Foto: imago

Dass man es auf dem Wiener Zentralfriedhof auch lustig haben kann, wusste Wolfgang Ambros schon 1975. Anlässlich mehr oder weniger beeindruckender Ehrengräber wie jener von Falco, Udo Jürgens oder Franz West kann man sich dort ebenso gut über schlechten Geschmack abhauen, wie man auch regelmäßig über einen balkanesischen Marmorprunkbau in Schwarz staunt. In den wurde für die Nachwelt eine Sitzgruppe gebaut, damit man auf der Grabplatte während der Besuche jausnen kann. An anderer Stelle finden sich Tote mit den Vornamen Elvis und Tarzan abgebildet vor ihrem Lieblings-Mercedes.

Ja, der Tod ist eine traurige Sache. Aber eine Hetz gehört halt auch dazu. Das hat vor einiger Zeit auch die Verwaltung der mit 330.000 Gräbern und an die drei Millionen Toten größten Stadt Österreichs erkannt. Die Bestattung Wien setzt neben touristischen Zugeständnissen wie dem Hotspot mit den Ehrengräbern oder dem Grabdenkmal für Wolfgang Amadeus Mozart, der eigentlich auf dem St. Marxer Friedhof liegt, nun auch auf kulinarische Genüsse. Vor zwei Jahren eröffnete wohl unter dem Motto von Johann Sebastian Bachs Klassiker Komm, süßer Tod auf dem Friedhof die Kurkonditorei Oberlaa.

fritz51216

Diese wird von den diversen Joggern, die auf dem Friedhof täglich aus Angst vor dem Tod ihre Runden drehen, eher selten frequentiert. Sie erschrecken lieber die Rehe und Hasen. Die leben auf dem Zentralfriedhof ohne ihre natürlichen Feinde auf den Hochständen. Die letzte Jagd auf dem Zentralfriedhof fand am 20. Jänner 1987 statt. Kein Witz.

Damals mussten zwischen den Gräbern laut Statistik acht Hasen, drei Kaninchen und zwölf Fasane ihr Leben lassen, weil sie Schäden an den Gräbern verursachten. Heute lassen die Jäger die Tiere in Ruhe die Grabpflanzen grasen. "Das Wild lebt ja nicht ewig", verlautet es seitens der Bestattung Wien.

Das Leben den Lebenden ...

Wir sehen, so ein Friedhof ist auch abseits von Begräbnissen eine faszinierende Angelegenheit. Für die derzeit ausbleibenden Touristen wurde sogar ein eigenes Zentralfriedhof-Merchandising entwickelt. Galgenhumor mit Schokoladenriegeln, Legobausätzen von Leichenwagen, Rucksäcken, Polstern, Kaffeehäferln. Mehr geht nicht. Doch. Für die Jogger gibt es T-Shirts mit Aufschriften wie "Das letzte Hemd" oder, großes Tennis, "We put the fun in funeral". Aktuell kann die Bestattung Wien mit einer MNS-Maske begeistern: "Corona leugnen sichert Arbeitsplätze". Nämlich die ihren. Nicht erst seit heuer ist der Tod in Wien krisensicher.

Johann Bednar

Der Zentralfriedhof wird aktuell auch vom deutschen Schriftsteller Leonhard Hieronymi bereist. In seinem Roman In zwangloser Gesellschaft besucht der deutsche Autor die Friedhöfe Europas, um großen und kleineren Schriftstellern die Ehre zu erweisen. In Wien steht er zwar im Heeresgeschichtlichen Museum vor dem Metallsarg Franz Ferdinands, quält sich zu Mozarts Grab in St. Marx und besucht pflichtschuldig Thomas Bernhard auf dem Grinzinger Friedhof. Den Wienerlied-Sänger Josef "Nockerl" Bratfisch lässt er dann aber aus Faulheit aus.

Der ehemalige Leibfiaker Kronprinz Rudolfs, der Mary Vetsera auf ihrer letzten Fahrt nach Mayerling kutschierte, sowie der Schriftsteller Konrad Bayer, der sich ein wenig später, nämlich 1964, umbrachte, liegen beide auf dem Hernalser Friedhof. Kann man besuchen. Muss man nicht. Ödön von Horvath in Heiligenstadt und Hugo von Hofmannsthal in Kalksburg erscheinen Hieronymi schließlich auch weniger interessant als jene 1858 verstorbene Frau, die als erste Reiseschriftstellerin gilt, Ida Pfeiffer.

... der Tod den Toten

Womit wir wieder am Ausgangspunkt wären: Zentralfriedhof, Tor drei. Wir gehen gut fünf Minuten entlang der Hauptachse, dann links. Dort befindet sich der Ehrenhain mit den als Grabsteinen getarnten Scheußlichkeiten alter und noch älterer Promis und bedeutender und nicht ganz so bedeutender Künstler. Der große Musiker Georg Danzer der für den eingangs erwähnten Wolfgang Ambros die Jahrhundertnummer Heite drah i mi ham komponierte, verweigerte 2007 noch vor seinem Tod ein Ehrengrab der Stadt Wien mit sehr volkstümlichen Worten. Was aber fasziniert uns nun also so an Friedhöfen, abgesehen vom unausweichlichen und absehbaren Tod? Vielleicht deren Endgültigkeit. Hier kann man gut Bilanz ziehen. Am besten über die Toten. Danach geht es uns besser. Was wird vom Menschen einmal überbleiben? Was wird uns überdauern?

Von Georg Danzer und Mozart, die beide ja definitiv nicht hier liegen, ist es die Musik. Von einem Klan-Chef vom Balkan ist es das in Marmor gemeißelte Relief seines Mercedes. Franz West hat ganz schön schiache Skulpturen entworfen. Falco hat eine Stiege am Wiener Naschmarkt. Nach Ida Pfeiffer (Gruppe 0, Reihe 1, Nr. 12) ist eine Garnelenart in Borneo benannt. Eine ihr gewidmete 50-Schilling-Banknote wurde Ende der 1990er-Jahre nicht mehr gedruckt. Der Euro kam dazwischen. Und jetzt ins Gasthaus gegenüber. Der Friedhof macht hungrig. Das Leben den Lebenden, der Tod den Toten. (Christian Schachinger, 1.11.2020)