Bergfahrt war einmal. Inzwischen scheint es Corona-bedingt im Tourismus nur noch talwärts zu gehen.

Foto: apa / barbara gindl

Die stabilisierende Wirkung des Tourismus in Krisenzeiten ist verpufft. Während sich Hotellerie und Gastronomie beim Bankencrash vor gut zehn Jahren noch souverän über Wasser halten und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen konnten, sieht es im Pandemiejahr 2020 schlimm aus.

Das Argument, "gereist wird immer", sticht nicht mehr. Regierungen raten vor Reisen ab. Und viele Menschen, tief verunsichert durch widersprüchliche Informationen, halten sich daran. Geschlossene Grenzen und fehlende Flugverbindungen erledigen den Rest.

Weniger Nächtigungen auch im September

Seit März sind die Tourismuszahlen rückläufig. Für September hat die Statistik Austria am Dienstag ein Minus von 14 Prozent bei den Übernachtungen ausgewiesen. Und das, obwohl inländische Gäste deutlich weniger ins Ausland gereist sind und dafür vermehrt in Österreich genächtigt haben (plus 13,9 Prozent). Dafür sind ausländische Gäste in Massen weggeblieben (6,2 Prozent Nächtigungsminus).

Was es bedeuten könnte, wenn wegen hoher Infektionszahlen und Reisewarnungen auch die Wintersaison ausfällt, hat Christoph Badelt, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), am Dienstag im ORF-"Mittagsjournal" erklärt: Dann würde die Wirtschaftsleistung – sprich das BIP – wohl um weitere 1,5 Prozentpunkte einbrechen.

Groß oder noch viel größer

Welches Gewicht der Tourismus in Österreichs Wirtschaft hat, lässt sich nicht eindeutig beantworten. "Eine große", sagen die einen, "eine noch viel größere", die anderen. 7,3 Prozent sei die richtige Zahl, mit der man arbeiten sollte, sagt der Tourismusexperte des Wifo, Oliver Fritz im STANDARD-Gespräch. So hoch sei der Anteil direkter und indirekter touristischer Leistungen am Bruttoinlandsprodukt (BIP).

Indirekt bedeute dies, dass beispielsweise auch die Semmeln, die der Bäcker an Hotels oder Gaststätten liefert, in dieser Kenngröße berücksichtigt sind. "Der Anteil des Tourismus am BIP ist seit vielen Jahren stabil", sagt Fritz; inwieweit der Anteil des Sektors gegenüber anderen Wirtschaftsbereichen heuer Corona-bedingt sinke, werde man nächstes Jahr wissen.

Im Tourismusministerium, aber auch in der Fachgruppe Tourismus der Wirtschaftskammer sowie in der Branche selbst greift man lieber zu einer anderen Zahl: 15,3 Prozent mache der Anteil des Tourismus an der heimischen Wirtschaftsleistung aus, freilich inklusive Freizeitwirtschaft.

Bis zu 25 Prozent Anteil am BIP

Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung, hält selbst diese Zahl für untertrieben: "Ich schätze, dass es wohl an die 25 Prozent sein werden. Die Menschen geben für Freizeit und Urlaub weit mehr Geld aus, als die Statistik bei den Einnahmen auswirft. Sein Lieblingsbeispiel sei der Tischler, der beim Bäcker den Laden neu einrichtet. Zellmann: "Den Bäcker gibt es in der Region nur deshalb noch, weil er die Hälfte seines Umsatzes im Tourismus macht. Der Umsatz des Tisches ist selbstverständlich nicht dem Tourismus zugeordnet, die Arbeitsplätze der Tischlerei hingegen hängen zu 50 Prozent vom Tourismus ab."

Tourismusexperte Fritz vom Wifo lässt das nicht gelten. Es sei schon schwierig genug, die Freizeitwirtschaft abzugrenzen. "Was ist der Freizeitanteil etwa an einer Jeans, die ich um 100 Euro gekauft habe? Wenn ich sie im Büro trage, ist es Arbeitskleidung, wenn ich nach Hause fahre, Freizeitkleidung, und wenn ich am Wochenende zu meiner Mutter unterwegs bin, Tourismus? Ich habe dabei ein mulmiges Gefühl", sagt Fritz.

Freizeitwirtschaft soll enger gefasst werden

Aus diesem Grund habe man 2019 die Freizeitwirtschaft gar nicht mehr in den Tourismusbericht inkludiert. Auf Wunsch der Politik soll das wieder anders werden. Anfang nächsten Jahres werde man sich zusammensetzen und eine engere Abgrenzung treffen. "Dann werden es zusammen aber nicht mehr 15 Prozent sein, sondern sicher weniger." Und zu Zellmann meint Fritz: "Ich bin skeptisch, wenn jemand sagt, das ist weit bedeutender, einen empirischen Nachweis kann ich aber nicht liefern, weil man nicht alles messen kann."(Günther Strobl, 28.10.2020)