Auch bei der chaotischen Abreise aus Ischgl sollen sich viele Personen infiziert haben.

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Es war von Anfang an klar, dass es ein schwieriges Unterfangen werden würde, Schadenersatzansprüche gegen die Republik Österreich in der Causa Ischgl geltend machen zu können. Ende September hatte der Verbraucherschutzverein (VSV) vier Amtshaftungsklagen eingebracht. Die Forderungen belaufen sich seither auf 287.000 Euro. Viele weitere Sammelklagen sollen noch folgen. Die Finanzprokuratur, die als Rechtsanwalt der Republik fungiert, bestreitet die Vorwürfe jedoch in bestem Amtsdeutsch vehement und sieht eher Verfehlungen bei den erkrankten Touristen, deren Krankheitsverlauf man jedoch bedauere, wie betont wird. Das geht aus der nun erfolgten Klagebeantwortung hervor, die auch dem STANDARD vorliegt.

In der Beantwortung heißt es etwa, dass ein Allein- oder Mitverschulden der Kläger aufgrund von "Sorglosigkeit" geprüft werden müsse. So wurde argumentiert, dass es zum Zeitpunkt der Ischgl-Reisen bereits nachweislich Fälle in Tirol gegeben hatte und auch im benachbarten Italien bereits besorgniserregende Zustände herrschten. "Dem Kläger mussten die mit dem Covid-19-Virus verbundene epidemiologische Gefahr und die Gefährlichkeit des Covid-19-Virus bekannt gewesen sein" – dennoch habe er sich dazu entschieden, nach Ischgl zu reisen. In Bezug auf die Reisgruppe aus Island, die nach ihrer Rückkehr Anfang März großteils positiv getestet wurde, heißt es, es "war mangels gesicherter Quellen nicht objektivierbar, wann, wie und wo die Infektion innerhalb dieser Gruppe erfolgte".

Keine Schuld bei Behörden

Gleichzeitig wird beinahe jegliche Schuld von der Politik genommen. So heißt es etwa: "Ausdrücklich bestritten wird, dass die zuständigen Behörden es grob fahrlässig bzw. mit bedingtem Vorsatz unterlassen hätten – dies auf Druck von Lobbyisten aus dem Bereich des Tourismus – Schutzmaßnahmen zu treffen und bewusst die Gefährdung von Menschen in Kauf genommen hätten." Laut Finanzprokoratur sei die Erkrankung des Klägers also "ausschließlich auf eine weltweit grassierende Pandemie bzw. auf dessen bedauerlicher Weise auch durch Organe der beklagten Partei nicht vollends zu verhindernde Infektion mit dem Covid-19-Virus zurückzuführen und keinesfalls von Organen der beklagten Partei "in Kauf genommen" oder "mitverursacht" worden oder "sonst wie zu verantworten".

Immer wieder beruft sich die Finanzprokuratur dabei auf eine Medieninformation des Landes Tirol vom 8. März, wonach sich "Personen mit Symptomen (...) an die Gesundheitshotline wenden" sollen. Ungeachtet dessen sei der Kläger aber "weder am 8.3.2020 noch am 9.3.2020 bzw. an den weiteren Tagen danach abgereist". Dass in selbiger Medieninformation der Satz "Eine Übertragung des Coronavirus auf Gäste der Bar (Kitzloch, Anm.) ist aus medizinischer Sicht eher unwahrscheinlich" stand, verschweigen die Rechtsvertreter der Republik jedoch. Spätestens mit 10. März, ab Schließung der Après-Ski-Bars, hätte der Kläger "zum eigenen Gesundheitsschutz heimreisen müssen", so die Finanzprokuratur.

Knackpunkt bleibt die Frage nach der Kausalität, oder wie es die Finanzprokoratur ausdrückt: "Bei einem Tun wird geprüft, ob der Schaden entfällt, wenn man sich die Handlung wegdenkt. Beim Unterlassen wird geprüft, ob der Schaden auch eingetreten wäre, wenn man sich das pflichtgemäße Verhalten hinzudenkt." Sprich: Hätten sich die Kläger auch angesteckt, wenn die Behörden anders oder früher reagiert hätten? Die durchaus schwierige Beweislast liege hier bei den Klägern, so die Finanzprokuratur. Da wird auch gerne mal die Inkubationszeit zwischen zwei und 14 Tagen angeführt, wodurch bei einem siebentägigen Urlaub die Infektion sowohl vor als auch nach Ischgl stattgefunden haben könne. Und ohnehin sei der Kläger eh mit dem Auto abgereist, wo eine Ansteckung unwahrscheinlich sei.

"Täter-Opfer-Umkehr"

Für den VSV ist die Klagebeantwortung eine "ungeheuerliche Täter-Opfer-Umkehr". Der Verein werde "die falschen Darstellungen Punkt für Punkt widerlegen" und habe bereits "weitere Klagen gegen die Republik eingebracht", heißt es in einer Mail an die Medien. Nachdem Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nicht auf den Vorschlag des Vereins, einen runden Tisch einzuberufen, eingegangen sei, "werden wir im Jahr 2021 auch eine Sammelklage mit tausenden KlägerInnen organisieren". Der VSV hatte an Kurz appelliert, eine außergerichtliche Lösung zu finden.

Im Tiroler Ischgl kam es Anfang März zu einer großen Anzahl an Ansteckungen. Knapp 11.000 Fälle sollen sich in den Wintersportort zurückverfolgen lassen. Mehr als 6.000 Tirol-Urlauber aus 45 Staaten hatten sich beim VSV als Geschädigte gemeldet, knapp 1.000 waren bereit, sich Klagen anzuschließen. Die Staatsanwaltschaft Innsbruck leitete wegen des Verdachts der Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten ein Ermittlungsverfahren ein, welches noch andauert. Ein bereits präsentierter Expertenbericht unter dem Vorsitz von Ex-OGH-Vizepräsident Ronald Rohrer sah kein Totalversagen der Behörden und Politik, wohl aber grobe Fehleinschätzungen. So habe etwa Kurz durch seine eilig verkündete Quarantäne, ohne dass diese zum Zeitpunkt Rechtsgültigkeit hatte, für Chaos gesorgt. (faso, APA, 29.10.2020)