Selbst wenn Magufuli nicht die Mehrheit erlangen würde, sagt Stellvertreterin Samia Suluhu Hassan: "Die CCM wird auch die nächste Regierung bilden." (Johannes Dieterich, 28.10.2020)