Die bisherige Verteilung von Stadtratssitzen in Niederösterreich steht rechtlich auf mehr als wackeligen Beinen. Das soll sich nun ändern.

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Groß Gerungs – Kleine Stadt, großer Effekt: Rund 5.000 Menschen leben in Groß Gerungs im Bezirk Zwettl. Aber weil sich der Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit der Politik der Gemeinde auseinandergesetzt hat, geht von dort wohl eine Reform aus, die ganz Niederösterreich betrifft. Der VfGH hat nämlich die Besetzung der Stadträte als ungültig aufgehoben.

Was ist passiert? Die ÖVP hat am 26. Jänner 2020 mit 68 Prozent der Stimmen die Gemeinderatswahl in Groß Gerungs gewonnen. So viel steht außer Streit. In weiterer Folge wurden die fünf Stadträte gewählt – und hier spießt es sich: Welcher Partei stehen wie viele Sitze zu? Die ÖVP hat im Jänner alle fünf für sich beansprucht; der VfGH hat nun aber geurteilt, dass SPÖ und FPÖ je einen bekommen müssen.

Das vom VfGH beanspruchte Vorgehen ist allerdings nicht das Ergebnis schwarzer Allmachtsfantasien, sondern gängige Praxis. Denn solche Verteilungen werden üblicherweise – und in allen niederösterreichischen Städten – über das D'Hondtsche Verfahren erreicht.

Eine sehr starke und drei recht schwache Parteien

Dabei werden die erreichten Stimmen aller Parteien durch zwei, drei, vier, fünf und so weiter dividiert. In Groß Gerungs waren fünf Sitze zu vergeben, also gilt die fünftgrößte der niedergeschriebenen Zahlen als Wahlzahl. Das alles spielte sich in Groß Gerungs ausschließlich in der ÖVP-Spalte ab – deswegen hat die Volkspartei sämtliche Sitze bekommen. Wären die 32 Prozent der nichtschwarzen Stimmen nicht einigermaßen gleich auf drei andere Parteien verteilt gewesen, hätte das anders ausgeschaut.

Die Freiheitlichen und die Bürgerliste Germs haben aber festgestellt, dass das D'Hondtsche Verfahren in der niederösterreichischen Gemeinderatswahlordnung nur für die Verteilung der Gemeinderatssitze, nicht aber für die Verteilung der Stadtratssitze explizit festgeschrieben ist. Und beeinspruchten die Wahl beim VfGH.

Der gab den beiden Parteien recht:

Als Verhältnis der Parteisummen kann nur der jeweilige Anteil der Wahlparteien an der Gesamtheit der bei der Gemeinderatswahl abgegebenen gültigen Stimmen verstanden werden. Folglich hat jede Partei Anspruch auf so viele Mandate, wie es ihrem Anteil verhältnismäßig entspricht (Wahlquote). Bei der Berechnung einer Wahlquote auftretende Dezimalzahlen sind nach § 121 NÖ GO 1973, wenn die Dezimalstelle 0,5 übersteigt, auf die nächste ganze Zahl aufzurunden und ansonsten auf die nächste ganze Zahl abzurunden.

Das bedeutet, dass FPÖ und SPÖ Anspruch auf je einen Sitz im Stadtrat haben, Aufrundung sei Dank.

ÖVP will D'Hondt festschreiben

Die ÖVP will nun eine klare gesetzliche Grundlage für die Anwendung des D'Hondtschen Verfahrens schaffen, wie der ORF berichtet. Künftig sollen alle Stadträte und geschäftsführenden Gemeinderäte in Niederösterreich rechtmäßig nach diesem System bestimmt werden.

Abgesehen davon hat das VfGH-Erkenntnis aber nur Auswirkungen auf Groß Gerungs, weil das Ergebnis nur dort beeinsprucht wurde. Dort regieren jetzt bis zur nächsten Gemeinderatswahl auch SPÖ und FPÖ mit. Alle anderen Gemeinden und Städte bleiben davon unberührt – auch wenn dort immer schon mit D'Hondt gerechnet wurde. (Sebastian Fellner, 30.10.2020)