Stan Swies, Bewohner der Villages, einer Retortensiedlung für Rentner in Florida, einst Versicherungsvertreter in Michigan, tritt im Wahlkampf als Trump-Double auf.

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The Villages. Ein Autokorso von Anhängern Trumps.

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Orlando. Zully Weidich, eine Anhängerin Trumps, fanatische Gegnerin des Abtreibungsrechts, demonstriert am Straßenrand.

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Benjamin Rivera war ein Leben lang Republikaner, jetzt wählt er Joe Biden.

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Orlando. Vor dem Amway Center, der Basketballarena der Orlando Magic, die bis zum 3. November als Wahllokal dient.

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Der Reverend Nino González predigt in einer evangelikalen Megakirche, Iglesia el Calvario, in Orlando. Fast alle, die sonntags zum Gottesdienst kommen, sind Latinos.

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Bässe wummern, ein Drummer legt sich ins Zeug, ein Duo singt rockige Lieder. Bevor die Musik verklingt, läuft Nino González mit federnden Schritten auf eine Bühne, die eher an eine Theaterkulisse denken lässt als an eine Kirche. Hinter ihm sind Symbole des Wohlstands zu sehen: ein Einfamilienhaus, ein prall gefüllter Geldsack.

Der Pastor predigt das Prosperity-Gospel, das Wohlstandsevangelium, wonach Erfolg und Glaube Hand in Hand gehen. Wer Geld macht, ist automatisch gottesfürchtig. Und umgekehrt: "Hört, es gefällt Gott, wenn unsere Finanzen gedeihen!" Dann holt er einen Immobilienmakler auf die Bühne, der gerade intensiv Wahlkampf macht.

Jesus Martinez unterstützt Donald Trump. Einmal wurde er sogar ins Weiße Haus eingeladen, wo eine Runde informeller Berater dem Präsidenten Tipps für den Umgang mit Latinos gab. Jetzt will er ins Staatenparlament Floridas einziehen, und der Reverend González bittet die Gemeinde, für ihn zu beten. Kein Zweifel: Die Iglesia el Calvario, eine evangelikale Megakirche in Orlando, ist eine Bastion der Roten, wie man die Republikaner nach ihrer Parteifarbe nennt. Ihr Pfarrer stammt aus Puerto Rico, er predigt auf Spanisch, nach drei, vier Sätzen wird ins Englische übersetzt, obwohl das wahrscheinlich gar nicht nötig wäre.

Maske und Faust

Praktisch alle, die mit Abstand auf den gut gepolsterten Bänken sitzen, mit Maske vor Mund und Nase, sind des Spanischen mächtig. Aus Respekt vor dem Virus, scherzt González, fahre er zum Gruß nur noch die geballte Faust aus, statt Leuten die Hand zu geben. "Es kommt mir vor, als hätte ich mehr Boxschläge ausgeteilt als Mike Tyson in seiner ganzen Karriere."

Irgendwann spricht er von den glänzenden finanziellen Siegen in naher Zukunft, auf die man sich schon jetzt einstellen möge. Er klingt jetzt ein bisschen wie Trump, der prophezeit, dass es nach der Talfahrt in der Corona-Krise steil aufwärtsgehen wird – so steil wie noch nie in der Geschichte der USA. Vorausgesetzt, er bleibe im Amt.

Kampf um Latino-Stimmen

Die Latinos: Um kaum eine andere Bevölkerungsgruppe wird heftiger geworben, gerade in Florida, dem Schwergewicht unter den Swing-States. Jeder Vierte der 21 Millionen Floridians hat Wurzeln in Lateinamerika.

Da wären die Kubaner, die nach Fidel Castros Revolution nach Miami flohen und deren ältere Jahrgänge sich klar zu den Roten bekennen, während ihre Enkel für alles offen sind. Da wären Emigranten aus Nicaragua und Venezuela, eher konservativ, weil sie unter linksgerichteten Regimes schlechte Erfahrungen gemacht haben. Da wären die Puerto Ricaner, die zweitgrößte Latino-Gruppe im Sunshine State, mehrheitlich den Demokraten zugeneigt. Einer Umfrage des spanischsprachigen Senders Univision zufolge wollen 52 Prozent der Hispanics in Florida für Joe Biden votieren, 36 Prozent für Donald Trump, die Übrigen schwanken noch. Zum Vergleich: Hillary Clinton kam hier 2016 auf 62 Prozent der Latino-Stimmen.

Gottesdienstbesucher Benjamin Rivera zog aus New York, wohin seine puerto-ricanischen Eltern ausgewandert waren, in den Süden. Er fuhr einen Lastwagen, war sein eigener Herr, bis ihn ein schwerer Unfall stoppte: In Sturmböen krachte ein Baum auf die Fahrerkabine, Rivera erlitt ein Schädeltrauma, seitdem kann er nicht mehr arbeiten. Solange er wähle, betont er, habe er den Roten den Zuschlag gegeben – für ihn die Partei der Wirtschaft und des Glaubens.

Bis sich Trump als miserabler Krisenmanager entpuppte. Nicht erst während der Pandemie, sondern bereits 2017, nachdem der Hurrikan Maria Zerstörung über Puerto Rico gebracht hatte. Statt effizient beim Wiederaufbau zu helfen – die Bewohner der Insel sind amerikanische Staatsbürger –, schnipste er bei einer Stippvisite, wie bei einer Showeinlage, Klopapierrollen in die Menge, in Riveras Augen eine Respektlosigkeit ersten Ranges. Dann suchte er Streit mit Lokalpolitikern, denen er die Schuld an der schleppenden Reparatur der beschädigten Infrastruktur gab.

Erst Maria, dann Corona: Was Rivera dem Präsidenten nicht verzeihen will, ist dessen kalte Art in Situationen, in denen Menschen auf Hilfe angewiesen sind. "Nächstenliebe ist ein Fremdwort für diesen Mann", schimpft der Ex-Trucker. "Er braucht die Bibel nur für Fototermine. Die Trumps kennen nur einen Gott: Geld." Rivera wählt Biden.

Weiter nach Kissimmee, südlich von Orlando, in eine Stadt, deren Einwohnerzahl sich seit 1995 mehr als verdoppelte. In der Nähe der Freizeitparks der Marke Walt Disney gelegen, ist sie ein Magnet für Migranten aus Mittelamerika und der Karibik. Wenige Tage vor dem Votum am 3. November heißt es hier, im Dauerregen am Robert Guevara Center Schlange zu stehen, einem Gemeindezentrum, das als Wahllokal für Frühwähler dient.

Angela Garcia hat Biden den Zuschlag gegeben, auch bei ihr war es eher eine Stimme gegen den Amtsinhaber als für den Herausforderer. Im Mai starb ihr Vater an Covid-19. Er war 63. Hätte Trump schneller gehandelt, um die Gefahr einzudämmen, glaubt sie, wäre José Garcia noch am Leben.

Die Lehrerin, alleinerziehende Mutter von drei Söhnen, war von New Jersey nach Florida übersiedelt, um sich um den Vater zu kümmern. Der befand sich nach einer Lebertransplantation auf dem Weg der Genesung. Dann steckte er sich an. "Unsere Regierung hat versagt", wiederholt Garcia ihren Vorwurf. Deshalb, nur deshalb, wechsle sie jetzt politisch die Seiten.

Angst vor dem Sozialismus

Alex Otaola trägt einen coolen Bart und T-Shirts mit ausgefallenen Mustern. Der 41-Jährige würde gut nach Brooklyn passen, in die Hipster-Hochburg der Ostküste. Tatsächlich lebt er in Miami, wo er es mit seiner Youtube-Show Hola! Ota-Ola zu lokalem Ruhm gebracht hat.

Mit Mitte zwanzig aus Kuba in die USA gekommen, war er anfangs ein Anhänger Barack Obamas, bevor er sich zum glühenden Trump-Fan wandelte. Er begründet es mit dem Linksruck der Demokraten, mit dem Aufstieg der New Yorker Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez, die sich als demokratische Sozialistin definiert. Was die Partei heute anstrebe, sei nichts anderes als der Sozialismus, den er hinter sich gelassen habe.

Otaola will Migranten seiner Generation massenhaft zu Trump lotsen. Davon, ob es ihm gelingt, kann abhängen, wer in Florida das Rennen macht.

Chris Stanley weiß, dass sie in ihrem Umkreis die Trommel für einen Außenseiter rührt. "Mir ist klar, Joe Biden wird in den Villages nicht plötzlich vorn liegen", sagt sie. Die Villages, das sind 60.000 Golfcarts, mehr als 100 Tennisplätze, 96 Freizeitzentren und 106.000 Wähler, von denen 57 Prozent bei den Republikanern und nur 24 Prozent bei den Demokraten eingetragen sind.

Zielgruppe Rentner

Eine Ansammlung von Retortensiedlungen, am Reißbrett entworfen, um älteren Menschen ein Domizil anzubieten, in dem sie unter sich sind. Dass Trump im Rentnerparadies siegen wird, steht im Grunde schon fest. Die Frage ist nur: Mit welchem Vorsprung? In Florida kann die Antwort darauf die ganze Wahl entscheiden.

Stanley glaubt, Zeichen zu erkennen, die ihr Mut machen. Die 56-jährige Beraterin in Sachen Lebensmittelsicherheit leitet den Ortsverein der Demokraten. Neuerdings meldeten sich dort immer öfter Leute von der "anderen Seite". Trumps fahrlässiger Umgang mit dem Virus, beobachtet sie, lasse manche Senioren, die ihm bisher die Treue hielten, auf Distanz gehen.

Aber es gehe um mehr, um den Charakter der Republik. "Es ist eine Schicksalswahl", sagt Stanley. Weitere vier Jahre Trump – das würde die amerikanische Demokratie vielleicht nicht überstehen. "Es mag verrückt klingen, aber so sehe ich es inzwischen." Der Mann benehme sich doch schon jetzt wie ein Diktator. "Er sagt, ich bin der Präsident, ich kann tun und lassen, was ich will. Dabei lernen unsere Kinder schon in der dritten Klasse: Nein, das kannst du nicht."

Im Sunshine State kann Donald Trump auf die Stimme vieler Latinos zählen – dennoch ist sein Sieg in dem größten aller Swing-States noch nicht abgesichert. (Frank Herrmann aus Orlando und Kissimmee, Florida, 29.10.2020)