Die Regierungskommunikation ist zum Problemfall geworden: Grünen-Minister Rudolf Anschober versus ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz.

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Gerhard W. Loub war lange Jahre Medienexperte in der ÖVP, zuständig für den Social-Media-Auftritt, für Wahlkämpfe und Kampagnen. Er kennt die PR-Stärke der Kurz-ÖVP und ist jetzt "mehr als verwundert", was aktuell daraus geworden ist.

"Aus PR-Sicht war etwa die Corona-PK ein absolutes PR-Desaster", beurteilt Loub jene Regierungspressekonferenz vom Donnerstag, bei der als Botschaft lediglich übrig blieb, dass es an diesem Samstag eine neuerliche Corona-Pressekonferenz geben werde.

Da sei vor dem Donnerstag "enorm Spannung aufgebaut worden, jeder hat etwas Großes erwartet, und dann kam genau nix", sagt Loub. Dieser Fauxpas könne nicht einfach nur so passiert sein, "ich kenne ja die handelnden Personen von früher", sagt Loub.

Kurz wirkt verunsichert"

Im Kurz-Team habe man sicher erwartet, dass der Kanzler die Verkündigung eines Lockdowns bereits am Donnerstag durchtragen werde – mit seiner Autorität. Dann aber sei ganz offensichtlich unerwartet harter Widerstand von Wirtschaftsseite und auch vom Koalitionspartner Rudolf Anschober gekommen, glaubt Gerhard W. Loub.

"Mit dem hohen Erwartungsdruck hat Kurz natürlich auch Druck auf den Koalitionspartner und die Wirtschaft ausüben wollen. Das hat aber nicht funktioniert. Er wollte am Donnerstag sicher mehr, aber konnte nicht", ist Loub überzeugt. Beim grünen Koalitionspartner gebe es eben mehr Widerstand als seinerzeit bei den Blauen. "Kurz hat auf mich jedenfalls verunsichert gewirkt", sagt ÖVP-Insider und Medienfachmann Loub.

Anschober – so versucht Loub den Widerstand Anschobers gegen allzu strenge Maßnahmen zu deuten – sitze noch die Entscheidung des Höchstgerichts im Nacken. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hatte im Juli die Verordnung von Anschober zu den Ausgangsbeschränkungen – rückwirkend – zum größten Teil aufgehoben. "Da ist er jetzt natürlich doppelt vorsichtig. Kurz wollte sicher gleich hart durchgreifen, aber Anschober ist da viel zu vorsichtig, damit diesmal rechtlich alles stimmt", sagt Loub.

Hinzu kommt, dass ÖVP-Chef Sebastian Kurz "nicht damit gerechnet hat, dass sein Freund und Wirtschaftskammerchef Mahrer ebenfalls Widerstand leistet. Da dürfte er sich, auch bei Anschober, verschätzt haben", sagt Loub.

"Krisenphasen verschlafen"

Die Krisenkommunikation der Regierung laufe ja schon seit längerem unrund. "Uneindeutige, ja widersprechende Botschaften, "verunsichern die Bevölkerung mehr, als sie informieren", sagt auch der Grazer Experte für Krisenkommunikation Martin Zechner. "Die Regierung hat den Übergang zwischen den Krisenphasen einfach verschlafen", sagt Zechner. Da passierten "Kardinalfehler" in der Krisenkommunikation. "Die verunglückte Kommunikation führt unweigerlich zu einem Verhalten in der Bevölkerung, das von falscher Sicherheit gekennzeichnet ist", sagt Martin Zechner, der unter anderem auch an der Montan-Uni Leoben Krisenkommunikation lehrt. Zuerst seien etwa die Maßnahmen "streng gewesen und von einem Tag auf den anderen massiv, ohne ausreichende Erklärung, wieder gelockert worden". Unverständlich sei in diesem Zusammenhang auch jene seinerzeitige Aussage des Bundeskanzlers gewesen, dass es "schon ein Licht am Ende des Tunnels" gebe – und anschließend ein neuer Rekord an positiven Testungen gemeldet worden sei. Diese widersprechenden Botschaften seien für die Bevölkerung höchst irritierend gewesen.

"Beim krisenpräventiven Zugang der deutschen Bundesregierung wird der Unterschied deutlich: Deutschland agiert, Österreich analysiert. Deutschland erfüllt damit eine Grundregel der Krisenkommunikation: Es ist lösungsorientiert, Österreich hingegen agiert problemorientiert", sagt Zechner.

In der Bevölkerung sei jedenfalls in der Summe jetzt "ein falscher Eindruck über die Gesamtgefahrenlage entstanden" – auch als Resultat "tagespolitischer Einflussnahme ins Krisenmanagement". (Walter Müller, 31.10.2020)