Der BER soll am 31. Oktober mit der parallelen Landung zweier Flugzeuge – vom britischen Billigflieger Easyjet und der Lufthansa – offiziell eröffnet werden.

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Berlin – Viele Berliner können es kaum glauben: Der Großflughafen der Hauptstadt wird nun wirklich eröffnet. Am 31. Oktober geht der BER an den Start – rund acht Jahre später als geplant. "Wir deutschen Ingenieure haben uns geschämt", räumte Airportchef Engelbert Lütke Daldrup jüngst ein. Wegen jahrelanger Bauverzögerungen steht das Infrastrukturprojekt als Sinnbild für Fehlplanung, Missmanagement, Aufsichtsversagen und milliardenschwere Verschwendung von Steuergeldern.

Berlin und ganz Deutschland seien dadurch zur Lachnummer geworden, betonte Lütke Daldrup. Deshalb gebe es nun keine große Party. Für Tristesse sorgt zudem die Corona-Krise. Wegen des eingebrochenen Flugverkehrs schreibt der Airport noch auf Jahre hinaus Verluste und benötigt staatliche Hilfen.

40 Millionen Passagiere pro Jahr

Bereits kurz nach dem Mauerfall reifte die Idee eines Flughafens für die Hauptstadtregion. Anfang der 1990er-Jahre suchte die Politik den idealen Standort für einen Neubau, aber vergeblich. Berlin, Brandenburg und der Bund konnten sich erst 1996 einigen, stattdessen den alten DDR-Airport Schönefeld auszubauen. Nach der gescheiterten Beteiligung privater Investoren dauerte es zehn Jahre bis zum ersten Spatenstich am 5. September 2006. Seitdem wurde die Eröffnung wiederholt verschoben. Als peinlicher Höhepunkt gilt der 8. Mai 2012: Nur rund vier Wochen vor der im Juni geplanten Inbetriebnahme zogen die Verantwortlichen überraschend die Reißleine – wegen Mängeln an der Brandschutzanlage. "Kein guter Tag für den Flughafen Berlin Brandenburg", sagte Berlins damaliger Regierender Bürgermeister und Aufsichtsratschef der Flughafengesellschaft, Klaus Wowereit. Die Wende zum Besseren gelang erst 2017, als der studierte Raumplaner Lütke Daldrup den Job übernahm, den Airport fertigzustellen.

Kritiker unkten bisher, der BER sei kurz nach Eröffnung bereits zu klein. Dieses Problem hat sich wegen des Passagiereinbruchs in der Corona-Krise nun in Luft aufgelöst. Derzeit kann der BER mit drei Terminals rund 40 Millionen Passagiere pro Jahr abfertigen. Diese Kapazität könnte nach dem Masterplan BER 2040 auf 55 Millionen ausgebaut werden. Doch seit der Corona-Krise und wegen des Klimawandels scheuen viele Experten vor konkreten Prognosen zur Zukunft des Luftverkehrs zurück. So wird das frisch gebaute BER Terminal 2 mindestens bis zum Frühjahr gleich wieder eingemottet, weil in der Viruspandemie schlicht die Fluggäste fehlen. Fertigten die Airports Tegel und Schönefeld 2019 noch knapp 36 Millionen Passagiere ab, bricht die Zahl laut Lütke Daldrup dieses Jahr wohl auf zehn Millionen ein. Das Vorkrisenniveau sei erst 2024 wieder in Sicht.

Arg strapaziert

Damit ist auch die Planung Makulatur, dass der BER ab 2025 Gewinne abwirft. Stattdessen erhöht sich der angepeilte Finanzierungsbedarf von rund 792 Millionen Euro für die Jahre 2021 bis 2024 durch die Viruskrise "signifikant", wie die Flughafengesellschaft FBB einräumt. Also müssen die Eigentümer Berlin, Brandenburg (je 37 Prozent) und der Bund (26 Prozent) zuschießen, da die FBB in den unsicheren Zeiten der Pandemie derzeit kein Fremdkapital anzapfen kann. Der Airport rechnet für 2020 mit weiteren 300 Millionen Euro an Zuschüssen und Darlehen. Im nächsten Jahr dürfte der zusätzliche Finanzbedarf bei 540 Millionen Euro liegen, wenn die Passagierzahl mit knapp 18 Millionen die Hälfte von 2019 erreicht. Finanzexperten befürchten, dass der Airport noch über Jahre unter der hohen Verschuldung ächzen und lange rote Zahlen schreiben wird.

Dabei hat das Projekt die Kassen der öffentlichen Hand bereits arg strapaziert. Lütke Daldrup nannte die Kostensteigerung von rund 2,7 Milliarden auf knapp sechs Milliarden Euro jüngst nicht akzeptabel. Wegen einer Vergrößerung des Airports zu den ursprünglichen Planungen von 2005 verdreifachten sich die Kosten sogar fast.

Hohn und Spott

Eine Sehnsucht von Flughafenbetreiber, Politik und regionaler Wirtschaft dürfte unerfüllt bleiben: mehr Non-Stop-Langstreckenflüge von Berlin aus in die weite Welt und zurück. Diesen Appell hat Lütke Daldrup wiederholt an Lufthansa und die deutsche Bundesregierung gerichtet. Lufthansa-Chef Carsten Spohr schmetterte dies jüngst im "Tagesspiegel"-Interview nüchtern ab: "Wenn es sich rechnen würde, würden das viele Fluglinien sofort anbieten." So haben die Großflughäfen in Frankfurt und Düsseldorf ein deutlich größeres Einzugsgebiet als Berlin.

Der Anfang des BER sorgt für ein Ende vieler Kalauer. Denn das jahrelange Bauchaos bescherte dem Airport Hohn und Spott. So heißt es etwa in Anlehnung an das berühmte Zitat des früheren DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht kurz vorm Mauerbau 1961: "Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu errichten." Doch die Zeit der Witze ist nun vorbei. Wegen der dramatischen Corona-Folgen haben die Airportbetreiber ohnehin nicht viel zu lachen.

Die wichtigsten Etappen im Überblick:

1996

Die BER-Gesellschafter Berlin, Brandenburg (je 37 Prozent) und der Bund (26 Prozent) verzichten nach jahrelanger Suche nach einem idealen Standort auf einen neuen Flughafen und einigen sich stattdessen auf den Ausbau des DDR-Airports Schönefeld zum Großflughafen Berlin-Brandenburg. Die innerstädtischen Berliner Flughäfen Tegel und Tempelhof sollen geschlossen werden. Geplant ist auch die Beteiligung privater Investoren, die nach mehreren Anläufen 2003 letztlich scheitert.

2004

Nach dem Planfeststellungsbeschluss durch die brandenburgische Luftverkehrsbehörde wird der Bau vorbereitet.

2006

Das deutsche Bundesverwaltungsgericht gibt grünes Licht für den Ausbau. Am 5. September kommt es zum ersten Spatenstich mit geplanter Eröffnung im Oktober 2011.

2008

Der vor allem durch die Luftbrücke 1948/49 bekannt gewordene Flughafen Berlin-Tempelhof schließt am 31. Oktober.

2010

Der BER-Eröffnungstermin 30. Oktober 2011 wird auf den 3. Juni 2012 verschoben. Grund sind unter anderem Verzögerungen bei der technischen Gebäudeausstattung.

2012

Am 8. Mai wird die für den 3. Juni 2012 geplante Eröffnung überraschend abgesagt und mit Mängeln an der Brandschutzanlage begründet. "Kein guter Tag für den Flughafen Berlin Brandenburg", sagt Berlins Regierender Bürgermeister und Aufsichtsratschef der Flughafengesellschaft, Klaus Wowereit. Zunächst gehen die Verantwortlichen davon aus, dass der Airport nach den Sommerferien seine Pforten öffnen kann. Nach einer Bestandsaufnahme des neuen Technikchefs Horst Amann am 7. September gilt der 27. Oktober 2013 als neuer Eröffnungstermin.

2013

Wegen Problemen an der Brandschutzanlage wird die Eröffnung erneut verschoben.

2014

Die Geschäftsführung nennt am 12. Dezember 2014 das zweite Halbjahr 2017 als neuen Terminkorridor zur Inbetriebnahme des BER.

2017

Die Flughafen-Betreibergesellschaft FBB teilt am 21. Jänner mit, dass der Flughafen BER nicht wie geplant 2017 in Betrieb gehen kann. Erst am 15. Dezember wird als neuer Termin Oktober 2020 genannt. Berlins Flughafenkoordinator und Staatssekretär Engelbert Lütke Daldrup übernimmt als Chef der FBB den Steuerknüppel, um den Bau zu Ende zu bringen.

2019

Am 29. November wird der Eröffnungstermin auf den 31. Oktober 2020 festgelegt.

2020

Die zuständige Bauaufsichtsbehörde bestätigt am 28. April die Fertigstellung des Terminala 1. Ende April beginnt der Probebetrieb mit Flughafenmitarbeitern, der Anfang Juli auf rund 10.000 Freiwillige ausgeweitet wird. Der BER soll am 31. Oktober mit der parallelen Landung zweier Flugzeuge – vom britischen Billigflieger Easyjet und der Lufthansa – offiziell eröffnet werden. Am 8. November soll der vor allem bei Westberlinern beliebte innerstädtische Airport Tegel schließen. (APA, Reuters, 29.10.2020)