Tausende Menschen gingen am Mittwoch in Berlin auf die Straße und forderten umfassendere Hilfe. Kulturverbände warnten vor weitgehendem Kulturverbot.

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Es herrscht Alarmstufe Rot in der Kultur-und Veranstaltungsbranche: Unter dem Motto #OnFire gingen am Mittwoch mehrere Tausend Menschen in Berlin auf die Straße, um gegen Schließungen und für weitreichendere staatliche Unterstützung zu protestieren. "Die Kultur stirbt" oder "Kultur ist systemrelevant" stand auf den Plakaten. Die Branche befindet sich seit Monaten in einer prekären Lage – die Aussichten sind düster.

Denn ab Montag müssen Freizeiteinrichtungen in ganz Deutschland bis Ende November schließen, um höhere Infektionszahlen zu verhindern. Dazu zählen neben Freizeitparks, Fitnessstudios und Bordellen auch Theater, Opern-, Konzerthäuser, Museen und Kinos.

Vor einem "flächendeckenden Kulturverbot" hatten Kulturverbände schon vorab gewarnt. Die Kritik aus der Branche ist scharf: Ein weiterer Lockdown wird fatale Folgen für die gesamte Kulturindustrie haben. Betroffene bettelten förmlich, Häuser offenlassen zu können. Seit Monaten habe man Hygienekonzepte erarbeitet, es hätte keine Infektions-Hotspots gegeben, so die Argumentation.

Es ist ein Kernproblem

Der Münchner Opernintendant Nikolaus Bachler nannte die Theaterschließungen ein falsches Signal. Er hoffe, dass wenigstens geprobt werden dürfe. Und die neue Chefin der Münchner Kammerspiele, Barbara Mundel, wirft der Politik "komplette Willkür" vor.

Bekannte Vertreter des Kultursektors forderten in einem offenen Brief vor allem, privatwirtschaftlichen Kulturstätten finanziell zu helfen. "Helfen Sie jetzt! Sonst werden wir in ein paar Monaten kulturell ein ärmeres Land sein. Vieles von dem, was dann verschwindet, wird nicht wiederkommen."

Auch der Jazzmusiker Till Brönner meldete sich mit einem wütenden Video auf sozialen Medien zu Wort. Er rief die Branche selbst auf, lauter zu werden. Es könne nicht sein, dass ein Wirtschaftszweig mit einem jährlichen Umsatz von über 130 Milliarden Euro so untergehe. Es handle sich um kein Luxus-, sondern ein Kernproblem, wenn ein ganzer Berufszweig ruhiggestellt werde, so der Musiker.

Wieder die Ersten

Doch nicht nur in Deutschland regt sich Kritik aus dem Kultursektor. In Italien, wo seit Montag alle Kinos, Theater und Konzerthallen vorübergehend geschlossen wurden, hagelt es Kritik. Mehrere Künstlerinnen protestierten gegen die Maßnahmen, der Stardirigenten Riccardo Muti appellierte an Premier Giuseppe Conte. Dieser nannte die Verschärfung "schmerzhaft", aber notwendig.

In der Schweiz erlauben neue Maßnahmen zwar, Einrichtungen offenzulassen. Das Publikum muss aber auf 50 Personen beschränkt werden. Man spricht von "Ohnmachtsgefühlen" und quasi einem "Berufsverbot".

In Paris gab es bereits Mitte Oktober Proteste gegen die Sperrstunde, die vor allem jene Einrichtungen trifft, die abends geöffnet haben. Seit Mittwoch gelten hier ebenso neue Maßnahmen. Neben der Gastro müssen auch Kultureinrichtungen gänzlich dichtmachen.

In Europa kommen täglich neue Einschränkungen hinzu, und wie auch im März ist es der Kultur- und Veranstaltungsbereich, der als Erstes betroffen ist. Ob das auch in Österreich der Fall sein wird, soll bis Samstag entschieden werden. Erste Stimmen fordern aber bereits: Bitte nicht zusperren! (Katharina Rustler, 29.10.2020)