Vom hitzigen Wahlkampf ist in New York City nichts zu bemerken, zumindest nicht in Manhattan. Manchmal eilt ein Fußgänger mit einer Maske vorbei, auf der "Vote" steht, oder ein vereinzeltes Biden/Harris-Schild ist in einem Fenster zu sehen. New York City hat 2016 mit überwältigender Mehrheit Hillary Clinton gewählt (in Manhattan gingen 580.000 Stimmen an Clinton, nur 65.000 an Trump) und New York State wählte mit 59 Prozent demokratisch. Der Kampf ums Weiße Haus wird in anderen Bundesstaaten entschieden.

In dieser Präsidentschaftswahl dürfen New Yorks Bürger zum ersten Mal ihre Stimme im Early-Voting-Prozess abgeben, der am 24. Oktober in der Stadt begonnen hat. Zusätzlich kann man mit Absentee Ballot (Wahlkarte) wählen, die entweder mit der Post versendet oder in Drop-off-Ballot-Boxes eingeworfen wird. Der Andrang beim Early Voting war bisher groß, lange Schlangen bildeten sich vor den Wahllokalen. Zwischen drei und vier Stunden Wartezeit scheinen die Norm zu sein, sowohl in der Stadt als auch in ländlichen Gebieten.

Es folgen einige Fotos zur Wahl in New York. Im Anschluss daran berichten langjährige Auslandsösterreicher über den Wahlkampf in ihren Bundesstaaten: aus den Swing States Ohio, Georgia und Arizona; aus dem republikanischen North Dakota; und dem liberalen Illinois und Kalifornien.

Early Voting. Die Wahlunterlagen und Wahlzettel sind auf Englisch, Spanisch und Chinesisch.
Foto: Stella Schuhmacher
Wahlschlangen in NYC.
Foto: Sylvia Hordosch
Alle Halloween-Aktivitäten sind heuer in NYC gestrichen. Einige Häuser sind trotzdem dekoriert.
Foto: Stella Schuhmacher

Daniela Jauk (Soziologieprofessorin), Akron, Ohio.

2016 wählten 51 Prozent Trump, 43 Prozent Clinton in Ohio.

Ich hoffe, Biden gewinnt in Ohio. Aber die letzte Wahl hat gezeigt, dass die Umfragen oft nicht richtig sind. Wenn die Demokraten nicht gewinnen, werden hier viele Black-Lives-Matter-Proteste losgehen. Leider kann ich selbst nicht wählen. Meinen Studenten gebe ich Extra-Credits, wenn sie wählen gehen. Sie sollen mir ein Foto vorm Wahllokal schicken. Die, die zu jung sind, sollen jemanden zur Wahl begleiten. Mit meiner Umgebung diskutiere ich darüber, dass man wählen gehen soll. Ich versuche, Fragen zu stellen, gebe Informationen. Niemand klingelt zurzeit an meiner Tür. Canvassing findet wegen der Pandemie nicht statt, aber es werden viele Flyer ausgeteilt.

Die Angst, als Demokrat bedroht zu werden, ist hier real. Im konservativen Süden Ohios stehen überall riesige Trump-Schilder. Einer Freundin wurde ein Black-Lives-Matter-Schild aus dem Garten gestohlen und sie traut sich nicht, ein Biden-Schild hinauszustellen. Eine ihrer Nachbarinnen hat ein Ku-Klux-Klan-Schild mit einer Drohung vorgefunden. White Supremacists habe ich hier noch nicht gesehen, aber ich weiß, dass es eine hohe Konzentration gibt. Ich finde es fast gefährlicher, weil man sie nicht sieht. Es gibt offiziell 31 Hate-Groups in Ohio. Alabama hat zum Beispiel nur 16.

In ärmeren Gegenden wettern alle gegen die Masken, kaum jemand trägt sie. Republikaner glauben die Corona-Zahlen nicht, sagen, dass Spitäler nur davon profitieren wollen. Ohio ist ein Ausläufer des Bible Belts. Die Menschen sagen „Ich glaub das nicht“, egal was die Zahlen sagen. Wenn Trump es sagen würde, dann würden sie es glauben. Ich finde es bestürzend, dass Fakten egal und die Menschen völlig verblendet sind. Zwei meiner besten Freundinnen haben vor vier Jahren geheiratet, als die gleichgeschlechtliche Ehe in Ohio erlaubt wurde. Die eine ist sehr liberal. Die andere erwärmt sich gerade für QAnon und andere Verschwörungstheorien. Diese sind hier sehr häufig und fruchten auch bei Leuten, die sich am anderen Ende des politischen Spektrums befinden. Ich habe Angst, über Politik zu reden. Meine Umgebung, lauter Kleinunternehmer, sind Trump-Anhänger. Sie sagen „Gott sei Dank ist er kein Politiker. Uns gefällt das unpolitische Auftreten.“ Mit Verwandten und Freunde witzle ich höchstens ein bisschen, aber wir wollen Konflikte vermeiden. Wir reden nicht über Politik und Religion am Tisch.

Wahlkampfschilder in Ohio
Foto: Daniela Jauk

Heinz Lechner (Bildender Künstler), Skidaway Island, Georgia.

2016 wählten 51 Prozent Trump, 46 Prozent Clinton.

Ich fürchte, dass Trump nicht einfach so verschwinden wird. Hier sehe ich überall riesige Werbeschilder, mit drei Metern Höhe und zwei Metern Breite. Da steht weiß auf blau groß "Trump" und halb so groß drunter "Pence". Weit und breit keine Werbung für Biden, der wird hier regelrecht totgeschwiegen. Auf einem Straßenabschnitt von circa 200 Metern standen vier solche Schilder, und mehr und mehr sieht man sie jetzt auf Autos (etwas kleiner) hinten draufgeklebt. Leider sind die Demokraten ein zerstrittener Haufen, geleitet von Nancy Pelosi, die die Macht, die sie hat, nie loslassen wird, auch wenn sie allen damit schadet.

Meine Frau ging am 12. Oktober zum Wahllokal, um gegen Trump zu stimmen. Nach viereinhalb Stunden Wartezeit zog sie unverrichteter Dinge wieder ab, weil die Warteschlange vor ihr scheinbar nach wie vor endlos war, und hinter ihr nochmals so lang. 85 Prozent der Wartenden dort wählen Trump, meine Frau ist hier im Süden eine Ausnahmeerscheinung.

Gebildete Freunde von uns hier schwören Stein und Bein auf Trump, weil bei ihnen nur ein Fernsehsender läuft, und das ist "Fox News". CNN schaut hier niemand, weil liberal und somit schlecht für den Süden. Die Macht Rupert Murdochs, dessen Hampelmann Trump ist, ist in allen englischsprechenden Ländern gleich, wie die von Hans Dichand zu seiner besten Zeit in Österreich. In NY sahen alle meine Bekannten CNN, hier kein einziger. Internationale Presse gilt hier sowieso nichts, selbst die "New York Times" oder die "Washington Post" sind viel zu intellektuell. 

Die Leute hier in der Nachbarschaft, also circa 8.000 Menschen, sind tatsächlich äußerst freundlich und hilfsbereit. Nur darf man kein Wort über Politik reden, weil der Großteil hier glaubt, Trump sei der beste Mensch, Freund und Präsident, den sie sich vorstellen können.

Hausfassade in NYC, die Hexe trägt eine Maske mit der Aufschrift "Vote".
Foto: Stella Schuhmacher

Hubert Tupay, Phoenix, Arizona.

2016 wählten 49 Prozent Trump, 45 Prozent Clinton.

Ich bin in Österreich aufgewachsen – Doppelstaatsbürger, meine Mutter ist Amerikanerin, und bin 1990 von Wien nach Phoenix gezogen. Es könnte klappen, dass Arizona, ein wichtiger Swing State, heuer Biden wählt. Aktuelle Umfragen sagen sogar voraus, dass beide Senatssitze für Arizona demokratisch werden könnten. Das hat es das letzte Mal vor 70 Jahren gegeben. Ich befürchte aber, dass wir das Ergebnis nicht am Dienstag, sondern erst Tage oder sogar Wochen später kennen werden, da viele Briefwahl-Stimmzettel noch ausgezählt werden müssen. Alle werden heuer sehr vorsichtig sein, um keine falschen Prognosen zu machen, wie viele beim letzten Mal. Meine Frau und ich haben per Absentee Ballot gewählt und in die Ballot-Box geworfen. Wir haben eine Textnachricht zur Bestätigung erhalten: „Your Ballot was received and processed.“ Ich kann daher sicher sein, dass unsere Stimme gezählt wird.

Leider ist alles sehr politisch im Moment. Meine Gegend ist sehr stark republikanisch geprägt, aber ich sehe zu meiner Überraschung viel mehr Biden-Schilder. Vor vier Jahren ist es nicht so politisch abgelaufen wie jetzt. Viele haben damals in den Umfragen nicht gesagt, dass sie für Trump stimmen. Heute ist das wahrscheinlich auch so. Viele wollen es nicht zugeben. Demografisch hat sich auch viel verändert und viele junge Latinos leben im städtischen Phoenix und Arizona und ich hoffe, dass sie für Biden stimmen. Ich mache mir aber große Sorgen über den rechtmäßigen Wahlausgang und Wahlbetrug.

Mit Freunden und Kollegen wird nicht viel über Politik geredet. Es ist leider zu sensibel und spaltet die Gesellschaft. Mein Sohn will nicht, dass ich meine politischen Ansichten öffentlich äußere. Ich gehe auf keine Demonstrationen. Mein bester Freund ist Republikaner, sogar Trump-Anhänger – das macht unsere Beziehung leider nicht immer einfach. Familien zerstreiten sich deswegen, Freundschaften gehen verloren, was ich sehr schade finde. Als ich vor 30 Jahren hier hergezogen bin war das überhaupt kein Thema. Ich habe damals sogar Bush Sr. gewählt. Niemanden hat es gekümmert, ob man Republikaner oder Demokrat war. Jetzt sind die Vorurteile so groß: „Der fährt mit einem Elektroauto, der muss ein Demokrat sein“. Und der, der einen riesigen Pick-up-Truck fährt, ist Republikaner. Ich hoffe, dass wir diese Wahl schnell und fair hinter uns bringen können und dass man sich dann auch wieder auf wichtigere und menschlichere Dinge konzentrieren kann.

Illinois. Feministen haben Trump’s “Grab 'em by the…”-Entgleisung für die Wahl umgemünzt.
Foto: Angelika Rupp

Angelika Rupp (Psychologin), Chicago, Illinois.

2016 wählten 56 Prozent Clinton, 39 Prozent Trump.

Ich bin Doppelstaatsbürgerin und habe bei dieser Wahl zum ersten Mal per Briefwahl gewählt, was gut geklappt hat. Da die Covid-Zahlen auch hier in der Chicagoer-Gegend täglich steigen, war ich ganz froh, mich nicht in einer Schlange vorm Wahlbüro anstellen zu müssen. Meiner Tochter, die im Süden Chicagos studiert, habe ich extra die Wahlkarte vorbeigebracht.

Ich schaue dem Ausgang der Wahl mit Bauchweh entgegen. Die Gegend außerhalb Chicagos, in der ich mit meinem Mann und Sohn wohne, ist sehr liberal und ich denke, dass uns, egal wie die Wahl ausgeht, nicht allzu viel passieren wird. Ich mache mir aber Sorgen, dass bei einer Wiederwahl Trumps die Gegend, in der meine Tochter zur Uni geht, wieder von Randalierern überlaufen wird und ihre Sicherheit gefährdet ist, ähnlich wie vor ein paar Monaten bei den Rassenunruhen. Das Aggressionspotential ist recht hoch bei vielen. Manchmal komme ich mir in unserer Wohngegend wie auf einer Insel der Seligen vor. Hier ist es friedlich. Nur 30 Minuten entfernt geht es wie in einem Kriegsgebiet zu. 

Ich mach mir auch Sorgen, dass die allgemeine Atmosphäre der Intoleranz noch weiter wachsen wird. Vor vier Jahren war die Stimmung vieler, besonders von Minderheiten, sehr angespannt. Mehrere meiner Schulkinder kamen damals voller Angst in mein Büro. Was sie mir erzählten kam mir wie aus einem schlechten Film vor. Viele Schüler, die Trump-Anhänger waren, dachten damals, dass ihnen der Sieg von Trump das Recht gab, nun ihren Hasstiraden und intoleranten Bemerkungen freien Lauf zu geben. Eine meiner Schülerinnen zum Beispiel, die damals gerade mal 15 Jahre alt war und lesbisch ist, wurde am Tag nach Trumps Wahlsieg von einem Mitschüler mit "Trump hat gewonnen, jetzt kommt ihr Fags endlich weg aus unserer Gesellschaft" in unserer Schule begrüßt.

Wahlkampf in Illinois.
Foto: Angelika Rupp

Sonja Wentling (College-Professorin), Fargo, North Dakota.

2016 wählten 64 Prozent Trump, 28 Prozent Clinton.

North Dakota ist ein Corona-Hotspot, mit der höchsten Anzahl an Neuinfektionen pro Tag im ganzen Land in der letzten Woche. Da North Dakota nie komplett dicht gemacht hat, wurde die Wirtschaft nicht so negativ beeinträchtigt wie in manch anderen Staaten. Obwohl es einen Lockdown im März und Anfang April gab, hat sich seit dem Sommer der Verkehr wieder normalisiert, am Wochenende gehen die Menschen Shoppen, als wäre nie etwas passiert. Restaurants, Lebensmittelgeschäfte und Malls haben Maskenpflicht. Die Stadt Fargo hat ein Maskenmandat, aber staatsweit gilt das nicht. Und diese Einstellung, im “Schweden der USA” – obwohl die meisten Bewohner ursprünglich Norweger und Wolgadeutsche aus Russland sind – wird von den meisten unterstützt. "North Dakota Smart", "Eigenverantwortung", "die Freiheit, gute Entscheidungen zu treffen", sind die offiziellen Floskeln. Leute in North Dakota sind mehrheitlich republikanisch und weisen zu viele Vorschriften zurück.

Laut Umfragen ist Trump der Underdog im Wahlkampf, und dennoch hört man vor allem hier und auch im Lakes Country in Minnesota, dass es viele “silent Trump voters” gibt und die Meinungsforscher wieder eine Überraschung erleben werden – wie 2016. Unter Arbeitern und im Dienstleistungssektor fürchten sich viele vor einer Biden-Regierung aufgrund widersprüchlicher Aussagen zum Fracking, das ja North Dakota so viel Reichtum gebracht hat und auch viele Jobs, vor allem im Westen des Staates. North Dakota erlebt auch einen Housing Boom, der schon jahrelang andauert und auch durch die Pandemie nicht beeinträchtigt wurde – im Gegenteil. Teure Urlaube musste man zwar absagen, aber man kann sich größere Häuser leisten. 

Schwer zu sagen, wie die Wahl ausgehen wird, da vieles von den Swing States abhängt. Manche Studenten erzählen mir, dass sie zu Hause nicht über Politik reden aus Angst vor Konfrontation und Familienstreits. Eines weiß ich mit Sicherheit, sollte Minnesota Trump wählen, dann wird Trump die Wahl gewinnen. Ein großer Vorsprung bei Biden in Minnesota, wird mit Sicherheit eine Niederlage für Trump bedeuten. Zum Glück bin ich kein Meinungsforscher!

Truck Parade auf einem Highway, North Dakota
Foto: Sonja Wentling
Illinois
Angelika Rupp

Wolfgang Schweigkofler, Südtiroler und Biologe, San Francisco, Kalifornien.

2016 wählten in Kalifornien 62 Prozent Clinton, 32 Prozent Trump; in San Francisco 85,5 Prozent Clinton, 9.4 Prozent Trump. 

Ich lebe in einer demokratischen Hochburg, San Francisco. Die politische Lage hier ist so eindeutig, dass beinahe kein Wahlkampf gemacht wird, abgesehen natürlich von den landesweiten Kampagnen in den Social-Networks und TV-Kanälen. Nur vereinzelt sieht man ein Biden/Harris-Plakat an einem Fenster, neben einem Black-Lives-Matter-Plakat. Vor einigen Wochen sah ich einen einsamen Trump-Sticker auf einem Auto, ironischerweise einem Toyota Prius, dem Hybridfahrzeug, welches als Symbol für die gebildete liberale Schicht gilt. Hier ist der Bezirk von Nancy Pelosi, die zur Wiederwahl für die Abgeordnetenkammer antritt, aber man merkt es praktisch nicht. Gibt es einen Gegenkandidaten? Keine Ahnung. Eigentlich eh wurscht, hat keine Chance, Republikaner sind in der Stadt Mangelware.

Am 3. November werden in den USA nicht nur der Präsident sowie Abgeordnete und Senatoren gewählt, sondern auch Vertreter für diverse lokale Ämter, zum Beispiel Sheriffs oder Vertreter für das Board of Education. Außerdem gibt es zahlreiche Abstimmungen (sogenannte Propositions) auf Bundesstaat- oder Gemeindeebene. Im Jahr 2016 wurde auf diese Weise der Marihuana-Konsum in Kalifornien legalisiert. Manchmal geht es aber auch um recht unübersichtliche Detailfragen, zum Beispiel darum, ob die Steuer auf Sodagetränke um zehn Cent erhöht werden soll, um damit lokale Parkanlagen zu finanzieren und ähnliches. Der offizielle Voters Guide in meinem Wahlbezirk umfasst über 200 Seiten, für jede Proposition werden Pro- und Contra-Argumente aufgelistet. Wenn man sich ernsthaft für jede Frage interessiert, erfordert das einige Zeit und Aufmerksamkeit. Manchmal hat man das Gefühl, diese Referenden sind in meinem Wahlkreis härter umkämpft als das Präsidentenamt. Ich habe bis jetzt noch keine einzige (!) Postwurfsendung zur Präsidentenwahl im Postkasten gefunden, dafür aber täglich mehrere zu diesen lokalen Abstimmungen. (Stella Schuhmacher, 30.10.2020)   

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