Es ist zu erwarten, dass die neuen Regeln bald den Verfassungsgerichtshof beschäftigen werden.

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Ausgangsbeschränkungen also. Ab Dienstag dürfen wir nur noch aus ganz bestimmten Gründen hinaus – zumindest in der Nacht. Die aktuelle Verordnung sieht – zumindest in den vorliegenden Entwürfen – vor, dass wir unseren privaten Wohnraum zwischen 20 und 6 Uhr nur noch verlassen dürfen, wenn wir anderen helfen, Grundbedürfnisse befriedigen, uns erholen oder zur Arbeit müssen.

Aber: Diese und andere Passagen der neuen Verordnung haben ihre Tücken. Juristen zweifeln schon jetzt, noch bevor die Maßnahmen präsentiert wurden, einiges von dem, was kommen soll, an. Da bestehe Handlungsbedarf, sagen renommierte Experten, und stellen in Frage, ob die Regeln in der Form vor dem Verfassungsgerichtshof halten werden.

Darf man die Oma besuchen?

So etwa die genannten Ausnahmen bei den Ausgangsbeschränkungen. Da heißt es im aktuellen Entwurf wie auch mit den Worten von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), die "Ausübung familiärer Rechte und Erfüllung familiärer Pflichten" wäre ein Grund, die eigene Wohnung nachts zu verlassen. Eigentlich, so sagt Verfassungs- und Verwaltungsjurist Peter Bußjäger, ziele diese Regelung wohl darauf ab, dass etwa Scheidungskinder ihre Eltern sehen – oder umgekehrt. Sie ermöglicht aber auch, dass Familienbesuche nach 20 Uhr möglich sein sollten. Allerdings: "Da frage ich mich, wo das beginnt und wo das endet", sagt Bußjäger, "sind da die Großeltern erfasst, auch die Geschwister oder der erweiterte Bekanntenkreis?".

Außerdem darf man raus, um menschliche Grundbedürfnisse zu decken. Ein Blick auf die Erläuterungen des Covid-19-Maßnahmengesetz zeige laut Bußjäger, dass das etwa auch erlaubt, einen Lebenspartner oder eine Lebenspartnerin zu sehen, mit dem oder der man nicht zusammenwohnt, oder um an den Zweitwohnsitz zu gelangen. Ebenfalls möglich sei etwa die Versorgung von Tieren und der Besuch eines Friedhofs. "Und wenn man den Partner sehen darf, darf man wohl auch die Geschwister sehen", sagt Bußjäger, dadurch aber würden neue Fragen auftreten: "Darf ich den Onkel besuchen, der einsam herumsitzt und sonst keinen Kontakt hat?" Dies wären Fragestellungen, "die wohl letztlich bei den Gerichtshöfen landen, weil es so viele Unklarheiten gibt".

Wann darf man nach Hause fahren?

Apropos Deckung der Grundbedürfnisse: Dazu zählt auch, einen Schlafplatz zu haben. Heißt das also, dass man ohnehin so lange, wie man will, zu Freunden kann, weil man auch nach 20 Uhr nach Hause fahren kann, um dort zu schlafen? Jein, sagen Experten. Zwar dürfe man prinzipiell heimfahren, aber: "Dadurch, dass sie davor nicht an ihrem privaten Wohnort sind, haben Sie gegen die Ausgangsbeschränkungen verstoßen", sagt Bußjäger.

Denn in der kommenden Verordnung gibt es einen gravierenden Unterschied zu jener, die wir noch vom Frühling kennen. Damals durfte man den öffentlichen Raum nicht betreten, nun heißt es explizit, dass man am privaten Wohnort sein muss. Das macht auch die Pyjamaparty, von der man eben nach 6 Uhr erst nach Hause fährt, zu einem Rechtsbruch. Und an dem Punkt beißt sich die Katze in den Schwanz. Denn somit gibt es laut Verordnung zwar erstmals Regeln für den privaten Bereich, der kann aber laut Covid-19-Maßnahmengesetz immer noch nicht kontrolliert werden. Nehammer betonte auch, den Privatraum nicht kontrollieren zu wollen, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) betonte aber, dass die neuen Besuchsregeln auch im Privatraum gelten.

Streng genommen müsste man jedenfalls zumindest um 19.59 Uhr vom Wohnort der Freunde losfahren, um nach Hause zu kommen. Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk führt dazu aber ins Treffen, dass mögliche Konsequenzen auch davon abhängen, "welche Erklärung man dann findet", wenn man nach 20 Uhr draußen ist. "Zu sagen, ich fahre heim, weil ich Spaß hatte, geht nicht durch, aber man könnte immer noch sagen, man sei unterwegs, weil man sich im Freien bewegen möchte" – und das ist laut aktuellem Verordnungsentwurf möglich. Bußjäger liest den Entwurf übrigens auch so, dass man nach 20 Uhr auch noch mit Bekannten spazieren gehen darf – solange man Abstand hält und keine "größere Menschenmenge" zusammenkommt.

Was darf die Polizei machen?

Beweise dafür, warum man draußen ist, darf die Polizei aber ohnehin im Normalfall nicht verlangen. Es geht – und das steht auch so im Verordnungsentwurf – darum, glaubhaft zu machen, warum man unterwegs ist. "Die Polizei muss möglichst schonend vorgehen, um den gesetzeskonformen Zustand herzustellen", sagt Funk. Würde die Polizei Beweise dafür verlangen, wo man wohnt und dass man nur bei seiner Mutter war, würde sie damit "möglicherweise ihre Ermächtigung überschreiten".

Fragt die Polizei aber, warum man draußen ist, "und ich sage nicht, zu welchem Zweck ich mich hier aufhalte", dann liege, so sagt Bußjäger, der Verdacht einer Verwaltungsübertretung vor. "Daraufhin darf die Polizei die Identität feststellen und ein Strafverfahren einleiten."

Prinzipiell ist im Covid-19-Maßnahmengesetz ein Strafrahmen von maximal 1.450 Euro vorgesehen, im Laufe der Pandemie wurde die Polizei aber dazu ermächtigt, Organstrafmandate zu verfügen. So bekommt man derzeit etwa einen Strafzettel über 25 Euro, wenn man keine Maske trägt. Eine Anzeige wegen einer Verwaltungsübertretung kann eingeklagt werden, ein Organstrafmandat jedoch nicht. Nehammer sagte bei der Präsentation der Maßnahmen, ein Verstoß gegen die Ausgangbeschränkungen sei eine Verwaltungsübertretung, koste also bis zu 1.450 Euro.

Was darf man im eigenen Keller tun?

Spannend ist auch, wie es mit Kellern und Garagen weitergeht. Im aktuellsten Verordnungsentwurf gelten diese nämlich explizit nicht als privater Wohnraum, das ist juristisch heikel. Denn das bedeutet, dass auch dort ein Veranstaltungsverbot herrscht und lediglich Zusammenkünfte von nicht mehr als sechs Personen aus zwei verschiedenen Haushalten erlaubt sind. "Da hat sich der Gesetzgeber unnötigerweise eine Falle gestellt, indem er das ausdrücklich hingeschrieben hat", sagt Bußjäger, denn in den Erläuterungen zum privaten Wohnraum berufe sich der Gesetzgeber auf eine Judikatur des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, in der Garagen ausdrücklich zum privaten Wohnraum gezählt werden. "Ich würde das jetzt nicht von vornherein als rechtswidrig ansehen", sagt Bußjäger, "aber das wird sicherlich ein Punkt sein, der höchstgerichtlich geklärt werden muss".

Summa summarum, so sagt Funk, "gibt es eine Reihe von Rechtsproblemen, die nicht zu übersehen sind". Letztendlich aber sei entscheidend, ob die Maßnahmen greifen und ob sie akzeptiert werden – auch für die Beurteilung, ob sie rechtlich in Ordnung waren.

Nicht zuletzt aber ist die Situation für Bürgerinnen und Bürger sowie für den Gesetzgeber auch nach acht Monaten Pandemie noch eine neue: "Wir erfahren gerade Grundrechtsbeschränkungen, wie wir sie bisher noch nicht erfahren haben", sagt Bußjäger, "niemand von uns hat seit der Jugend einem Polizisten sagen müssen, wohin man geht, das sind wir so nicht gewohnt." Deswegen sei klar, dass viele der Strafen bekämpft werden. "Es werden sich immer mehr neue Konstellationen auftun, die wir so noch nicht berücksichtigt haben, daher wird eine ganze Flut von Verfahren zu erwarten sein", sagt der Jurist. Das sei aber nicht zwingend die Schuld der Regierung: "Wenn man die Freiheit der Menschen beschränkt, dann wehren sie sich eben dagegen. Und man wird sehen, ob diese Beschränkungen zu Recht erfolgten." (Gabriele Scherndl, 31.10.2020)