Premier Andrej Babiš muss sich Sorgen um das Gesundheitssystem machen.

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Einmal mehr zieht Tschechien bei der Corona-Bekämpfung die Schrauben kräftig an. Ab Mittwoch gilt zwischen 21 Uhr und fünf Uhr früh eine landesweite Ausgangssperre. Ausgenommen sind der Weg von und zur Arbeit sowie unbedingt nötige Maßnahmen zur Gefahrenabwehr. Auch Gassigehen mit Hunden ist erlaubt, allerdings in einem Radius von maximal 500 Metern um den Wohnort.

Die Maßnahme soll zunächst bis 3. November in Kraft bleiben. Das ist der Tag, an dem der geltende Notstand auslaufen sollte. Allerdings beschloss die Regierung am Dienstag, das Abgeordnetenhaus um eine Verlängerung des Notstands zu bitten, um die steigenden Corona-Zahlen in den Griff zu bekommen.

Ab Mittwoch dürfen – mit wenigen Ausnahmen wie etwa Tankstellen oder Apotheken – auch Geschäfte nur noch zwischen fünf Uhr und 20 Uhr geöffnet sein, am Sonntag müssen sie ganz schließen. In Tschechien mit seinen liberalen Ladenöffnungszeiten ist beides keine Selbstverständlichkeit. Zudem sind Firmen laut Regierungsbeschluss nun verpflichtet, Arbeitnehmer ins Homeoffice zu schicken, sofern es "hinsichtlich des Charakters der Tätigkeit möglich ist".

Sorgenkinder Tschechien und Belgien

Tschechien verzeichnet derzeit in der EU gemeinsam mit Belgien die schlechteste Entwicklung bei den Corona-Neuinfektionen. Am Dienstag lagen beide Länder bei der 14-Tages-Inzidenz, also der Zahl der positiven Tests während der letzten zwei Wochen pro 100.000 Einwohner, mit jeweils knapp 1400 an der Spitze. Alle anderen EU-Staaten lagen unter 800, etliche sogar im nur zweistelligen Bereich. Allein am Montag kamen in Tschechien wieder mehr als 10.000 Neuinfizierte dazu.

Die Regierung in Prag hatte sich zu den neuen Maßnahmen entschlossen, nachdem die bereits gültigen Einschränkungen keine Trendwende gebracht hatten. Geschäfte, die nicht der Grundversorgung dienen, mussten ja schon vergangenen Donnerstag schließen. Letztere, also etwa Lebensmittelläden, sind weiterhin geöffnet, ab Mittwoch aber eben nicht mehr in den Nachtstunden.

Auch Ausgangsbeschränkungen gibt es bereits – nur dass die Ausnahmen untertags wesentlich weiter gefasst sind als während der viel strikteren nächtlichen Ausgangssperre, die ab Mittwoch gelten soll.

"Politik der harten Hand"

Der tschechische Politikwissenschafter Jiří Pehe sieht hinter den schlechten Zahlen auch schwache Institutionen und mangelndes Vertrauen in den Staat. Die "Politik der harten Hand" mit Grenzschließungen und strikter Maskenpflicht im öffentlichen Raum hätte bei der Corona-Bekämpfung im Frühjahr zwar gut funktioniert, so Pehe im Gespräch mit dem STANDARD: "Das Virus wurde damals zur äußeren Bedrohung stilisiert. So wurden Instinkte aktiviert, die noch ein Erbe aus der Zeit vor 1989 sind."

Sobald es aber zu diversifizierten Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen komme, würden die staatlichen Institutionen sowie die Kommunikation zwischen ihnen versagen: "Der Kampf gegen das Virus ist dort am erfolgreichsten, wo ein gewisses Vertrauen der Menschen in die Vernunft der Politik herrscht", so Pehe. In Tschechien, wo Premier Andrej Babiš vor der Regionalwahl Anfang Oktober noch unpopuläre Maßnahmen abgelehnt hat, sei genau dies derzeit nicht der Fall. (Gerald Schubert, 27.10.2020)