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Die Seuchenschutzbehörde CDC soll einen Maulkorb verpasst bekommen haben.

Foto: Reuters / Tami Chappell

Nur noch ein paar Tage bis zur Präsidentschaftswahl, und parallel zum anschwellenden politischen Crescendo steigen auch die Corona-Infektionszahlen in den USA. Politische Beobachter sind sich einig: Wer auch immer die Wahl gewinnt, die Pandemie wird ein entscheidender Faktor sein.

Ich lebe in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia. In normalen Zeiten liegt Atlanta eher an der politischen Peripherie. Aber in diesem Jahr fühle ich mich manchmal wie im Auge des Sturms – in diesem Fall: des öffentlichen Gesundheitssturms. Nicht weil Georgia aktuell so viele Neuinfektionen hat, sondern weil sich in Atlanta das Hauptquartier der CDC (Centers for Disease Control and Prevention), der zentralen Gesundheits- und Seuchenschutzbehörde der USA, befindet.

Fahnenträger für Gesundheitsfürsorge

Die CDC, 1947 als Agentur zur Malariabekämpfung gegründet, war in den 1970er-Jahren führend in der globalen Impfkampagne zur Ausrottung der Pocken. Sie spielte eine Schlüsselrolle im Kampf gegen Infektionskrankheiten wie Masern, Zika und Ebola. Die CDC war nie nur eine amerikanische Behörde, sie war immer auch weltweiter Fahnenträger für Public Health, öffentliche Gesundheitsfürsorge.

Deshalb sei die CDC prädestiniert gewesen, auch bei der Eindämmung von Covid-19 eine globale Führungsrolle zu übernehmen, sagte mir Carlos del Rio, Professor für Public Health an der Emory University in Atlanta: "Denn die CDC hat große Autorität." Doch diesmal kam es anders. Die Behörde sei Opfer der politischen Ränke und ihres eigenen Versagens geworden.

Briefings eingestellt

Im Februar hatte eine CDC-Epidemiologin in einem öffentlichen Briefing betont, Amerika müsse sich "darauf einrichten, dass es schlimm werden könnte". Worte, die im eklatanten Widerspruch zu der Botschaft standen, die Präsident Donald Trump verbreiten wollte: Wir haben das Virus im Griff.

Die CDC stellte ihre Pressebriefings für eine Zeitlang ein; es gab Berichte, die Regierung habe der Behörde einen Maulkorb verpasst, sie de facto kaltgestellt. Hinzu kam: Die Covid-Tests, die die CDC im Februar entwickelte und verteilte, erwiesen sich als grob fehlerhaft – und trugen zur Verzögerung beim Aufbau einer landesweiten Test-Infrastruktur bei – eine Verzögerung, von der sich die USA bis heute nicht erholt hat. "Die CDC hat ihre Führungsrolle in der öffentlichen Gesundheitsfürsorge verloren", sagte del Rio – "mit schwerwiegenden Folgen."

Spielball der Politik

Zum Beispiel, dass ohne konsistente Leitlinien der CDC die Gesundheitsbehörden der Bundesstaaten und Kommunen, die für die Umsetzung der Maßnahmen zuständig sind, zum Spielball der Gouverneure und Lokalpolitiker wurden. Ausgerechnet in Georgia kam es im Sommer zum – mittlerweile berühmt-berüchtigten – Maskenstreit: Die demokratische Bürgermeisterin von Atlanta, Keisha Lance Bottoms, wollte für ihre Stadt eine Maskenpflicht durchsetzen; der republikanische Gouverneur Brian Kemp hob die Verordnung auf. Der Streit ließ die Machtlosigkeit der CDC im eigenen Revier krass zu Tage treten.

Epidemiologen wie Carlos del Rio und viele seiner Kollegen tun ihr Bestes, um über Sinn und Notwendigkeit öffentlicher Gesundheitsmaßnahmen aufzuklären. Sie twittern tapfer oder erklären geduldig als wissenschaftlicher Berater für Sport- oder Kulturveranstaltungen – so wie del Rio jüngst für die Atlanta Opera –, wie Zuschauer sich bei Outdoor-Events effektiv schützen können.

Weniger Impffreunde

Doch der Schaden ist angerichtet. Einer Pew-Umfrage zufolge wächst die Skepsis der Amerikaner gegenüber einem Corona-Impfstoff. Nur etwa die Hälfte der US-Bürger erklärte vor kurzem, dass sie sich gegen Covid-19 impfen lassen würden – 20 Prozent weniger als noch im Mai.

Doch nicht alle diese Leute sind Verschwörungstheoretiker oder "Anti-Vaxxers", eifernde Impfgegner. Das Misstrauen ist besonders in marginalisierten Bevölkerungsgruppen groß – bei Afroamerikanern oder Latinos beispielsweise, die anfällig für schwere Covid-Verläufe sind.

Das überrascht nur auf den ersten Blick. Vor allem bei Afroamerikanern klingt noch das Echo der menschenverachtenden Tuskegee-Studie nach. Zwischen 1932 und 1972 hatten Wissenschafter 400 schwarzen Farmpächtern in Alabama, die an Syphilis erkrankt waren, Placebos verabreicht, um den Verlauf einer unbehandelten Infektion zu studieren. Durchgeführt wurde das Experiment von Behörden des US-Gesundheitsministeriums, unter anderem von der CDC. Kein Wunder also, dass das Misstrauen gegenüber staatlichen Gesundheitsagenturen groß ist.

Corona, so viel ist sicher, wird die Wahlnacht sowie die Monate danach überdauern. Und die Folgen des verpfuschten Pandemiemanagements werden lange Schatten werfen – nicht nur, aber auch in Atlanta. (Katja Ridderbusch aus Atlanta, 1.11.2020)