Die Anziehungskraft des großen Bildschirms ist längst nicht mehr so hypnotisch wie im Goldenen Zeitalter des Fernsehens.
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Man googlet am Smartphone einem Stichwort hinterher, das gerade in den Nachrichten gefallen ist, sucht auf der Imdb Informationen zu den Schauspielern eines noch laufenden Spielfilms oder kommentiert Sendungen zeitgleich auf den sozialen Medien: Der sogenannte Second Screen ist für viele längst zu einem integralen Bestandteil der Fernsehzeit geworden – weit entfernt von der passiven Berieselung, als die der TV-Konsum einmal galt.

Aber hat dieses geänderte Verhalten Konsequenzen für die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns? Dieser Frage sind Wissenschafter der US-amerikanischen Stanford University nachgegangen. Und sie glauben einen Zusammenhang mit der Gedächtnisleistung gefunden zu haben, wie sie im Fachjournal "Nature" berichten. Mediales Multitasking geht demnach mit schlechterem Erinnerungsvermögen einher.

Das Experiment

Das Team um den Psychologen Kevin Madore führte verschiedene Gedächtnisübungen mit 80 Probanden im Alter zwischen 18 und 26 Jahren durch. Die Probanden wurden mit einer Reihe von Bildern auf einem Computerbildschirm konfrontiert, und nach zehn Minuten Pause mit einer zweiten. Nun sollten sie bestimmen, ob die neuen Bilder größer oder kleiner und angenehmer oder unangenehmer waren sowie ob sie die Bilder schon im ersten Durchgang gesehen hatten.

Während des Versuchs wurden Pupillenreaktionen und Hirnwellen in einem Elektroenzephalogramm (EEG) aufgezeichnet, vor allem die sogenannte Alpha-Aktivität. Eine erhöhte Alpha-Aktivität im hinteren Bereich des Schädels werde mit Unachtsamkeit, Abschweifen und Ablenkbarkeit in Verbindung gebracht, erklärt Madore. Tatsächlich hat erst kürzlich eine Untersuchung des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung an der TU Dortmund diesen Zusammenhang belegt. "Wir wissen auch, dass Verengungen des Pupillendurchmessers – insbesondere vor der Ausführung verschiedener Aufgaben – mit Leistungsabfällen wie langsameren Reaktionszeiten und abschweifenden Gedanken zusammenhängen", ergänzt Madore.

Zusätzlich fragten die Forscher die Medien-Multitasking-Gewohnheiten der Probanden ab, also wie häufig sie etwa gleichzeitig fernsahen und SMS schrieben oder im Internet surften.

Ergebnis und Interpretation

Das Ergebnis: Jene Probanden mit kürzerer Aufmerksamkeitsspanne und intensiverem Medien-Multitasking-Verhalten schnitten auch schlechter in den Gedächtnisübungen ab. Allerdings handle es sich dabei zunächst um eine Korrelation, keine Kausalität, betonen die Autoren. Nichtsdestotrotz liege die Hypothese nahe, dass Medien-Multitasking Einfluss auf das Gedächtnis nehme, erklärt der Psychologe und Kognitionswissenschafter Simon Hanslmayr von der Universität Glasgow in einer unabhängigen Einordnung der Studie. Insgesamt sei jene dargestellte Korrelation ein Zusammenhang, der bisher noch nicht beschrieben wurde.

Ein weiterer Verdienst der Studie sei, dass sie die Rolle von Aufmerksamkeit beim Erinnern untersuche, so Hanslmayr: "Wir wissen bereits viel darüber, wie Aufmerksamkeit das Einspeichern von Informationen lenkt, aber wenig darüber, wie Aufmerksamkeit das Abrufen dieser Informationen beeinflusst." Die Autoren hätten nun die Aufmerksamkeitsfluktuationen der Probanden analysiert und mithilfe von EEG und Pupillenaufzeichnungen bestimmen können, ob sich jemand erinnere oder nicht.

Gesundes Gedächtnis

Eben jenes Erinnern sei eine Fähigkeit, die Menschen jeden Tag nutzten und brauchten, um überhaupt zu funktionieren, sagt Hanslmayr. Wie fundamental wichtig dies sei, zeigten Erkrankungen, die das Gedächtnis beträfen, so etwa Alzheimer.

Tatsächlich hoffen die Autoren der Studie, dass ihre Forschung zu einem besseren Verständnis solcher Krankheiten beiträgt. Die Wissenschafter unterstreichen abschließend, dass das Gedächtnis in hohem Maße von zielgerichteter Kognition abhänge: Wir müssten bereit sein, uns zu erinnern, unsere Aufmerksamkeit an- und Ablenkungen ausschalten sowie ein Gedächtnisziel vor Augen haben – Faktoren, die noch vor dem eigentlichen Erinnern wirkten und bestimmten, ob man sein Gedächtnis aktivieren könne. Dafür seien gezielte Interventionen denkbar. Als Beispiel stellen sich die Forscher tragbare Augensensoren vor, die in Echtzeit anhand der Pupillengröße erkennen, ob ihr Träger unachtsam wird und dann ein entsprechendes Signal senden. (red, APA, 1. 11. 2020)