Die Kometenoberfläche aus der Sicht des Landers Philae. Bevor er hier zur Ruhe kam, sprang er herum wie ein Flummi.
Foto: AFP/ESA

Komet 67P/Tschurjumow-Gerassimenko, besser bekannt als "Tschuri", hat eine unerwartet softe Seite offenbart: In seinem Inneren sei er "weicher als Milchschaum auf einem Cappuccino", zog Laurence O'Rourke von der Europäischen Weltraumorganisation ESA einen anschaulichen Vergleich. Diese Erkenntnis ist die Folge der endlich von Erfolg gekrönten Suche nach dem zweiten Aufsetzpunkt des Kometenlanders Philae.

Hintergrund

Die ESA-Sonde Rosetta hatte den Kometen 2014 erreicht und das kühlschrankgroße Forschungslabor Philae zu seiner Oberfläche geschickt. Doch die Landung verlief holprig: Philae prallte vom ursprünglichen Aufsetzpunkt Agilkia ab und flog zunächst zwei Stunden lang weiter. Dabei kollidierte er mit dem Rand einer Klippe und setzte kurz ein zweites Mal an einer jahrelang nicht eruierbaren Stelle auf. Schließlich stoppte Philae in einer dunklen Spalte des Kometen und konnte erst 22 Monate später durch die Auswertung der von Rosetta aufgenommenen Bilder wieder entdeckt werden.

Das Team um O'Rourke, der bereits bei der ursprünglichen Suche nach Philae entscheidend mitgearbeitet hat, nutzte nun Daten von Instrumenten Rosettas wie auch Philaes, um endlich den bisher unbekannten zweiten Aufsetzpunkt zu finden. "Die an Philae angebrachten Sensoren zeigten an, dass der Lander sich in die Oberfläche hineingegraben und so höchstwahrscheinlich das darunter liegende, urzeitliche Eis freigelegt hatte", so der Forscher. O'Rourke verpasste der Stelle den Spitznamen "Skull top ridge", weil sie ihn in der Draufsicht an einen Totenschädel erinnerte.

nature video

Erfolg hatten die Forscher vor allem durch die Nutzung der Magnetometer-Daten der beiden Sonden. Sie zeigten damit, dass Philae fast zwei Minuten am zweiten Aufsetzpunkt verbrachte und bei mindestens vier unterschiedliche Kontakten die Kometenoberfläche aufwühlte. Auf den Bildern zeigt sich ein besonders deutlicher Abdruck, der entstand, als Philaes Oberseite 25 Zentimeter tief in das Eis neben einer Spalte einsank und dabei erkennbare Spuren des Bohrers und der Seiten der Sonde hinterließ. Der zweite Aufsetzpunkt liegt nur 30 Meter von dem Ort entfernt, an dem Philae letztendlich zum Stillstand kam.

Zur Entdeckung des zweiten Aufsetzpunktes und damit auch zu der in "Nature" veröffentlichten Studie trugen auch Gerhard Paar und Maria del Pilar Caballo Perucha vom Institut für Informations- und Kommunikationstechnologien der Forschungsgesellschaft Joannum Research bei. Sie haben sich mit 3D-Rekonstruktionen der relevanten Oberflächenregionen des Kometen beschäftigt und mit Unterstützung des Wiener Zentrums für virtual reality und visualisierung (VRVis) ein Video mit einem simulierten Überflug über die betroffene Region erstellt.

Uralte Materie

Die Identifizierung des Aufsetzpunktes öffnete den Forschern gewissermaßen ein Fenster in die fernste Vergangenheit. Indem Philae die Kometenoberfläche aufkratzte, legte er nämlich Materie frei, die seit 4,5 Milliarden Jahren keinen Weltraumverwitterungsprozessen durch kosmische Strahlung oder Mikrometeoriten ausgesetzt war – also seit der Anfangszeit unseres Sonnensystems.

Zum Zeitpunkt der Landung lagen große Teile des Eises im Schatten, aber auf Monate später aufgenommenen Bildern schien die Sonne direkt auf das Gebiet des zweiten Aufschlags, das hell strahlte. Die Analyse der Bilder und Daten weiterer Instrumente bestätigte, dass es sich bei der hellen Region um Wassereis auf einer Fläche von etwa 3,5 Quadratmetern handelte und dieses urzeitliche, Milliarden von Jahren alte Eis-Staub-Gemisch außergewöhnlich weich ist; milchschaumweich offenbar.

Die Wissenschafter konnten zudem die Porosität des Felsbrockens abschätzen, auf dem Philae aufgeschlagen war, also wie viel Hohlraum sich zwischen den eisigen Staubkörnern im Inneren befindet. Diese dürfte etwa 75 Prozent betragen, was dem Wert entspricht, der zuvor in einer anderen Studie für den gesamten Kometen gemessen worden war. Die Resultate sind wichtig für zukünftige Landemissionen: Sie sollen für künftige Sonden bei der Entwicklung von Landemechanismen und dem Verständnis mechanischer Prozesse bei der Probenentnahme helfen. (red, APA, 31. 10. 2020)