Sitzen einander seit heute für Koalitionsverhandlungen gegenüber – und sind offensichtlich gut gelaunt: Christoph Wiederkehr (Neos) und Michael Ludwig (SPÖ). Bei manchen inhaltlichen Punkten könnte das Lachen aber beiden vergehen.

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Wiederkehrs Verhandlungsteam für alle acht Untergruppen steht noch nicht fest.

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Nach dem offiziellen Verhandlungsstart von SPÖ und Neos am Dienstagabend, bei dem das weitere Prozedere festgelegt wurde, ging es am Mittwoch mit Inhalten los: Erste Treffen von Untergruppen standen auf dem Programm.

Bei der SPÖ werden die Arbeitsgruppen jeweils von den zuständigen Stadträtinnen und Stadträten bzw. von Landesparteisekretärin Barbara Novak geleitet. Bei den Neos gehen neben Christoph Wiederkehr (Klubobmann und Sprecher für u. a. Kontrolle, Integration) auch die schon bisher im Gemeinderat vertretenen Abgeordneten Bettina Emmerling (Bildung), Stefan Gara (Klimaschutz, Gesundheit, Forschung) und Markus Ornig (Wirtschaft, Finanzen) in die Gespräche. Zusätzlich nehmen auch der Landesgeschäftsführer Philipp Kern und die neu in den Gemeinderat gewählte Selma Arapovic teil.

Ein Überblick zu Gemeinsamkeiten und Streitpunkten bei den wichtigsten Themen:

  • Soziales

Am liebsten würden die Neos das Sozialhilfesystem vereinfachen und ein "liberales Bürgergeld" einführen, das alle Einzelsozialleistungen ersetzen soll. Ein Konzept, mit dem sie bei der SPÖ auf taube Ohren stoßen werden – in Wien wird das aber ohnehin nicht ausverhandelt werden. Ein ähnlich entschlossen gemeinsames Auftreten in dem Bereich wie mit den Grünen (Stichwort Widerstand gegen die Sozialhilfe neu) ist aber schwer vorstellbar.

Im Gesundheitsbereich wurde die SPÖ von den Neos in der Vergangenheit stark kritisiert, allen voran beim Krankenhaus Nord. Eine konkrete Forderung der Pinken ist etwa die Einrichtung medizinischer Akutordinationen in jedem Spital, was Ambulanzen entlasten soll. Ähnliches schwebt auch der SPÖ vor.

  • Transparenz

Bei diesem Thema könnte es am heftigsten zwischen den Pinken und den Roten krachen. Seit Jahren kritisieren die Neos Misswirtschaft, Postenschacher und Freunderlwirtschaft durch die SPÖ in Wien. Gefordert wird mehr Transparenz. Im Wahlkampf wurden die Attacken von Wiederkehr in Richtung Ludwig zwar merkbar gemäßigter: Allerdings monierte der pinke Frontmann etwa, dass es weder für die neue Leitung des Wiener Gesundheitsdienstes noch für die Leitung des Kuratoriums Wiener PensionistInnen-Wohnhäuser eine Ausschreibung oder ein transparentes Verfahren gab. Wiederkehr fordert "Hearings statt Postenschacher" und eine Ausschreibung vor jeder Anstellung bei der Stadtverwaltung.

Wiederkehr will zudem, dass der Stadtrechnungshof künftig auch die Finanzen der Parteien sowie ihrer Vorfeldorganisationen unter die Lupe nehmen kann. Offen bleibt, wie gläsern die Wiener SPÖ hier werden will. Die Pinken setzen sich auch für eine unabhängige Vergabekommission ein und treten für ein "Subventionsgesetz für ein transparentes Förderwesen" ein.

  • Arbeit

Mit der Corona-Krise geht auch eine massive Wirtschaftskrise einher. Da ist es nur logisch, dass sowohl SPÖ als auch Neos Wirtschaft und Arbeit als Schwerpunktthemen definiert haben. Die SPÖ will vor allem Klein- und Mittelbetriebe sowie Einzelunternehmen stärken. Bei den Arbeitsplätzen liegt der Fokus von Stadtchef Michael Ludwig auf Lehrlingen und der Generation 50 plus. Die Neos fordern eine Gebührenentlastung für Betriebe. Der pinke Chef Christoph Wiederkehr kritisierte die bisherige Stadtregierung für die hohe Arbeitslosigkeit, die mit über 15 Prozent um ein Vielfaches höher als in Städten wie Bratislava, Prag oder München sei. Laut Neos könnte etwa eine Sonntagsöffnung 800 Jobs bringen. Bisher hat sich die SPÖ dagegen ausgesprochen.

  • Wohnen

Hier könnte es spannend werden, da es einige Unterschiede gibt:

Die Mietkosten im Gemeindebau sollen laut den Pinken an das Einkommen, das mehrmals abgefragt werden soll, angepasst werden. Die Bauordnung wollen die Neos "entrümpeln", sodass schneller und damit auch mehr gebaut werden kann. Im pinken Wahlprogramm heißt es außerdem: "Eine Eigentumswohnung schafft langfristig finanzielle Sicherheit. Wien hat im europäischen Vergleich sehr wenige Wohnungs- und Hausbesitzer", das solle sich ändern.

Die SPÖ ist hingegen stolz darauf, dass 60 Prozent der Wiener im geförderten Wohnbau leben. Kurzzeitvermietungen durch Airbnb und Co soll zwar nicht verboten, aber eingeschränkt werden.

  • Smart City

Was die Digitalisierung betrifft, haben sowohl SPÖ als auch Neos große Pläne: Beide sprechen davon, dass Wien zur Digitalisierungshauptstadt Europas werden soll. Wiederkehr schlägt vor, dass die Stadt eine Werkstätte für Schlüsseltechnologien und Zukunftsthemen werden soll – etwa in der Gesundheitstechnologie. Der SPÖ warfen die Pinken immer wieder vor, zu wenig in die digitale Zukunft zu investieren. Ganz konkret kritisierte Wiederkehr zuletzt etwa die technische Infrastruktur in Wiens Schulen.

Ludwig betont immer wieder, dass der Anspruch der Stadt sein müsse, dass alle Bürger von der Digitalisierung profitieren, und es nicht eine "Stadt der zwei Geschwindigkeiten" geben solle.

  • Klima und Verkehr

Konnte sich die SPÖ in den vergangenen zehn Jahren in puncto Klimaschutz noch auf der Arbeit der Grünen ausruhen, könnten diese Lücke nun die Neos füllen. Diese gingen in die Wahl etwa mit einem eigenen Radkonzept: Radschnellwege sollen dafür sorgen, dass man ohne Unterbrechung von Liesing nach Floridsdorf sausen kann. Im roten Programm stehen ebenso 110 Kilometer an Radschnellverbindungen. Die SPÖ will auch die Lücken im Radnetz schließen und den Anteil des Radfahrens von sieben auf zehn Prozent steigern.

Zum Knatsch könnte das Parkpickerl führen: Die Neos wollen 60 bis 90 Grätzelparkzonen schaffen, wo Bewohner ihr Auto abstellen dürfen – so soll der Bezirksbinnenverkehr verringert werden.

  • Bildung

Beim Thema Bildung sind sich die Neos und die SPÖ relativ einig. Auf der Agenda der neuen Koalition steht diese darum auch ganz oben. So beginnt die Bildungslaufbahn der Kinder bei Pink und Rot schon in der Elementarpädagogik. Die SPÖ etwa plant eine Personaloffensive im Kindergarten, um dort den Einsatz zusätzlicher Pädagogen zu ermöglichen. Die Neos nennen dafür konkrete Zahlen: Sie wollen eine schrittweise Annäherung an einen Fachkraft-Kind-Schlüssel von eins zu acht in Kindergartengruppen und eins zu vier in Kleinkindgruppen.

Auch für die Größeren gibt es einiges. Mit diesem Herbst wurden 70 Ganztagsschulen mit verschränkter Unterrichts- und Freizeit gratis. Bis 2030 soll an zumindest weiteren zehn Standorten eine solche Schule für die Sechs- bis 15-Jährigen umgesetzt sein, heißt es im Programm der SPÖ. Auch die Neos wollen Ganztagsschulen, und das flächendeckend.

Ein möglicher Knackpunkt: Die Neos fordern mehr Transparenz in der Bestellung der Schulleiter. Diese soll objektiv und ohne Rücksicht auf das Parteibuch erfolgen. Bisher hatte die SPÖ hierbei relativ freie Hand – was auch für Kritik sorgte.

  • Zusammenleben

Eine gemeinsame Linie im Bereich Sicherheit zu finden dürfte machbar sein. Die SPÖ will vom Bund 1200 Polizisten mehr für Wien, die Neos wollen eine Zulage für Polizeiarbeit in Ballungszentren. Hier ist ein gemeinsames Auftreten gut vorstellbar. Die SPÖ kündigte zudem an, dass Wien einen eigenen Zivilschutz- und Sicherheitsbeauftragten erhalten soll. Zudem soll das "Wiener Einsatzteam" weiterhin unterwegs sein und sich um kleinere Reibereien kümmern.

Das ist den Neos allerdings zu wenig. Sie forderten im Wahlkampf eine eigene Steuerungsgruppe, die über die Entschärfung von "Hotspots" wie den Praterstern oder den Reumannplatz beraten soll. Zudem seien Alkoholverbote eine "Scheinlösung". (lhag, krud, ook, van, 28.10.2020)