Der in den USA entstandene QAnon-Mythos ist mittlerweile international verbreitet und beschäftigt nun auch hierzulande kritische Beobachter und Beobachterinnen der Verschwörungsszene. Während die meisten Analysen bisher vor allem auf dessen religiösen Charakter eingehen, zeigt eine faschismustheoretische Lesart des Phänomens sowohl Kontinuität also auch Erneuerungen in Form eines digitalen Faschismus. Laut einer kürzlich erschienenen Studie des Institute for Strategic Dialogue (ISD) glauben etwa sieben Prozent der US-Bevölkerung an den Mythos, wobei ein Großteil noch nie von QAnon gehört hat. In Anbetracht dessen sollte das Phänomen kritisch beobachtet werden, jedoch auch nicht fälschlich größer gemacht werden. Denn die Inszenierung als Masse oder als schweigende Mehrheit ist Teil des faschistischen Stils.

Der QAnon-Mythos folgt einer üblichen Narration für Verschwörungserzählungen: ein vermeintlicher Insider packt aus, um brandheiße geheime Informationen mit der Öffentlichkeit zu teilen. Der Name selbst steht dabei für Q, wie die höchste Sicherheitsstufe in US-Militär, und Anon, für anonym. Als vermeintlicher Whistleblower im US-Militär müsse dieser, um nicht enttarnt zu werden, seine Botschaften absichtlich kryptisch verfassen. Seine geheimnisvollen Sätze gibt er auf szenetypischen Imageboards wie 4Chan, 8Chan und dessen Nachfolge-Portalen kund. Der Zugriff auf diese Seiten ist dabei nur mittels zusätzlicher Software über das "Darknet" möglich. Hier konkurrierte der QAnon-Account von Beginn an mit anderen vermeintlichen Insidern wie FBIAnon, CIAanon oder HLIAnon. Das Prinzip der "Anon"-Serie funktioniert bei allen auf dieselbe Weise: die kryptischen Botschaften sollten Stoff für Spekulation bieten und zur kollektiven Verschwörungsmythenbildung einladen.

Besorgniserregend: QAnon gibt sich wahlkämpferisch für Trump.
Foto: Reuter/ELIJAH NOUVELAGE

Auch die aufgegriffenen Erzählungen sind nicht sonderlich innovativ. Die Anhänger und Anhängerinnen glauben an einen verdeckten Kampf gegen eine satanistische, pädophile Elite, welche Kinder entführe und die US-Regierung, Konzerne und die Medien kontrolliere. Was zunächst einmal äußerst absurd klingt, ist aus dem Standardrepertoire zuvor existierender Verschwörungsmythen wie "Pizzagate" und reiht sich in eine lange Geschichte von antisemitischen Verschwörungsphantasien ein. Relativ neu jedoch, wenn auch nicht exklusiv, ist die Vorstellung eines "Deep States". Die Erzählung des "Deep States" verortet die Macht nicht beim Präsidenten, aktuell Donald Trump, sondern bei vermeintlich im verborgenen agierenden Personen wie Hillary Clinton. Damit geschieht eine Umkehr, der letzten US-Wahlen in welcher die Demokratische Partei zur imaginierten Übermacht als Elite wird. Trump selbst, der eigentliche Machthaber in den USA, erscheint dabei als Verbündeter von Q und kämpfe als Underdog gegen einen hinterhältigen "Deep State".

Profitieren von dem Hype

Während viele Verschwörungsphantasien mit derart abstrusen Inhalten es nicht aus den Nischen des Internets schaffen, funktioniert der QAnon-Mythos wie ein Community Building Projekt, was ihm eine breite Popularität beschert. Eine Recherche des Nachrichtensenders NBC zeigt, wie sich von Beginn an eine kleine Gruppe darum bemühte, den Mythos aus dem Darknet in die Öffentlichkeit zu transportieren. Statt auf den relativ isolierten Imageboards zu bleiben, wurde das "Calm before the Storm"-Reddit-Forum schnell zum Hauptumschlagplatz der QMythen. Von dort aus breiteten sich die Inhalte nun sukzessiv auf Social Media und Youtube aus. Spätestens ab diesem Zeitpunkt waren auch Tür und Tor für die Kommerzialisierung geöffnet. Diskussionen über Verschwörungsmythen produzieren ausufernde Debatten und hohe Interaktionszahlen, was gerade von Social Media-Algorithmen belohnt wird. Hohe Klickzahlen gepaart mit Spendenaufrufen, Werbeschaltungen und dem Verkauf von einem vielfältigen Merchandise-Angebot machten den Verschwörungsmythos auch finanziell schnell lukrativ. Dabei dienen die vielen Produkte auch zur szeneinternen Wiedererkennung und stärken somit das Gemeinschaftsgefühl.  

Online Schnitzeljagd

Ein wichtiger Faktor ist außerdem der Mechanismus, wie die kollektive Mythenbildung organisiert ist. An der Spitze steht der vermeintliche Informant Q, der fast täglich kryptische Botschaften wie zum Beispiel „Joe 30330 Arbitrary? What is 2020 [current year] divided by 30330? Symbolism will be their downfall. Q” absetzt. Selbst ernannte „Q Researcher“ bieten darauf hin auf ihren Kanälen und Foren verschiedenste Deutungen an und spinnen die als QDrops bezeichneten Postings in bestehende Verschwörungserzählungen ein. Dabei entsteht ein gigantisches Netz aus Verweisen in denen aktuelle Ereignisse verschwörerisch umgedeutet werden. Gerade die Zugänglichkeit zu vermeintlich geheimen Daten ist reizvoll für das, was der Medientheoretiker John David Seidler als paranoisches Decodieren beschreibt. Es ist ein lustvoller Akt, in dem aus dem kryptischen Informationsfluss die eigene Verschwörungsphantasie beflügelt wird. In diesem „Recherche-Prozess“ geschieht bei den Verschwörungsgläubigen eine Aufwertung ihrer selbst, sie werden zu „Wissenden“ in Abgrenzung zur vermeintlich „schlafenden“ Mehrheit. Anstelle des bloßen Empfangens von Verschwörungsbotschaften ist jeder und jede eingeladen, selbst Inhalte zu produzieren.

Mittlerweile hat sich eine Form der Arbeitsteilung herausgebildet: Für neu Interessierte (Newbies) werden FAQ und Einstiegsvideos produziert. Komplexe Websites portieren die Posts von Q und strukturieren die Diskussion über ihre Deutung und rund um die Uhr werden auf livestreams neue „Researcher“ vorgestellt, die ihre Erklärungen präsentieren. In Telegram Channels wiederum halten sich die Mitglieder auf aktuellem Stand und koordinieren ihr Vorgehen auf anderen Social-Media Plattformen. Mit dieser Dynamik bewegt sich der Mythos ebenfalls raus aus der kleinen Zielgruppe der rechtsextremen, männerdominierten „Manosphere“. Stattdessen sind in dieser Community durchaus auch Frauen präsent. Eigene Bezeichnungen wie etwa „QAmoms“ oder „Pastel Q“ bieten hierfür ein Identifikationsangebot, dabei wird vor allem mit einem stolzen Elternbild mobilisiert, das gegen den vermeintlichen pädophilen Kinderhändlerring der Eliten vorgehe.

Digitaler Faschismus

Viele journalistische Berichte begreifen den ideologischen Kern von QAnon als eine Art religiöse Sekte. Geht man jedoch genauer auf den Inhalt und die Rhetorik ein, erkennt man faschistische Muster, die lediglich in neue, digitale Gewänder gehüllt sind. Dabei ist die Bezeichnung von QAnon als faschistisch nicht im Sinne eines Kampfbegriffes gemeint, um die Bewegung zu delegitimieren. Viel eher schafft die Bezeichnung einen analytischen Mehrwert und macht Parallelen zu vorherigen Faschismen sichtbar.

Die Theorie des Faschismusforschers Roger Griffin bietet sich aus zwei Gründen zur Analyse von QAnonan. Erstens ordnet er die beobachteten religiösen Aspekte in die Faschismustheorie ein. Sowohl Mussolini als auch Hitler nutzten Rituale im religiösen Stil, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Ein Beispiel ist der "Tag des Glaubens" (Giornata della fede), an dem Ehepaare ihre Eheringe rituell an Mussolini spenden sollten, für die Wiedererrichtung eines "Römischen Imperiums". Der Faschismus präsentiert sich also auch historisch oft als eine Art politischer Religion. Zweitens formuliert Griffin ein definitorisches "faschistisches Minimum", ein kleinster gemeinsamer Nenner der grundlegenden Aspekte, die sich in allen historischen und neueren Formen des Faschismus wiederfinden. Ausgangspunkt der faschistischen Ideologie ist ihm zufolge der Glaube an einen Ultranationalismus. Dabei wird die eigene Nation als ein ehemals mächtiger und gesunder Organismus beschrieben, der nun durch böse Kräfte in eine Krise getrieben würde. In der Darstellung und Rhetorik wird die Vergangenheit dabei mystifiziert als eine großartige Ära, die nun durch eine faschistische Rebellion wie Phönix aus der Asche neu geboren werden solle. Für diese ehrenhafte Neugeburt der Nation bietet der Faschismus dann eine vermeintliche Antwort und Handlungsanweisung.

Rassistische und antisemitische Feindbilder

Das Markenzeichen des Faschismus ist, so könnte man sagen, ein selbstbeschworenes Bedrohungsszenario der Nation, das nun abgewendet werden müsste. Betrachtet man nur einige der meistverbreiteten Videos der QAnon-Bewegung wird diese Rhetorik deutlich. Das Video "From dark to light" etwa beginnt mit der Beschreibung eines nationalen Idylls von einer Zeit in der "Stärke, Ehre und das Salutieren zur USA-Flagge noch eine Bedeutung hatte". "Es war eine Zeit, in der die Menschen noch über ihre Zukunft entschieden und ihre Stimmen gehört wurden." Unterlegt ist das Video mit glücklichen Kindern vor einer USA-Fahne und verschwommenen Kameraeinstellung, die an Traumsequenzen erinnern. Danach wird der Niedergang ebenjenes nationalen Sehnsuchtsortes beschrieben, ein betrogenes und geschwächtes "Wir" wird gegen eine bösartige Elite konstruiert: "Sie beschuldigten uns für die Zerstörung der Umwelt, für Armut, für Sklaverei, was du lernen musst, es waren immer schon 'Sie', eine kolossale, globale, kriminelle Klasse." Angespielt wird dabei an bestehende antisemitische Verschwörungserzählungen. Indem beispielsweise immer wieder das Bild von George Soros als Projektionsfläche des jüdischen Milliardärs eingeblendet wird. Auch die "Black Lives Matter"-Proteste und der Klimawandel werden als inszeniert dargestellt, um Amerika zu spalten. In dem Bedrohungsszenario werden damit sowohl rassistische als auch antisemitische Feindbilder konstruiert.

Anknüpfend an den "Pizzagate-Mythos", welcher im Wahlkampf 2016 Hillary Clinton als Teil eines pädophilen Netzwerks diffamierte, entstand der QAnon-Mythos mit dem Einzug von Donald Trump ins Weiße Haus. Das QAnon-Bedrohungsnarrativ behauptet, "die Wahl von Hillary Clinton hätte zu nicht weniger als einem globalen Atomkrieg geführt". Verhindert worden sei dies wie ein Wunder durch das Handeln von "tapferen Patrioten" im Militärapparat der USA, welche Donald Trump für den Kampf gegen den "Deep State" vorbereitet hätten. Die Lösung aller Probleme wird in weiteren Videos genauer präsentiert und wird simpel als "Der PLAN" bezeichnet. Denn es reiche nicht aus, sich zurückzulehnen, sondern man selbst müsse Teil "des Planes" werden: "Wir werden selbst zu dem PLAN, wenn wir uns dazu entscheiden, Globalismus abzulehnen […]. Es ist Zeit, die Medien abzuschalten, folge deinen Instinkten, traue dir selbst, SEI DER PLAN! Gott segne Amerika und die ganze Welt."

Teil des dadurch heraufbeschworenen Aktivismus ist die zuvor beschriebene digitale Schnitzeljagd, in der die Botschaften Qs arbeitsteilig verbreitet werden - dieser kollektive "Informationskrieg" wird als das "Große Erwachen" bezeichnet. Der explizite Aufruf zum Kampf "Wir kämpfen! Wir denken für uns selbst! Dark to light. Wir zeigen dir eine Neue Welt!" hat in den USA schon mehrfach zu gewaltsamen Vorfällen geführt und auch bei den Attentätern von Hanau und Halle in Deutschland gibt es ideologische Überschneidungen zum QAnon-Verschwörungsmythos. Gerade der Aufruf zur Tat für die Schaffung einer neuen Welt gepaart mit der Entmenschlichung von politischen Gegnern und Gegnerinnen folgt der Logik des Faschismus. Auch die Nutzung neuer Kommunikationsmöglichkeiten war für den Faschismus kennzeichnend, so wundert es kaum, dass sich Neuauflagen des Faschismus digital organisieren. Die neuerliche Sperrung von QAnon-Accounts auf gängigen Social-Media-Kanälen ist daher ein wichtiger Schritt, die Bewegung einzuhegen, stört dies doch empfindlich die gewollte Inszenierung als Masse im Internet. Besorgniserregend hingegen stimmt vor allem die anstehenden US-Wahl, in der sich QAnon als wahlkämpferisch für Trump gibt. Sollten die Republikaner gewinnen, sieht sich die Bewegung gestärkt; sollten die Demokraten gewinnen, würde dies von Teilen der QAnon Community als Putsch verstanden und könnte zu einer gefährlichen Fanatisierung führen. (Florian Zeller, 2.11.2020)

Florian Zeller ist Politikwissenschafter und Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit (FIPU).

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