Wenn ein Ort 50 Meter von einer "Betriebsstätte des Gastgewerbes" entfernt ist, darf dort weiterhin Alkohol konsumiert werden. Doch wo endet die Betriebsstätte?

Foto: Stefanie Ruep

Die Sperrstunde in der Gastronomie gilt seit dem neuerlichen Ansteigen der Corona-Zahlen als einer der Angelpunkte der Regierung. Die Überlegung dahinter: Je länger und später die Menschen beisammensitzen, desto näher lässt der steigende Alkoholpegel sie rücken – feucht-fröhliche Geselligkeit als Nährboden für das Virus.

Weil sich die vielleicht wirksamere Maßnahme, ein Ausschankverbot alkoholischer Getränke, in Österreich politisch kaum durchsetzen ließe, wurde die Sperrstunde auf 1 Uhr festgelegt. Salzburg, Tirol und Vorarlberg haben sie schon im September freiwillig auf 22 Uhr vorgezogen.

Wo sich die Menschentrauben sammeln

Die am Sonntag in Kraft getretene Covid-19-Verordnung soll zudem dem Weiterfeiern vor den Lokalen nach der Sperrstunde vorbeugen. Dazu wurde ein Absatz ergänzt: "Nach der Sperrstunde dürfen im Umkreis von 50 Metern um Betriebsstätten der Gastgewerbe keine alkoholischen Getränke konsumiert werden."

Auf den ersten Blick wirkt das Verbot schlüssig. Bei näherem Nachdenken stellt sich aber die Frage: Wo wird das Lineal angesetzt, um den Umkreis zu messen? Der oberösterreichische Architekt Günter Lassy ist die Optionen durchgegangen und kommt auf der Website trinksicher.at zu dem Schluss, dass der Durchmesser je nach Definition frappierend abweichen kann.

Gelten die 50 Meter ab der Ein- und Ausgangstür eines Lokals – dort also, wo sich die Menschentrauben nach dem Zusperren erwartungsgemäß sammeln? Oder wird vom Mittelpunkt der Einrichtung gemessen, um auch die abzuhalten, die sich bei der Hintertür rausschummeln? Geht man das gesamte Betriebsgebiet samt Gastgarten ab und misst von jedem Punkt aus einen 50-Meter-Puffer in die Ferne? Zieht man einen Kreis um das Grundstück und rechnet ab dort?

Bierfink, Schweizerhaus, Arena

Am Beispiel der Gaststätte Bierfink in Wien-Ottakring zeigt sich etwa, dass der Radius um die Eingangstür mit Abstand nicht so weit in die umliegenden Gassen greift wie der Umkreis um die gesamte Betriebsfläche.

Noch deutlicher fällt die Diskrepanz beim bekannten Schweizerhaus im Wiener Prater aus. Der 50-Meter-Abstand ab dem Haupteingang würde nicht einmal das eigene Grundstück abdecken.

Mäße man die 50 Meter vom Mittelpunkt der Konzert- und Eventlocation Arena in Wien-Erdberg, so könnte man sich weiterhin direkt vor dem Eingang versammeln. Etwas, das bei den anderen Berechnungsarten nicht möglich wäre.

Fallen die Differenzen schon bei einzelnen Lokalen so unterschiedlich aus, so ist im Fall einer Großstadt mit einer hohen Gastro-Dichte kaum mehr nachzuvollziehen, wo das Sperrgebiet der einen Wirtschaft endet und das der nächsten beginnt.

Selbst wenn man sich auf den Umkreis um einen Referenzpunkt an der Eingangstür beschränkt, gibt es etwa in Wien Grätzel, in denen man aus Sperrzonen kaum herauskommt. Dort herrscht de facto ein flächendeckendes öffentliches Alkoholverbot. (Die Daten hinter der folgenden Karte entstammen dem Service Openstreetmap, einer freiwilligen Auflistung also, die nicht abschließend alle Gastronomiebetriebe beinhaltet.)

Das ist einer der Punkte, die auch Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk an der Verordnung kritisiert: "Wenn man in Wien kaum 50 Meter gehen kann, ohne in den Umkreis einer anderen Gaststätte zu kommen, frage ich mich, ob diese Regelung ausreichend durchdacht ist – oder ob sie nicht überschießend ist." Die derzeit geltende Regelung laufe "in eine falsche Richtung, das hätte man anders in den Griff kriegen müssen", sagt der Verfassungsexperte, etwa indem man das Zusammenkommen von Menschengruppen generell regelt.

Funk sieht in der Regelung weitere Unschärfen, etwa "ob das Gaststätten betrifft, die ursprünglich an dem Tag offen hatten und dann geschlossen wurden – oder auch, wenn sie Ruhetag haben?". Man müsse nach der Intention der Regelung fragen. Und da es offenkundig darum gehen sollte, dass nach der Sperrstunde nicht draußen weitergefeiert wird, sei sie in der Form nicht passend, so Funk. (Moritz Leidinger, Michael Matzenberger, Gabriele Scherndl, 29.10.2020)