Foto: Blessing

Susanna Clarke: "Piranesi"

Ein unendlich großes Haus, durch dessen Dachgeschoß Wolken ziehen, während im Keller ein Meer schwappt: Das ist der Schauplatz des Buchs, mit dem Susanna Clarke 16 Jahre nach ihrem Welterfolg "Jonathan Strange & Mr Norrell" ein Comeback gibt. Titelfigur Piranesi hat längst vergessen, wie er hierher gekommen ist und ob es überhaupt eine Welt außerhalb des Hauses gibt. Was hinter diesem Rätsel steckt, ist schon faszinierend genug, doch das Wie ist noch wichtiger: Verstand, Gefühl und Sprache ergänzen einander hier in perfekter Harmonie. Buch des Jahres!

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Foto: Fischer Tor

Philipp P. Peterson: "Vakuum"

Der deutsche Selfpublishing-Autor Philipp P. Peterson hat nicht nur einen Verlag gefunden, sondern auch ein offensichtliches literarisches Vorbild: Stephen Baxter. Der hat schon wiederholtermaßen die Welt untergehen lassen, mitunter auch gleich das ganze Universum. Und genau darin eifert ihm Peterson nun nach: Ein außerirdisches Raumschiff übermittelt die schlechteste Nachricht aller Zeiten. Aber Menschen wären nicht Menschen, wenn sie nicht sogar angesichts des Endes von Allem trotzig nach einem Hintertürchen suchen würden.

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Foto: Heyne

Qiufan Chen, Hao Jingfang und andere: "Quantenträume"

Man könnte generell einmal die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, eine Anthologie anhand eines demografischen Merkmals der beteiligten Autoren zusammenzustellen. Alle in dieser stammen aus China. Was sie aber zum Thema Künstliche Intelligenz zu sagen haben, liest sich eher so, als käme es von unterschiedlichen Planeten. Einige der insgesamt 15 Storys hier bieten fantastische Science Fiction auf der Höhe der Zeit. Andere lesen sich, als wären sie in den 1950er Jahren in einer Kiste vergraben und jetzt leider wiederentdeckt worden. Eine Berg- und Talfahrt!

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Foto: Cross Cult

Darcy van Poelgeest, Ian Bertram & Matt Hollingsworth: "Little Bird"

Ein Bilderrausch in bester frankobelgischer Tradition, als würden wir in einer der Welten von Moebius oder Philippe Druillet versinken, das ist "Little Bird". Aber Achtung! Beschaulich ist die Geschichte, die in dieser preisgekrönten Graphic Novel erzählt wird, beileibe nicht. In nicht allzu ferner Zukunft hält ein theokratisches Regime Nordamerika im Würgegriff, und der Widerstand steht kurz vor dem Ende. Doch dann betritt Titelheldin Little Bird die Szene, und seit Hit-Girl in "Kick-Ass" ist kein kleines Mädchen mehr derart durch die Reihen seiner Feinde gepflügt ...

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Foto: MIT Press

Adrian Hon: "A New History of the Future in 100 Objects"

Zwischen Science Fiction und Futurologie, zwischen Sachbuch und Belletristik ist dieser ungewöhnliche Titel angesiedelt, der gleichermaßen herausfordernd wie vergnüglich zu lesen ist. Adrian Hon lässt darin einen Museumskurator des Jahres 2082 durch eine Ausstellung flanieren und die Geschichte des 21. Jahrhunderts anhand von 100 Objekten Revue passieren, die ihre Zeit geprägt haben. Erwartungsgemäß spielen Smart-Technologien dabei eine Hauptrolle (und ein "Mimic Script" würden viele sicher gerne sofort bestellen), aber keine Angst: Hon hat auch einige ganz andere Einfälle in petto.

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Foto: Memoranda

Michael Marrak: "Das Haus Lazarus"


Mit acht vollkommen unterschiedlichen Geschichten zwischen Vignetten- und Novellenlänge erweist sich Michael Marrak einmal mehr als Erzähler, mit dem in der deutschsprachigen Phantastik nur wenige mithalten können. Die Bandbreite reicht von einer extravaganten Zukunftswelt, die an "Blade Runner" angelehnt ist, über geradezu klassische Schauerliteratur oder eine Hommage an Hieronymus Bosch bis zum puren Dada eines 20-seitigen Stakkatos von Antiwitzen, das dennoch eine in sich stimmige Geschichte ergibt. Und als Bonus für Fans gibt's die fast 30 Jahre alte Keimzelle seines beliebten "Kanon"-Universums!

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Foto: NEWCon Press

Simon Morden: "Bright Morning Star"

First Contact aus der Warte des anderen gesehen: Ein außerirdischer Roboter landet auf der Erde, um die hiesigen Lebensformen zu studieren – ahnt aber nicht, dass er ausgerechnet mitten in einem Kriegsgebiet aufgeschlagen ist. Ein zwar nicht mit der Kunstfertigkeit, aber zumindest im Geiste Arthur C. Clarkes erzählter Roman, der eine spannende Frage aufwirft: Entwickelt ein vollkommen neutraler Beobachter zwangsläufig irgendwann eine Vorstellung davon, was moralisch richtig und falsch ist?

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Foto: Piper

Maxim Voland: "Die Republik"

Den Hammer hat Fantasy-Star Markus Heitz alias Maxim Voland aus seinen "Zwerge"-Romanen mitgenommen und um eine Sichel ergänzt. Prämisse seines neuen Alternativweltromans: Was wäre, wenn nicht die BRD die DDR geschluckt hätte, sondern umgekehrt? Nicht dass die Protagonisten viel Zeit hätten, darüber lange zu philosophieren: "Die Republik" ist in erster Linie ein bleihaltiger Agententhriller, der sich nicht ganz zwischen Kritik am Überwachungsstaat und dem Spiel mit der Ostalgie entscheiden kann.

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Foto: Eliot Peper

Eliot Peper: "Veil"

Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Und so freut sich die Menschheit Mitte des 21. Jahrhunderts, dass der Klimawandel nicht mehr weiter voranschreitet – auch wenn niemand weiß, warum. Hauptfigur Zia, die für ihre NGO ein Krisengebiet nach dem anderen besucht, muss jedoch erfahren, dass die Lösung des Rätsels sehr viel näher liegt, als sie je gedacht hätte. "Veil" verbindet eine Thrillerhandlung mit dem Wohl und Wehe von Bluts- und Wahlfamilien und ist flüssig zu lesen, könnte aber ein bisschen mehr Science in der Fiction vertragen.

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Foto: Cross Cult

Tim Lebbon: "Eden"

George Mallory seinerzeit auf die Frage, warum er den Mount Everest besteigen wollte: "Weil er da ist." Aus demselben Grund hat sich in Tim Lebbons Roman ein Grüppchen Extremsportler vorgenommen, im Laufschritt ein Gebiet zu durchqueren, das der Renaturierung überlassen wurde. Doch sie ahnen noch nicht, dass die Natur dort nicht einfach in ihren alten Zustand zurückgekehrt ist, sondern etwas Neues hervorgebracht hat. Der subtile Grusel von "Eden" wurde in der Rundschau schon anhand der Originalausgabe besprochen, nun gibt es das Buch auch auf Deutsch.

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Bis zur nächsten Rundschau im Dezember wird sich uns allen die traditionelle Nikolo-Frage "Seid ihr auch brav gewesen?" stellen. Und wenn wir darauf mit "Ja" antworten können, wird es nicht schon wieder eine Lockdown-Ausgabe sein. Daumen drücken, dass sie noch vor Weihnachten fertig wird – denn wenn ich es doch erst bis 26. Dezember schaffe, wird eines der Bücher dafür sorgen, dass allen das Festtagsessen wieder hochkommt ... (Josefson, 28.11.2020)