Als wir noch Kinder waren, lag das Abenteuer direkt vor der Haustür. Es lag in der Au, am Fluss, im Wald und auf dem Berg. Und es lag auf allen Ab- und Umwegen des Schulwegs. Wir errichteten Baumhäuser, die nie richtig fertig wurden. Wir bauten Flöße, mit denen wir nach wenigen Metern Schiffbruch erlitten. Wir hantierten mit selbstgeschnitzem Pfeil und Bogen und nicht ganz ungefährlichen Steinschleudern. Und wenn der Sommer sehr warm war, gab es fast jeden Abend Lagerfeuer. Meine Lichtgestalten hießen Robinson Crusoe, Huckleberry Finn, Winnetou und Indiana Jones. Auch von Pippi Langstrumpf, dem stärksten Mädchen der Welt, ließ sich einiges lernen.

Und irgendwann ist der ganze Zauber vorbei. Man wird erwachsen, ergreift einen Beruf, gründet vielleicht eine Familie. Und ertappt sich immer öfter dabei, dass die einzige Zeit an der frischen Luft, die einem noch bleibt, die zwischen Haus- und Bürotür ist. Oder, wie aktuell, die zwischen Homeoffice und Supermarkt.

Zuerst hoch hinauf und dann über den Fluss zurück: ein Packraft-Trip an der Donau.
Foto: Weiss

Muss das so sein? Nein, habe ich mir gedacht und vor ein paar Jahren das Outdoor-Erlebnis wieder stärker gesucht. Nicht aber laufend oder radelnd, wo die Natur oft nur Mittel zum sportlichen Zweck ist, sondern gehend, wo das Spüren der Natur selbst Sinn und Zweck bekommt. Zu Robinson und Indiana waren mittlerweile auch Namen wie Henry David Thoreau, Jean-Jacques Rousseau, Simone de Beauvoir oder die Maler der Romantik gestoßen. Sie alle empfehlen zum Ausgleich von Körper und Geist eines: das Wandern.

Mikroabenteuer: Dem Alltag dort entfliehen, wo man lebt

Dass man dem kindlichen Abenteuererlebnis aber sogar noch näherkommen kann, dämmerte mir, als ich zum ersten Mal vom Begriff "Mikroabenteuer" las. Der Brite Alastair Humphreys prägte und propagierte diesen in seinem 2014 erschienenen Buch Microadventures – Local Discoveries for Great Escapes. Die Philosophie dahinter: Das Abenteuer nicht in der weit entfernten Wildnis suchen, sondern dort, wo man lebt. Eine Idee, die durch Corona unerwarteten Auftrieb erfährt.

Statt der Weltreise kann es die Rundreise durch ein Bundesland oder alle Landeshauptstädte sein, statt des Surfkurses in Portugal die Kajakschule an der steirischen Salza. Man kann sich Mutproben stellen wie eine Nacht allein im Wald zu verbringen. Oder beim Geocachen – der Schatzsuche per GPS-App – entlegene Winkel seiner Stadt entdecken und dabei Rätsel lösen. Alastair Humphreys empfiehlt sogar das 5-to-9-adventure, das die Freizeit auch wochentags aktiver gestalten soll: nach Feierabend zur Übernachtung auf einen Hügel am Stadtrand mit Blick auf das Lichtermeer, am nächsten Morgen zurück an die Arbeit. Das ist sich zugegeben bei mir noch nie ausgegangen.

Packrafting: Ein Boot für den Wanderrucksack

Stattdessen haben es mir zuletzt vor allem kombinierte Ein- bis Dreitagestouren angetan, bei denen ich Wandern mit Paddeln und Nächten in der freien Natur verbinden kann. Als wichtigstes Utensil dafür erwies sich neben einem geräumigen Trekkingrucksack ein sogenanntes Packraft. Dabei handelt es sich um ein kleines Ein- bis Zwei-Personen-Luftboot, das dank geringem Gewicht und Packmaß problemlos über Hadscher im zweistelligen Kilometerbereich im Rucksack getragen werden kann. Aufgeblasen wird es ohne Pumpe mit einem Blasesack, dank robustem Material hält es nahezu jedem Stoß stand und ist mit Freizeitbadebooten aus dem Supermarkt nicht zu vergleichen.

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Die teureren Varianten bestehen aus ultraleichtem, aber superfestem Kunststoff wie Polyurethan. Wer aber nicht zwischen 700 und 1700 Euro für ein solches Boot hinlegen will, bekommt im Internet auch günstigere Modelle um 200 Euro. Die wiegen dann zwar nicht drei Kilo, sondern hängen sich schon einmal mit sieben Kilo an die Schultern, dank extradickem PVC-Stoff sind sie aber ähnlich robust. Die Möglichkeiten, die diese auch fürs Wildwasser geeigneten Boote für kombinierte Touren bieten, sind einzigartig: nach der Wanderung durch bergiges Waldgebiet direkt anschließend am Fluss zurückpaddeln; zu Fuß einen See umrunden und je nach Lust und Laune ins Wasser wechseln; das Boot auf die Radtour oder zum Inlineskating (nennt sich "Rollerboating") mitnehmen; Flüsse überqueren und auf der anderen Seite weiterwandern. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Bushcrafting: Feuer machen, Knoten binden, unter freiem Himmel schlafen

Zum wirklichen Abenteuer werden solche Touren für mich aber erst, wenn man auch Elemente des "Bushcrafting" miteinbezieht. Übersetzen ließe sich dieser Outdoor-Trend vielleicht als Pfadfinderei für Erwachsene. Es geht um Methoden des Feuermachens, um Lagerbau oder Knotenbinden, ums Kochen, Schlafen und um Überlebenstechniken in freier Wildbahn. Auch der Umgang mit der nötigen Ausrüstung – mit Messer, Axt, Feuerstahl, Zelt, Schlafsack und Isomatte – will geübt sein. Tier- und Pflanzenwelt werden geschont, ein Lager immer so zurückgelassen, wie man es vorgefunden hat – das ist Ehrensache unter Bushcraftern.

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Was man dabei lernt, ist Selbstorganisation: Habe ich genug Wasser, um durch den Tag zu kommen und klar denken zu können? Bleibt noch Zeit, Holz zu sammeln, bevor die Sonne untergeht? Und wo ist eigentlich das Handtuch geblieben, das beim Saubermachen der Töpfe und beim Zähneputzen doch recht nützlich wäre?

Vom Perfektionierungsdruck, der uns heute oft in der Arbeitswelt begegnet, unterscheidet sich diese Erfahrung aber erheblich. Es geht immer auch um Improvisation, das kurzentschlossene Abändern vorgefasster Pläne, das Fallenlassen in die Erkenntnis, dass die Natur letztlich unberechenbar bleibt, dass wir besser mit ihr als gegen sie sind. Und wie schön sie doch ist, gerade im Wechsel der Tages- und Jahreszeiten.

Das Abenteuer liegt direkt vor unserer Haustür, wir haben es nur vergessen. Zeit, sich zu erinnern. (Stefan Weiss, 2.11.2020)